Manche Dinge will man am liebsten nicht erleben oder betreten: zum Beispiel einen Gerichtssaal in der Rolle der Verklagten. Aber wenn sich ein Konflikt über einen langen Zeitraum hinzieht und man eh schon verklagt wurde, dann soll es auch endlich passieren und vorbei sein. Und wenn es schon passieren soll, dann will es auch ausgekostet werden. Letzteres blieb mir verwehrt.

Mein Ex-Vermieter hatte mich verklagt. Mein Anwalt und ich hatten uns lange Zeit mit viel Hin und Her und kleinkariertem Feinschliff auf den Prozess vorbereitet. Mein Anwalt mit vielen Paragrafen. Und ich mit viel Fantasie. Ich stellte mir einen ganztägigen Kampf mit aufreibenden Plädoyers, Vernehmungen, Zeugenverhören und stapelweise Beweismaterial vor, das die Anwälte aus ihrer Robe pfeffern: En garde und touché! Und einen Richter, der immer wieder mit seinem Hammer auf das Pult haut: „Einspruch abgelehnt!“ Eben wie im Fernsehen. Ich machte mir Gedanken, was ich zu solch einem Anlass anziehen soll und entschied mich für ein Shirt in frischem Blau zur Untermalung meiner Aufgeschlossenheit, eine schwarze Jacke zur Betonung meiner Seriösität und weißen Hose als Zeichen meiner Unschuld.

Dann kam die Realität. Um 9.00 Uhr war die Verhandlung angesetzt, mein Anwalt müsse um 11.00 Uhr bei einem Kochkurs sein, er hoffe, das Verfahren dauere maximal eine Stunde, am liebsten nur zehn Minuten. Wie, nur zehn Minuten?! Das stand in keinem Verhältnis für all die Ängste und Nerven, die ich gelassen hatte. Und wann ich bitteschön meine Reden halten solle, an denen ich schon ein halbes Jahr tüftele, dafür brauche ich allein schon 20 Minuten, und die anderen wollen doch sicher auch was sagen.

„Du hältst die Klappe!“ wies mich mein Anwalt an. Noch bevor ich Einspruch gegen diese Auflage erheben konnte, saßen wir in einem kleinen Raum ohne Publikum. Seltsamerweise interessierte sich niemand für unseren spannenden Fall. Der Richter benutzte gar keinen Hammer und interessierte sich nur für einen winzigen Ausschnitt der Geschichte: Ob mir der Vermieter eine Telefonnummer übermittelt hätte oder nicht. Hatte er nicht. Dafür hatte er aber viel Halunkerei betrieben, Verstöße gegen das Baurecht, Gewerberecht und Steuerrecht, was den Richter gar nicht interessierte.

Im Gegenteil, ich wurde dafür zurechtgewiesen, dass ich ihn bei den zuständigen Ämtern verpfiffen hatte. Das tue erstens nichts zur Sache und ginge mich zweitens gar nichts an. „Oh doch! Als Bürgerin sehe ich mich in der Pflicht …“ hob ich zu einem Protest an, wurde aber schnell mundtot gemacht. Alle wollten möglichst schnell einen Vergleich erwirken, anstatt meiner ausschweifenden Reden sollte ich nur noch Ja sagen, ein Nicken hätte auch gereicht. Das war unfair, unsachgemäß und schon gar nicht filmreif. Ich war enttäuscht.

Die gegnerische Partei war schlecht vorbereitet, unsympathisch, uneinig, verstieß gegen manche Regeln und verhaspelte sich in den eigenen Argumenten. Ich bin desillusioniert, wieder auf dem Boden der Tatsachen, um viele Nerven und einen Batzen Geld ärmer und um noch mehr Erfahrungen reicher: Immer alles schriftlich klären. Niemand Fremdem pauschal vertrauen. Sofort den Anwalt einschalten, wenn etwas unstimmig ist. Nicht auf das Gericht bauen. Sich nicht verrückt machen. Und nicht der Fantasie freien Lauf lassen. Denn: Nichts ist wie im Fernsehen. Und schon gar nicht ein Gerichtsverfahren.

Julia Siebert

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