Die 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst bringt in diesem Jahr über 60 internationale Künstler*innen zusammen – darunter erstmals auch Künstlerinnen aus Kasachstan, die mit ihren Werken neue Perspektiven eröffnen.

Unter dem Titel „das flüchtige weitergeben“ lädt die Ausstellung dazu ein, Kunst als ein Medium des Widerstands und der Weitergabe in Zeiten von legislativer Gewalt, Verfolgung und Ökozid zu verstehen. Sie setzt den Fokus auf die Flüchtigkeit von Inhalten und die Fähigkeit der Kunst, eigene Gesetze in Unrechtssystemen zu definieren und kollektive Erinnerung lebendig zu halten.

Ein zentrales Beispiel für die Verbindung von Kunst, Ökologie und gesellschaftlichem Engagement liefert das von Frauen geleitete kasachische Kunst- und Forschungskollektiv Artcom Platform. In ihrer Arbeit „Balkhash Zhyry“ (Das Lied vom Balchaschsee) setzen sich die Künstlerinnen Aigerim Kapar, Aigerim Ospan, Antonina van Lier und Karlygash Akhmetbek mit der Bedrohung des Balchaschsees auseinander, der durch Übernutzung, Klimawandel und industrielle Projekte wie den Bau eines Atomkraftwerks gefährdet ist. Das Kollektiv entwickelt seit 2020 neue Schutzsysteme für das Ökosystem des Sees und greift dabei auf die Tradition von Qazaqliq zurück – eine Form der Steppendemokratie, die es dem kasachischen Volk ermöglichte, auch unter den Bedingungen der Zwangssesshaftigkeit und Unterdrückung seine Lebensweise zu bewahren.

Zeitgefühl und Eindrücke über die Ausstellung

Ich möchte auch meine persönlichen Gefühle zu dieser Ausstellung teilen. Wenn ich die Naturobjekte betrachte, die mich besonders beeindrucken, denke ich oft daran, dass dieser Moment für mich ein großes Ereignis ist – etwas, das mir im Gedächtnis bleiben wird. Für das Objekt selbst aber bin ich nur ein kurzer Blick in seiner langen Geschichte. Selbst wenn ich mein ganzes Leben dem Balchaschsee widmete, wäre es nur ein kurzer Augenblick in seinem Dasein. Die Zeit verläuft für natürliche Objekte nach einem ganz anderen Maßstab – viel langsamer, umfassender, fast unermesslich.

Genau dieses Gefühl bleibt nach dem Anschauen des Videoessays zurück. Der Film erzählt die Geschichte des Sees aus dessen eigener Perspektive. Der See beginnt seine Erzählung in der Gegenwart: „Ich verstehe nicht, was mir gerade passiert, warum es mir schlecht geht. Aber ich erinnere mich gut daran, wie es früher war.“ Danach greift der See zentrale Ereignisse der kasachischen Geschichte auf, deren stiller Beobachter er war: das Nomadentum, die Steppendemokratie, zahlreiche Kriege, die Etablierung zuerst der russischen und später der sowjetischen Herrschaft, Widerstände, Hunger, Atomwaffentests, die Unabhängigkeit und schließlich die jüngsten Proteste im Land.

Ein zentrales Gedankenspiel des Films scheint zu sein, dass all dieses Gedächtnis zusammen mit dem See verschwinden könnte – wenn wir nicht verantwortungsvoll mit unseren natürlichen Ressourcen umgehen. Darauf verweist auch das Lied, das gleich zu Beginn des Films zu hören ist: „Aral ist das Herz, Balchasch die Leber.“ Dieser Vergleich macht deutlich, dass es nicht bei einer einzelnen ökologischen Katastrophe bleiben muss. Wir haben solche Fehler bereits einmal gemacht – und dürfen sie nicht wiederholen.

Mit „A Monument to Common Heroes“ (Ein Monument für gewöhnliche Heldinnen*) setzt Artcom Platform ein weiteres Zeichen: Das aus Filz gefertigte Werk würdigt die alltäglichen Held*innen der kasachischen Proteste und betont die Bedeutung von Solidarität und gemeinschaftlichem Handeln. Beide Werke zeigen, wie Kunst als Medium gesellschaftlicher Reflexion und als Instrument des politischen Handelns fungieren kann – und wie kasachische Künstlerinnen mit lokalen Traditionen und aktuellen Herausforderungen neue künstlerische Ausdrucksformen schaffen.

Ausstellung im ehemaligen Gerichtsgebäude

Symbolisch ist auch der besondere Schauplatz dieser Ausstellung. Das ehemalige Gerichtsgebäude in Berlin-Moabit war einst Ort der Staatsgewalt. Heute dient es als symbolischer Raum für die Auseinandersetzung mit Legalität und Illegalität. Die Spuren der Geschichte – von den Löchern in den Wänden bis zu den Geschichten aus der Zeit als Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis – machen das Gebäude zu einem eindrucksvollen Ort, an dem Kunst gesellschaftliche Prozesse hinterfragt, neue Bedeutungen schafft und Kanäle der Würde öffnet. Das Ort hat eine besondere Atmosphäre und trägt dazu bei, die Kunststücke auf verschiedenen Ebenen zu übertragen.

Die Werke der kasachischen Künstlerinnen und der Artcom Platform auf der 13. Berlin Biennale zeigen eindrucksvoll, wie Kunst als kollektive Praxis gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen sichtbar macht. Mit poetischen, partizipativen Ansätzen und der Rückbesinnung auf lokale Traditionen gelingt es ihnen, globale Themen wie Klimawandel, Erinnerung und Widerstand in einen spezifisch kasachischen Kontext zu übersetzen. Gerade im symbolisch aufgeladenen Rahmen des ehemaligen Gerichtsgebäudes wird deutlich, wie Kunst neue Räume für Dialog, Würde und gesellschaftliche Teilhabe schafft – und damit weit über das Ausstellungsgeschehen hinauswirkt.

Darya Koppel

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