Zum internationalen Frauentag begeben wir uns auf die Suche: An wem orientieren sich Frauen in Kasachstan eigentlich? Wer sind echte weibliche Vorbilder und wo findet man sie?

„Wer ist ein Vorbild für dich?“ Viele junge Frauen in Kasachstan tun sich schwer mit dieser Frage. Manche nennen ihre Mütter, vielen fallen jedoch eher internationale Vorbilder ein – aus den Medien oder dem Showgeschäft. Dabei geht es häufig um einen bestimmten Lifestyle oder das Aussehen.

Bei Tana Omarowa aus Almaty ist das anders. Sie ist Mitte 20, hat Journalismus studiert und schreibt für eine kasachische Nachrichtenseite. Außerdem arbeitet sie als Doping-Kontrolleurin. „Da habe ich fast nur mit Männern zu tun. Frauen sind im Sportbereich sehr selten“, sagt sie. „Das ist nicht immer ganz einfach.“ Übernimmt sie also eine Vorreiterrolle für andere Frauen und setzt sich für den Feminismus im Sport ein? Doch das Wort „Feminismus“ mag Omarowa gar nicht gerne. „Feminismus heißt in Kasachstan immer, dass die Frauen über den Männern stehen wollen. Das möchte ich aber nicht. Mir geht es um Gleichberechtigung, auf Augenhöhe.“ Viel wichtiger sei es, dass es normale positive Vorbilder für Frauen anstelle feministischer Kämpfe gibt, sagt sie und lädt zu einem Treffen mit ihrer Chefin ein.

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Maira Bakaschewa ist die Leiterin des nationalen Anti-Doping-Centers. Hinter ihrem schweren Holzschreibtisch steht eine große Kasachstanflagge und an der Wand hängt ein schweres, goldenes Kasachstanwappen. Ein eigenes Büro, viele Mitarbeiter: Beruflich steht diese Frau auf jeden Fall oben auf der Karriereleiter. Aber was genau macht sie zum Vorbild? Zum Teil ihre Lebensgeschichte: Bakaschewa ist in einem kleinen Gebirgsort im Nordosten des Landes nahe der russischen Grenze aufgewachsen, mit zwei Schwestern und zwei Brüdern. Ihre Großmutter hat sie großgezogen. „Die sagte immer: ‚Mach etwas! Sitz nicht nur rum!‘ Selbst beim Fernsehen haben wir nebenbei genäht“, erinnert sie sich. Die Eltern haben als Bauern für den Staat gearbeitet und mussten sich um Bakaschjewas schwerstbehinderte Schwester kümmern. Da blieb kaum Zeit für sie selbst. Ihre älteren Geschwister haben nach der Schule eine medizinische Ausbildung angefangen. Das musste sie mit 14 Jahren auch.

„Ich hatte keine andere Wahl“, sagt die heute 50-Jährige. Sie arbeitete ein paar Jahre als Krankenschwester im Dorf und ging dann mit 18 Jahren ganz alleine nach Almaty, um weiter zu studieren. Eine ungewöhnliche Entscheidung, in einem Land, wo viele junge Menschen bei ihrer Familie leben. Doch Bakaschewa zuckt nur mit den Schultern. „Das waren andere Zeiten. Ich habe mir gesagt: Mach es einfach! Es muss mehr im Leben geben als nur mit der Familie zusammen zu sein und Kinder groß zu ziehen.“

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion arbeitete sie 20 Jahre in einer Poliklinik, bis sie im Jahr 2013 die Leitung des nationalen Anti-Doping-Centers übernahm. Heute hat sie viel Verantwortung, leitet ein Team mit mehr als 20 Mitarbeitern. Den Sport findet sie wichtig für die Gesellschaft in Kasachstan. „Es ist ein großer Teil des sozialen Lebens. Er hat eine Vorbildfunktion. Man kann damit einen gesunden Lebensstil propagieren, und Sport hat eine große Teambuilding-Funktion.“

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Was Bakaschewa jungen Frauen in Kasachstan rät, um erfolgreich zu sein? „Das wichtigste sind Persönlichkeit und Selbstvertrauen. Man muss rausgehen, sein Wissen und seine Expertise zeigen. Frauen haben es nicht leicht, und man muss immer wieder seine Position unterstreichen.“ Dabei dürfe man aber auch das familiäre Umfeld nicht vergessen: „Eine gute Familienstruktur ist wichtig. Wenn sich die Eltern nicht genug um die Kinder kümmern, spürt dies das Kind, und das führt zu einem Problem mit der Selbstakzeptanz“, meint sie.

