Feiertage mag Kolumnistin Julia Siebert, besonders wenn es etwas Gutes zum Essen gibt. Doch am Tag der Deutschen Einheit will bei ihr keine rechte Feiertagsstimmung aufkommen.

Feiertage finde ich super, da gibt es immer leckere Sachen. Zu Ostern Lamm, zu Weihnachten Kekse, zu Sankt Martin Weckmänner, zu Nikolaus Schokolade und zu Karneval Krapfen.

Auch wenn das Essen das wichtigste Element in meinem Leben bleibt, so will ich mich aber doch auch den anderen Aspekten der Welt zuwenden und hatte mir mal vorgenommen, dem jeweiligen Feiertagsmotto gebührend Rechnung zu tragen: Was ist das für ein Feiertag, welche Bedeutung hat er, von wem und wozu wurde er eingerichtet? Gilt er auch global oder nur für bestimmte Regionen und gesellschaftliche Gruppen? Wie wurde er früher begangen, was findet heute statt?

Heute ist Erntedankfest. Aha! Sofort sehe ich vor meinem geistigen Auge einen großen saftigen Truthahn in meinem Ofen goldbraun brutzeln, das Wasser läuft mir im Munde zusammen. Verdammt, wo kriege ich jetzt noch auf die Schnelle einen Truthahn her? Nix zu machen. Gut, was sonst? Ich assoziiere. Ernte. Landwirtschaft. Bauern. Sie danken für eine gute Ernte. Eine lange Tafel im gelben Getreidefeld baut sich auf, an der lustige Bauern sitzen, Schinken und Wurst essen und sich mit selbstgebranntem Schnaps zuprosten. Och, da setz ich mich doch gleich mit an den Tisch. Ob ich mir als Hobbygärtnerin, die ab und zu in den Nachbarsgärten Obst und Gemüse pflückt, die Berechtigung erarbeitet habe, das Erntedankfest zu begehen? Natürlich sind auch wir Endverbraucher mehr als froh und dankbar, wenn die Bauern eine satte Ernte einfahren. Vielleicht sollte ich mich heute vor jedem Bissen, den ich tue, bedanken bei… doch nun werden meine nostalgischen Bilder vom senseschwingenden Bauer mit Strohhut hinter Ochsenkarren, der die Heuballen mit bloßen Händen formt, überschattet von Düngemitteln, Treibhäusern, Großanlagen, Gen-Food… bei wem genau soll ich mich bedanken, beim EU-Agrarfonds? Und da man eigentlich gar keine Tierprodukte mehr ohne mulmiges Gefühl verspeisen kann, lasse ich das Erntedankfest Erntedankfest sein und begehe den Tag wie einen ganz normalen Sonntag. Ein Frühstücksei gönne ich mir und hoffe, dass der Dioxinanteil darin gering ist.

Nächste Woche ist der Tag der Deutschen Einheit. Fein, dann ist wieder frei, juhu! Und sonst? Ich könnte mir einen Einheitsbrei zubereiten. Klingt nicht so lecker. Warum berührt mich der Tag nicht, bin ich ein ignoranter, gefühlskalter Geschichtsmuffel? Ich versuche es mal mit einem anverwandten Ereignis: Der Fall der Mauer – ja, das war schon was! Da läuft mir auf Anhieb eine Gänsehaut über den Rücken. Das war groß, wichtig, bewegend. Ausnahmsweise kommt mir auch mal keine Speise in den Sinn, sondern ich würde den Tag damit verbringen, mir alte Berichte von damals anzuschauen und vielleicht mit einem Glas Sekt auf den Fall eines Regimes und die unerwartete Freiheit der DDR-Bürger anstoßen. Weil es aber der 9. November wäre, können wir an diesem Tag selbstverständlich nicht feiern. Stilles Gedenken ist angesagt. Aber was mache ich nun mit dem 3. Oktober, der mir vorkommt, als würde man seinen Geburtstag viel zu spät nachfeiern und die Gäste fragen: Wann hattest du noch mal Geburtstag? Wie hattest du den Tag verbracht, war es schön? Laut Wikipedia war der 3. Oktober „der frühestmögliche Termin, der nach der KSZE-Außenministerkonferenz vom 2. Oktober lag, in der diese Außenminister über das Ergebnis der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen informiert werden sollten.“ Also bitte, wie soll da Stimmung aufkommen? Eben!

Julia Siebert

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