Mit über 1,1 Millionen Einwohnern gilt Schymkent neben Astana und Almaty als eine der größten Städte Kasachstans. Doch die südlichste Großstadt des Landes ist im Vergleich zu ihren zwei berühmten Schwestern vergleichsweise unbekannt. Zu Unrecht, denn mit ihrer tausendjährigen Geschichte und ihrem südlichen Flair hat sie viel zu bieten. Das Portrait einer Stadt, ihrer Geschichte und dem Geburtsort der Tulpe.

Hupende Autos; Händler, die ihre Waren feilbieten; der Duft von frischen Tulpen, der mit dem Gestank von verbranntem Kraftstoff wetteifert, begleitet von der sengenden Hitze der Sonne. Das sind die ersten Eindrücke, die sich dem Besucher bieten, wenn er den Bahnhof in Schymkent verlässt.

Die Millionenstadt ist das ökonomische und gesellschaftliche Herz Südkasachstans. Keine Region des Landes ist so dicht besiedelt. Hier treffen zentralasiatische Kulturen aufeinander und die alten Siedlungen und Mausoleen wecken eher Erinnerungen an den Orient als an die Sowjetzeit. Großstädte wie Astana und Almaty sind besonders durch politische Entscheidungen zu ihrer Größe gekommen. Schymkent dagegen ist historisch gewachsen und blickt auf eine über tausend Jahre alte Geschichte zurück.

Ein historisches Erbe

Während der größtenteils unwirtliche Norden Kasachstans von Nomadenstämmen bewohnt wurde, siedelten in den südlichen Regionen sesshaft gewordene Landwirte und Lehnsherren. Dadurch entstanden Festungen und Siedlungen, deren Ruinen auch heute noch von Größe und Wohlstand zeugen. Zu verdanken ist dies dem Verlauf einer der Routen der legendären Seidenstraße, welche durch die Region führte. Dieser Handelsweg, der den Austausch von Waren, Ideen und Kulturen zwischen Europa und China ermöglichte, ließ die Städte Zentralasiens geradezu erblühen. Mit seiner einzigartigen Lage zwischen den großen Umschlagplätzen Samarkand und Taras wurde Schymkent als Karawanserei regelmäßig von den mit großen Reichtümern beladenen Karawanen besucht.

Der archäologische Park lässt mit der rekonstruierten, über der Stadt thronenden Festung samt ihrer alten Schmieden, Webstuben, Katakomben und Mauern auf diese goldenen Zeiten schließen. Namentlich wurde die Stadt als Tschimkent zum ersten Mal im 14. Jahrhundert erwähnt, doch Ausgrabungen auf dem alten Festungshügel deuten auf die Errichtung einer Siedlung vor bereits über 2.200 Jahren hin. Ruhig hatten es die Einwohner des alten Schymkent nie, denn ihre Stadt war stets umkämpft. Im 16. Jahrhundert war sie Teil des kasachischen Khanats und musste sich gegen Angriffe des Dschungarenreichs zur Wehr setzen. Im 18. Jahrhundert wurde die Stadt durch das Khanat Kokand erobert und schließlich 1864 in das Russische Zarenreich eingegliedert.

Aufstieg und Industrialisierung

Dieser Schritt machte Schymkent zum administrativen Zentrum und dem Sitz des Gouverneurs der Oblast Syrdarjia, wodurch die Stadt maßgeblich an Bedeutung gewann. In der Sowjetunion wurden im Zuge der großen Industrialisierung der 1930er Jahre Fabriken für die Blei-, Öl- und Textilproduktion erbaut. Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges wurden zusätzlich über 17 Betriebe aus frontnahen Gebieten nach Schymkent evakuiert, die anschließend zahlreiche militärische Güter für die rote Armee produzierten. Der folgende starke industrielle Aufschwung zog viele Menschen aus den ländlichen Regionen in die Stadt, die sich so rasant weiterentwickelte und ausdehnte.

Schymkent wurde auch zum tragischen Zielort der Deportationswellen in den 30er Jahren. So fanden viele Deutsche, Koreaner und Russen dort ihr neues Zuhause. Auch heute noch leben über 1.200 Angehörige der deutschen Minderheit in der Stadt. Neben einem deutschen Haus, gibt es zudem die deutsche Jugendorganisation „Hoffnung“, die es sich zum Ziel setzt, die Traditionen und Bräuche der Deutschen an jüngere Generationen vor Ort weiterzugeben.

