Seit etwa einem Jahr führt der Amerikaner Dennis Keen Touristen durch Almaty. Inzwischen zählen seine „Walking Tours“ zu den beliebtesten Führungen der Stadt und sogar unter den Einheimischen hat Dennis sich einen Namen gemacht. „Was macht seine Führungen so besonders?“, wollte unser Autor wissen und begleitete Dennis auf einem seiner Spaziergänge.

Mittwoch 10 Uhr, die Morgenhitze liegt bereits über der Stadt. An der Metrostation Raimbek-Batyr hat der Tag längst begonnen. An Straßenkarren kann man Kaugummis, Taschentücher und andere reisenützliche Dinge kaufen. Der Busbahnhof ist direkt um die Ecke. Taxifahrer rufen die Namen verschiedener Zielorte durcheinander, Preise werden verhandelt, unterbrochen von immer wieder neu aufkommenden Hupkonzerten.

Dennis Keen trägt ein weinrotes T-Shirt mit der Aufschrift „WalkingAlmaty.com Алматы глазами инoстранца“ – Almaty durch Augen eines Ausländers. Zielstrebig überquert er die Straße, ihm hinterher zwei Amerikanerinnen. Er führt sie zu einem jungen Mann vor einem blauen Blechkasten. „Das ist ein Getränkespender, gebaut in der Sowjetunion“, erklärt Dennis den beiden Frauen, „wollt ihr probieren?„ Sie zögern zunächst und bestellen dann zwei Limonaden, die der junge Mann in Gläser zapft. Nach dieser Erfrischung springen die drei in einen der Busse Richtung Malaja Staniza. Dort beginnt die eigentliche Führung, die „Old Village Tour“, wie Dennis sie nennt.

Dennis Keen ist Amerikaner und Almatiner zugleich. Kaum jemand kennt die ehemalige Hauptstadt Kasachstans so gut wie der 28-Jährige. Das geben sogar die Einheimischen zu. „Warum der Amerikaner Dennis Keen mehr Almatiner ist als wir“, titelte beispielsweise ein Journalist aus Almaty seinen Artikel. Und tatsächlich ist Dennis eine Art Ikone in der südlichsten Großstadt Kasachstans. Immer wieder begegnet man Menschen, die nachfragen „Dennis Keen, der Amerikaner?“ und dann nicken, also wollten sie sagen „Ja ja , der ist einer von uns.“

Von der Pazifikküste ins Steppenland

Ein Getränkespender aus Zeiten der Sowjetunion, der Durstige mit Limonade versorgt. | Foto: Paul Toetzke

2013 zog Dennis aus seiner Heimatstadt Manhattan Beach in Kalifornien nach Almaty, um Kasachisch zu lernen. In den USA hatte er Sowjetische Geschichte studiert und begonnen, Russisch und Kasachisch zu lernen. In dieser Zeit lief Dennis kreuz und quer durch die Stadt, versuchte sich zu orientieren, Straßennamen zu sammeln und begann bald darauf, eigene Karten zu erstellen. Nach einem Jahr entstand seine Internetseite WalkingAlmaty.

„Dann haben einige Leute gesagt ‚Warum gibst du eigentlich keine Führungen?’“, erzählt Dennis. Seit letztem Sommer bietet er Stadtrundgänge für Touristen an. Im Internet sind sie heute die beliebtesten englischsprachigen Führungen. „Inzwischen bin ich bestimmt durch jede Straße in Almaty gelaufen“, sagt Dennis grinsend. Und mit jeder Straße meint er wirklich jede. Denn für ihn endet Almaty nicht am Grünen Basar. Selbst in den nördlichsten Stadtteilen, die die Einheimischen oft selbst meiden und nur „unten“ nennen – da sie bergabwärts liegen – kennt sich Dennis bestens aus.

„Warum hast du Malaja Staniza für deine Tour gewählt?“, fragt ihn Sarah, eine der beiden Amerikanerinnen, während der Busfahrt. „Weil das der Geburtsort Almatys ist“, antwortet Dennis. Dort sei die erste Festung, Werny, gebaut worden, um die herum dann die Stadt entstand, „das zukünftige Almaty“. Noch heute kann man dort die ältesten Häuser der Stadt finden. Auch deswegen ist diese Tour neben der „Food Tour“ auf dem Grünen Basar, bei der Dennis seine Gäste in die kulinarischen Besonderheiten Kasachstans einweist, die beliebteste Führung.

Kasachisch und UdSSR à priori

Unter neugierigen Blicken verlassen die Drei den Bus. Nicht viele Touristen verirren sich in diesen Teil der Stadt. Geduldig beantwortet Dennis jede Frage, übersetzt und erklärt den Einheimischen im Bus, was es mit seinem T-Shirt auf sich hat. Dass der gebürtige Amerikaner Russisch und Kasachisch spricht, sorgt dabei zunächst für ungläubige Gesichter, dann meist für Bewunderung. Vor einem modernen Veranstaltungsgebäude macht Dennis Halt. Hier sei früher die Verwaltung von Kollektivwirtschaften gewesen. Er gibt den beiden Amerikanerinnen einen kleinen Einblick in die Geschichte der Sowjetunion, die – wie er sagt – „unentbehrlich ist, wenn man Kasachstan verstehen will“.

