Der Begriff der Krise ist nicht genau definiert. Jeder kann letztlich darunter verstehen, was er will. Was für den einen eine handfeste Krise ist, ist für den anderen vielleicht nur eine kleine Unregelmäßigkeit. Diese Relativität des Begriffes erschwert es auch, zu beurteilen, ob sich im Moment das kasachische Bankensystem in einer Krise befindet oder nicht.

In den letzten Wochen ist von verschiedenen Seiten immer wieder betont worden, dass die Liquiditätskrise in der Weltgeldwirtschaft Kasachstan nicht wirklich berühre. Dem entgegen steht allerdings eine Reihe ziemlich hektisch einberufener und hochkarätig besetzter Treffen von Bankern und Politikern in den letzten Tagen. Es ging dabei um nicht weniger, als die Unterstützung des Bankensystems und des Bausektors in Kasachstan mit frischem Geld. Damit soll eine Krise – was das auch immer konkret sein mag – in diesen wichtigen Sektoren abgewendet werden. Die Erfahrung scheint sich also wieder einmal zu bewahrheiten: Je lauter gerufen wird „Wir haben keine Krise“, umso näher ist sie.

Was ist denn nun eigentlich passiert mit dem kleinen Wirtschaftswunder in Kasachstan? Wie steht es um den in der Vergangenheit immer wieder (allerdings nicht durch mich) gelobten Bankensektor? Schließlich ist Kasachstan nun wirklich kein wesentlicher Bestandteil der internationalen Geldmärkte, sondern nimmt trotz hoher Zuwachsdynamik noch auf längere Zeit einen peripheren Platz ein. Antworten kann man unterschiedliche geben. Am globalsten ist die: Die Globalisierung der Geld- und Finanzmärkte hat auch Kasachstan erreicht, trotz seiner momentanen peripheren Position.

Der Auslöser der momentanen Probleme, deren Ende noch nicht absehbar ist, liegt in den USA und ist in den vergangenen Jahren oft warnend benannt und analysiert worden: Die hohe Vergabe von Immobilienkrediten an eigentlich nicht kreditwürdige Kunden. Das sollte ja wohl ein amerikanisches Problem sein, das nicht zwangsläufig auf die ganze Welt überschwappt! Die Sachlage ist aber anders. Die Risikokredite wurden überwiegend nicht in den Bilanzen der die Kredite vergebenden Banken eingestellt, sondern in Extrapositionen gebündelt. Diese wurden aus den offiziellen Finanzunterlagen der Banken ausgegliedert und als Einzelprodukt an Investoren der ganzen Welt verkauft. Oft genug aber haben diese das hohe Risiko dieser „Subprime“-Kredite gar nicht gekannt, manchmal auch nicht kennen wollen. Die Aussicht auf Extraprofit hat eben zu oft das Denken vernebelt. Darüber hat der alte Marx schon im „Kapital“ sinniert und davor gewarnt. Doch wer der heutigen Bankiers kennt Marx oder glaubt gar seiner Erfahrung?

Nun haben die Nationalbanken der großen Industriestaaten schnell reagiert und die Leitzinsen für neue Kredite entweder gesenkt oder nicht weiter angehoben. Dadurch wurde das Entstehen einer Liquiditätskrise infolge der ausbleibenden Rückzahlungen von Kreditnehmern verhindert. Doch was heißt hier Liquiditätskrise? Diese hat es eigentlich nicht gegeben. Geld war und ist genug da, es wird nur entgegen den sonstigen Geschäftsgewohnheiten nicht mehr an andere Banken oder Kreditnehmer verliehen, weil niemand sagen kann, ob der Geschäftspartner morgen noch zahlungsfähig ist. Es ist eine Informationskrise und, dadurch ausgelöst, eine Vertrauenskrise, die wir gegenwärtig beobachten. Keiner weiß, was und wie viel der Andere aus seinen Bilanzen genommen hat, um die Finanzlage zu schönen. Deshalb auch lieber Vorsicht mit neuen Krediten. Schließlich mussten weltweit schon einige Banken in letzter Sekunde vor dem Zusammenbrechen gerettet werden.

Der ganze Schlamassel kommt nun über die hohe Summe von Krediten nach Kasachstan, die die meisten hiesigen Geschäftsbanken bei westlichen Geschäftsbanken aufgenommen haben. Immerhin 40 Milliarden Dollar – etwa die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes Kasachstans – sind so zusammengekommen. Nun haben diese westlichen Banken kalte Füße bekommen. Sie geben entweder keine neuen Kredite mehr oder wollen die ausgereichten möglichst schnell zurück.

Krise hin, Krise her – ein schwerwiegendes Problem ist das alles für den kasachischen Bankensektor allemal. Es ist noch lange nicht sicher, ob die Probleme auf den Weltgeldmärkten bis zum Jahresende ausgestanden sind. Davon sind die Teilnehmer der genannten Krisensitzungen ausgegangen. Wenn man Glück hat, ist die Krise bis zum Jahresende überwunden. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht. Ihre Hausaufgaben machen sollten die kasachischen Banken aber allemal. Das heißt vor allem, alle Geschäftsprozesse in den Bilanzen auszuweisen. Auch die weniger erfreulichen. Zusätzlich aber müssen die Kreditvergabekriterien verschärft werden, auch wenn es Proteste der Realwirtschaft geben wird.

Bodo Lochmann

05/10/07

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