Der Ethnologe Jesko Schmoller (29) lebt seit Sommer 2006 in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. In seinem zehnten Bericht schildert er eine Reise ins Fergana-Tal.
Da ist der Junge auf dem Fahrrad wieder. In der letzten Stunde ist er wiederholt in meiner Nähe aufgetaucht, hat herübergeschaut, ein paar Runden gedreht, um schließlich fortzuradeln. In Taschkent wäre das ungewöhnlich, aber in Kokand wirke ich sonnenbebrillter Westler in Shorts wahrscheinlich so normal wie ein flanierendes Mondkalb. Zumindest zwei weitere Exemplare meiner Art halten sich derzeit noch in Kokand auf, wie mir mehrere Einheimische voll Hilfsbereitschaft erzählen. Obwohl einst Hauptstadt des Khanats gleichen Namens ist das am Westrand des Fergana-Tals gelegene Kokand keine Station auf der Route des durchschnittlichen Usbekistan-Touristen.
Wie ich von hier aus zur Freitagsmoschee komme, möchte ich von dem Jungen wissen. Nun hat er eine Aufgabe und setzt sich in Bewegung. Ich folge ihm in ein Netz von Gassen einer fremden Mahalla. Die Menschen im Fergana-Tal sind sichtbar religiöser als anderswo in Usbekistan. Das lässt sich schon an den weißen Kappen erkennen, die leicht erhöht auf dem Hinterkopf vieler Männer sitzen. Ein bisschen unwohl ist mir schon, wie ich meinem Führer hinterherstapfe, entlang kahler Lehmmauern immer tiefer in ein stilles Wohnviertel hinein. Nun hält er mit dem Pedaletreten inne, so dass ich aufschließen kann. „Sie hat gelogen“, vertraut mir der Junge an. „Wer denn bitte?“, frage ich stirnrunzelnd. „400 Sum kostet das Wasser, nicht 600. Sie hat gelogen.“ Mir geht auf, dass er von der Wasserverkäuferin spricht, bei der ich mich mit einer Flasche Mineralwasser versorgt habe. Dann gleiten die Lehmmauern vor meinen Augen auseinander, und ich trete auf eine Hauptstraße. Die Kuppel der Freitagsmoschee glänzt silbern in der drückenden Abendhitze.
Das Innere der Moschee ist erfüllt vom Gemurmel einer Vielzahl von Knirpsen, die über ihre arabischen Koranausgaben gebeugt sitzen. Ein weißgewandeter Scheich mit orangefarbenem Bart schreitet vorüber, scheint kurz unschlüssig, ob er den Westler begrüßen soll, geht dann aber würdig und ernst seines Weges. Alles in allem ein Bild von Religiosität, wie ich es in Taschkent nie zu Gesicht bekommen habe.
Zwei Tage später und auf dem Weg nach Namangan, weiter ins Zentrum des Tals. Ich steige aus dem Wagen meiner Gastgeber, und zusammen schlendern wir eine Reihe von Stufen hinunter, vorbei an ein paar Teehäusern, zu einer Wasserquelle. Da hocken lauter Frauen in farbigen Kleidern, beten, lassen Münzen ins Wasser fallen und interpretieren die sich auf der Oberfläche bildenden Ringe. Fotografieren dürfe man hier aber nicht, erklärt eine Aufseherin. Wieso denn, schließlich sei ich Archäologe, mit Geschichte und so was beschäftigt eben, gibt mein Gastgeber zurück. Ethnologe, möchte ich verbessern, will aber die Frau nicht unterbrechen, die jetzt, bereitwillig und nicht ohne Stolz, zu erzählen beginnt. An der Quelle werde eine Heilige aus Arabien verehrt, die vor langer Zeit Usbekistan besucht habe. Man könne einen Wunsch machen und wenn man im Traum die Quelle in Flammen stehen sehe, würde der Wunsch in Erfüllung gehen. Ich bezweifle, dass mir ein derartiger Traum gelingt und verzichte deshalb von vornherein auf einen Wunsch. Auf dem Rand der die Quelle umgebenden Mauer sitzend, schaue ich mit den anderen in die Tiefe. „Siehst Du, jetzt kräuselt sich die Wasseroberfläche. Das tut sie nur in Anwesenheit eines guten Menschen“, meint mein Gastgeber. Finde ich ja ein nettes Kompliment, und weil ich seine höfliche Bemerkung nicht entwerten möchte, unterlasse ich einen Hinweis auf die münzwerfenden Frauen als Ursache der bewegten Wasseroberfläche.
13/07/07