Vorbei an kleinen, einstöckigen Häusern mit bunten Stabwerken und kleinen Gärten – den Dorfcharakter kann man hier bereits spüren – führt Dennis die zwei Frauen zu der orthodoxen Kirche, zur „Mutter Gottes von Kasan“. „Diese Kirche ist besonders wichtig für die Bewohner Almatys, weil sie für den Widerstand gegen die Kommunisten steht. Einer der Priester hat sich sogar selbst verbrannt aus Protest“, erklärt er. Trotzdem wurde das Gebäude nicht zerstört, schon 1941 kam es zur Wiedereröffnung, wahrscheinlich als Zugeständnis an die Bevölkerung.

Im Inneren des Gotteshauses erhalten die beiden Amerikanerinnen eine kurze Lehrstunde in Sachen orthodoxer Symbolik. Keine Frage bleibt unbeantwortet. Wenn sich Dennis nicht sicher ist, fragt er jemanden vor Ort. Viele kennen ihn schon, begrüßen ihn, nicken ihm zu. „Ich spreche gerne mit Fremden“, sagt er, „Ich glaube, jeder Mensch hat ein Geheimnis.“ Und nicht wenige teilen ihres mit Dennis. Gerade deswegen kann er seinen Gästen so viele Anekdoten erzählen.

Auch „dumme“ Fragen erlaubt

Dennis führt durch die orthodoxe Kirche “Zur Mutter Gottes von Kasan“. | Foto: Paul Toetzke

Das wissen auch seine heutigen Tourteilnehmerinnen zu schätzen. Sarah arbeitet seit einigen Monaten als Englischlehrerin in Almaty. „Bevor ich hierhergekommen bin, habe ich versucht, Informationen über die Stadt zu finden“, sagt sie, „aber das war fast unmöglich.“ Dann fand sie WalkingAlmaty. Zuerst nahm sie an Dennis’ Tour über den Grünen Bazar teil. „Das war super, weil von da an wusste ich genau, was was ist, was ich essen kann und was nicht.“ Außerdem – das verrät sie am Ende der Tour – könne sie Dennis Dinge fragen, „dumme Fragen“, die sie anderen nicht stellen würde.

Nächste Station ist der lokale Basar, der älteste in Almaty. Er existierte lange vor dem heute bekannteren Grünen Basar im Zentrum der Stadt. Früher hätten die meisten Menschen hier in den Kollektivwirtschaften gearbeitet, heute seien viele von ihnen Selbstversorger, erzählt Dennis. Die Arbeitslosigkeit ist dementsprechend hoch in Malaja Staniza. Die drei bummeln zwischen den Obst– und Gemüseständen hindurch. Hier und dort halten sie an, Dennis fragt nach den Preisen. „Der hier mag mich nicht so gern“, sagt er, während er zu einem der Stände hierüber nickt, “weil die meisten seiner Gäste am Ende doch nichts kaufen“. Er lächelt.

Almatys inoffizieller Botschafter

Vor einem der Häuser hinter dem Basar hält er und zeigt auf die Verzierungen auf der Fassade, in diesem Fall ein blauer Schwan. „Die meisten Häuser hier sind Ende des letzten Jahrhunderts entstanden“, erklärt er. Plötzlich öffnet die Bewohnerin das Tor und ruft Dennis heran. Ein kleines Schwätzchen, „das sind Touristen“, ein Handschlag. Alles geklärt. „Die meisten Bewohner hier kenne ich schon. Die wundern sich nicht mehr, wenn eine Gruppe Menschen ihr Haus betrachtet“, fügt Dennis danach hinzu.

Nach dem etwa zweistündigen Spaziergang kehren Dennis und seine zwei Gäste zur Bushaltestelle zurück. Was macht seine Führungen so besonders? „Ich glaube, ich bin in einer einzigartigen Position“, antwortet Dennis, „einerseits sehe ich die Stadt durch die Perspektive eines Touristen, anderseits kenne ich mich gut aus in der Geschichte und Architektur. Vielleicht ist es das?“ Die beiden Amerikanerinnen stimmen zu. Sie sind zufrieden, die 30 Dollar pro Person sind gut investiert.

Dennis verabschiedet sich, er muss sich beeilen. Gleich hat er den nächsten Termin, diesmal im Filmstudio, wo er die Fernsehsendung „Discover Kazakhstan“ produziert. Danach gibt er Englischunterricht an einer Sprachschule, die er mit seiner Frau Adisa gegründet hat. Kaum eine Verschnaufpause für den Almatiner aus Amerika.

Paul Toetzke

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