Und noch etwas sei wichtig: Das eigene Wissen an die Töchter weiterzugeben. „Frauen haben ganz eigene Stärken. Sie sind viel flexibler, offener und haben ein besseres Gespür für ihre Mitmenschen. Eine Frau ist maßgeblich für das Klima in der Familie verantwortlich“, sagt Bakaschewa. „Gerade erst hat der Präsident das ,Jahr der Jugend’ ausgerufen. Es gibt so viele Programme, so viele Möglichkeiten! Doch wir Frauen müssen etwas für uns selber tun, die Chancen ergreifen, Initiative zeigen. Das liegt nicht in der Verantwortung der Regierung.“

Rund um den Frauentag findet in Almaty das FemAgora-Festival statt. Hier werden Frauenthemen  in Form von Filmvorführungen, Konzerten und Kunstausstellungen zu den Bürgern gebracht. „Wir wollen Feminismus mit Spaß vermitteln“, formuliert Leyla Machmudowa ein klares Ziel. Zusammen mit einigen anderen Mitstreitern organisiert sie das Festival. Den 8. März als internationalen Frauentag hält sie eigentlich für ein sexistisches Konstrukt. „Das Feiern der Weiblichkeit mit Blumen und Geschenken ist nicht das, was wir wollen. Das ist ein altes Frauenbild. Wir möchten den Tag mit Stolz begehen, weibliche Vorbilder zeigen, für Geschlechtergleichheit einstehen. Frauen und Männer können gemeinsam lernen. Gemeinsam einen Weg für neue Strukturen entwickeln“, ist junge Frau überzeugt.

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Deshalb ist die wichtigste Botschaft der Aktivistin: Sie möchten auf der FemAgora weibliche Vorbilder und ihre Arbeit zeigen. „Frauen sind so unterschiedlich. Es gibt Studentinnen, arbeitende Frauen, erfahrene Großmütter. Aber sie alle benötigen Vorbilder. Nicht in den Medien, sondern Frauen im direkten Umfeld, mit denen sie sich identifizieren können. Wir müssen uns fragen: Wer kann die nächste lokale Michelle Obama werden?“

Machmudowa, selbst im konservativen Süden des Landes aufgewachsen, ist eine der wenigen jungen Frauen, die eine konkrete Botschaft an die Regierung hat. „Die Regierung muss die Frauen endlich ernst nehmen und verstehen, dass wir nicht weniger in der Lage sind als Männer, die Dinge in die Hand zu nehmen.“ Sie glaubt, dass man sowohl „von oben“ als auch im direkten Umfeld mit der Arbeit ansetzen muss.

Außerdem müssten die von der Regierung eingesetzten Vertreter endlich ihre sexistische Haltung überdenken. „Neulich erst hat der Bürgermeister von Schymkent gesagt, dass die Gesellschaft wie eine Frau ist: Man muss ständig hingucken und sich um sie kümmern.“ Die junge Frau schüttelt mit dem Kopf angesichts dieses Alltagssexismus, der fest in Köpfen verankert zu sein scheint. Machmudowa hat sich fest vorgenommen gegen diese Grundhaltung anzukämpfen und aufzuklären. Gemeinsam mit männlichen Mitstreitern will sie den Frauen in Kasachstan andere Perspektiven aufzuzeigen. Davon würden schließlich alle profitieren, sagt sie weise lächelnd. „Weibliche Helden sind nicht nur für Frauen da, sie können Heldinnen für alle sein.“

Dieser Artikel ist im Rahmen eines Recherche-Stipendiums der Heinz-Kühn-Stiftung zum Thema „Frauenbilder- und Frauenrechte in Kasachstan“ entstanden.

Verena Lammert

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