In Kasachstan gibt es die „Tradition“ des Brautraubs. NGOs gehen davon aus, dass es hierzulande jährlich etwa 5.000 Fälle gibt. Die Gründe können ganz unterschiedlich sein: In früheren Zeiten war Brautraub eine Option für den Mann, wenn er die geforderte Mitgift für die Frau, die er heiraten wollte, nicht aufbringen konnte. Nicht selten ist es auch das Mittel der Wahl, wenn sich die Eltern gegen eine Ehe aussprechen. Allerdings wird diese „Tradition“ auch dazu benutzt, eine Frau gegen ihren Willen zu entführen und zu heiraten.

So war es bei der 39-jährigen Aikhanym. Heute scheint sie trotz allem glücklich zu sein, und lernte Schritt für Schritt ihren Ehemann zu lieben.

Wie alt waren Sie, als Sie zuerst geliebt haben?

Ich war 15 Jahre alt.

Wie begann Ihre Beziehung?

Es passierte einfach so. Wir haben nicht bemerkt, wie unsere Liebe begann. Wir waren Nachbarn, haben uns jeden Tag auf der Straße gesehen und sind zusammen in die Schule gegangen. Manchmal hat er vor der Schule mit Schokolade auf mich gewartet, um mich nach Hause zu begleiten. Zu dieser Zeit habe ich ihn wirklich geliebt, aber habe ihm nie von meinem Gefühl erzählt.

Wie ging es weiter?

Leider gar nicht. Nach zwei Jahren, nachdem er die Schule beendet hatte, ging er zur Armee. Ich habe auf ihn gewartet. Doch nach 5 oder 6 Monaten hat mich ein Mann entführt, um mich zu heiraten. Er war ein Bekannter meiner besten Freundin. Ich habe ihn einmal in der Bibliothek und einmal auf dem Markt getroffen. Dort hat er sich in mich verliebt. Deshalb hat er mich gestohlen. Ich war dagegen. Ich weinte, bat um meine Freilassung und sagte ihm, dass ich einen Freund habe. Aber nichts half. Ich musste unserer Tradition folgen und seine Ehefrau werden.

Wie hat Ihr Freund darauf reagiert? Für wen war es schwieriger, diese Situation zu akzeptieren?

Es war sehr schwer für uns beide. Doch da ich nun einen Ehemann hatte, konnte ich meine erste Liebe schneller vergessen als er, glaube ich. Jemand hat mir erzählt, dass er so wütend war, dass er meinen Mann schlagen wollte. Aber zum Glück ist nichts passiert… Vielleicht kam er zu sich selbst. Interessanterweise ist er nun mit meiner leiblichen Schwester verheiratet. Meine erste Liebe ist jetzt mein Schwager.

Das ist ja unglaublich. Aber ist es nicht merkwürdig für Sie, wenn Sie Ihren Schwager jetzt treffen? Ist Ihre Schwester nicht eifersüchtig auf Sie?

Nein, es ist alles in Ordnung. Für uns ist es mittlerweile eine witzige Geschichte, die wir erzählen. Wir alle sind zufrieden und glücklich mit unseren jetzigen Ehepartnern.

Sind Sie nicht enttäuscht von dieser „Tradition“, die Sie dazu brachte, Ihre erste Liebe zu verlieren?

Obwohl sie mich von meiner ersten Liebe trennte, gab sie mir wahre und ewige Liebe. Heute kann ich mir mein Leben ohne meinen Ehemann nicht vorstellen. Also nein, ich bin nicht enttäuscht von dieser Tradition!

Das Gespräch führte Anar Kishkenebayeva.

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