Stadt der Kontraste

Die kleinen und lauten Straßen Schymkents unterscheiden sich stark von üblichen sowjetischen Städten Kasachstans. Ein besonderes Beispiel ist der fast 300 Jahre alte Basar der Stadt, der „Werchnij Rynok“ (Hoher Markt). Mit seinen schier endlos wirkenden Gängen, Unterführungen und Markthallen ist es leicht, sich zu verlaufen. Neben einem Angebot an zahlreichen Gewürzen, Stoffen, Schmuck und frischen Früchten aus dem nahegelegenen Usbekistan gehört auch das für Basare übliche Probieren und Feilschen zum Programm.

Das Stadtbild wird jedoch auch von den vielen ärmeren Stadtteilen wie beispielsweise Koksaj geprägt. Kleine, trostlos wirkende Privathäuser die sich entlang von staubigen Straßen schlängeln. Straßenhunde und Bettler die versuchen ihren Hunger zu stillen. Schymkent ist eine der Städte mit dem niedrigsten Einkommen Kasachstans und Arbeitsplätze sind in den südlichen Regionen selten und sehr begehrt.

Umso schockierender wirkt dadurch der in der Innenstadt stehende Palast, der in seinem luxuriösen Umfang den Weltstädten Moskau und Dubai würdig wäre. Das zwölfstöckige Prachthotel „Rixos Khadisha Schymkent“ ragt mit seiner klassizistischen Fassade arrogant über den Dächern empor. Die Innenausstattung besteht fast ausschließlich aus weißem Marmor, und das Foyer empfängt seine Besucher mit vergoldeten Statuen. Es scheint geradezu höhnisch, in einer Stadt, in dem der Durchschnittslohn 100.000 Tenge (200 Euro) beträgt, so ein monumentales Luxusgebäude zu errichten. Doch zeigt es auch die Ambitionen, der Stadt auf internationaler Ebene zu Bekanntheit zu verhelfen und sich in der Zukunft als dritte Hauptstadt des Landes zu positionieren.

Das Alte muss Neuem weichen

Der Springbrunnen „Tjulpan“ (Tulpe) stellt das Symbol der Stadt dar. Es sind die Täler um Shymkent, in denen vor zehn Millionen Jahren die beliebte Blume ihren Ursprung nahm.
Der Springbrunnen „Tjulpan“ (Tulpe) stellt das Symbol der Stadt dar. Es sind die Täler um Schymkent, in denen vor zehn Millionen Jahren die beliebte Blume ihren Ursprung nahm.

Um dieses Ziel zu erreichen, wurde unter anderem das administrative Zentrum aus dem alten, historischen Teil in den Norden der Stadt verlegt. Hier könnte der Kontrast zur Altstadt kaum größer sein. Neubauten, an deren makellosen Glasfassaden sich die Steppensonne spiegelt, reihen sich eng aneinander. Zwei neue Theater, eine Messehalle und mehrere luxuriöse Einkaufszentren geben Aufschluss darüber, wie das Schymkent der Zukunft aussehen soll.

Doch diese Verlagerung hat auch ihre Schattenseiten. So wurde das 42 Jahre alte Hippodrom der Stadt abgerissen, um Platz für neue Wohnblöcke zu schaffen. Der Ersatz befindet sich mehrere Kilometer außerhalb der Stadt und ist für viele der Einwohner schwer zu erreichen. Damit das neue Schymkent erblüht, muss das alte also stückweise weichen.

Der Geburtsort der Tulpe

Dieses Erblühen erlebt man bereits jetzt – jeden Frühling. Mit acht Parkanlagen, 43 Alleen und Grünanlagen ist Schymkent eine der grünsten Städte Kasachstans – und überdies noch Heimat eines besonders bekannten Gewächses. Millionen Tulpen schmücken jedes Frühjahr die zahlreichen Ecken und Plätze der Stadt. Bei einem Spaziergang könnte man fast meinen, sich in einem postsowjetischen Amsterdam zu befinden.

Während man die Blume heute hauptsächlich mit Holland verbindet, kam sie dort erst im 16. Jahrhundert an. Ihr tatsächlicher Ursprung liegt jedoch in den um die Stadt gelegenen Tälern und Hängen des Tienschan-Gebirges. Hier wuchsen schon vor zehn Millionen Jahren die ersten Wildtulpen heran. Mit Stolz rühmen sich die Schymkenter ihrer Tulpe, die neben vielen Wandbildern und Skulpturen im Stadtbild verewigt ist und als das Wahrzeichen ihrer Stadt gilt.

Darius Diehl

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