Man kann sie Ritual nennen und nicht unbedingt mögen, doch im politischen Leben Kasachstans spielt sie eine wichtige Rolle: die jährliche Botschaft des Präsidenten an sein Volk. Auch in diesem Jahr wurde – ausgehend von einer Bilanz der Situation – ein Ausblick auf die Zukunft und die Bemühungen des Staates gegeben, diese erfolgreich zu gestalten.

Die aktuelle Situation ist aber bekanntermaßen eine andere als die in den letzten Jahren. Damals konnte der Präsident berechtigt Optimismus verbreiten und eine Verbesserung des Lebensniveaus versprechen. Das war auch gerechtfertigt, denn schließlich sprudelten die Einnahmen aus dem Ölgeschäft fast schon zu gut. War damals der Optimismus sozusagen automatisch eingepreist, musste er doch in diesem Jahr kräftig aufpoliert werden, um auch die erhoffte Wirkung zu entfalten.

Um trotz heftiger Krisenerscheinungen die vom Präsidenten versprochene Stabilität der Gesellschaft wirklich gewährleisten zu können, muss die Politik in nächster Zeit besonders hart arbeiten. Die Regierung kann dazu im finanziellen Bereich erst einmal auf das Polster des Nationalen Reservefonds zurückgreifen. Seine Schaffung im Jahre 2000 war zwar eine umstrittene, aber aus heutiger Sicht kluge Entscheidung. Klar, auch Reserven reichen nicht ewig, aber bei den heutigen Ölpreisen könnte Kasachstan mit den noch verbliebenen Mitteln immerhin bis zu zwei weitere Jahre seinen Staatshaushalt stabilisieren. Deutschland, wie auch die meisten anderen Industriestaaten der Welt, hat keinen solchen Stabilisierungsfonds und muss sich deshalb zum Begleichen der wachsenden Staatsausgaben auf den Kapitalmärkten hoch verschulden.

Doch des Optimismus kann auch zu viel verbreitet werden. In der Botschaft wird richtigerweise die aktuelle Weltwirtschaftskrise als Problem auch für die hiesige Wirtschaft zitiert. Es fehlt meines Erachtens jedoch der Hinweis auf die eigene Krise im Immobiliensektor, die deutlich vor der Weltkrise begonnen hat. Eine der Ursachen für die eigene Krise war wohl auch der übertriebene Optimismus in den Zeiten des Wirtschaftsbooms. Dort konnte bekanntlich vieles nicht schnell genug, grandios genug und radikal genug zugehen, und das besonders im Bauwesen. Nun muss der Staat einspringen, weil er zuvor oft genug weggeschaut und deutlich erkennbare Krisenmerkmale wie die Immobilienblase ignoriert hat. Sicher hätte die Weltkrise Kasachstan auf jeden Fall getroffen, aber die Wirkungen hätten um ein paar Prozente geringer ausfallen können.

Eine „Hätte-wenn-Diskussion“ hilft jetzt kaum weiter. Dennoch sollten die nun vorgesehenen Maßnahmen und finanziellen Mittel sehr durchdacht und sorgfältig angegangen werden. Es ist meines Erachtens kein gutes Zeichen, wenn Kasachstan zu den Ländern gehören wird, die in Relation zu ihrem BIP am meisten für Bankenrettung und Wirtschaftsbelebung ausgeben. Zum einen ist das Ausdruck für erhebliche Probleme, zum anderen beweist die weltweite Praxis von Krisenbewältigung und Konjunktursteuerung der vergangenen Jahrzehnte, dass die staatlichen Hilfsmittel die gewünschte Wirkung eher nicht oder nur mit unvertretbar hohem Aufwand – bei langfristigem Ansteigen der Staatsverschuldung – erreicht haben.

Staatliches Geld auszugeben ist leicht und verlockend. Sicher kann mit viel Geld aus dem Staatshaushalt im Baubereich eine stattliche Anzahl von Arbeitsplätzen gesichert werden. Das werden diejenigen uneingeschränkt begrüßen, die davon profitieren. Es ist auch klar, dass der Zustand der technischen Infrastruktur und öffentlicher Einrichtungen in Kasachstan viel baulichen Nachholbedarf aufweist. Mehrere hundert Schulen befinden sich in eigentlich nicht benutzbarem Zustand. Ironischerweise könnte man sagen: „Gut, dass wir in der Vergangenheit nicht genug investiert haben, so haben wir jetzt wenigstens etwas zu tun.“
Doch die hiesige Praxis zeigt auch, dass man heftige Fehler machen kann. So sind einige in den letzten Monaten bereits neugebaute Schulen schon wieder abrissreif, weil bautechnische Grundregeln wie die Einhaltung der Trockenzeit von Beton nicht beachtet wurden. Wenn man davon ausgeht, dass bis zu 350.000 Arbeitslose im Baubereich beschäftigt werden sollen, sind natürlich die Meisten davon keine Bauexperten. Gutgemeinte Finanzhilfen und Arbeitsbeschaffung um fast jeden Preis können sehr leicht verpuffen. Daneben ist durch ein renoviertes Schulgebäude, so sehr es zur Erhöhung der Lernfreude beitragen mag, an sich noch keine wirksame Verbesserung des Ausbildungsniveaus gegeben. Dazu muss man schon langfristig in die Ausbildung guter Lehrer und gut ausgestatteter – nicht nur frisch gestrichener – Schulen investieren. Und das in guten wie in schlechten Zeiten.

Bodo Lochmann

20/03/09

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