Das schnelle Tempo, das Metropolen weltweit vorlegen, kann oft sehr kräfteraubend sein. Weltweit wächst die Anzahl der von Burn-Out Betroffenen, gleichzeitig redet man von sogenannter „Entschleunigung“ des rasanten Lebenswandels zwischen Job und Privatleben. Dabei kann ein erzwungenes Sommerloch helfen, aber viele Menschen suchen ein bewusstes Abschalten – seit einigen Jahren auch in Zentralasien. Unsere Autorin hat sich dorthin begeben, wo Menschen Alternativen zum Alltag suchen.
Das Leben in pulsierenden, zentralasiatischen Großstädten wie Almaty hat zweifelsohne viel zu bieten an Chancen, Möglichkeiten und Entertainment. Die südliche kasachische Hauptstadt ist nicht so hektisch wie London oder New York und lebt in einem zentralasiatisch-gemütlicheren Rhythmus. Nichtsdestotrotz suchen auch hier immer mehr Menschen nach Wegen, sich aus dem städtischen Leben auszuklinken, um endlich ein wenig abschalten zu können. Man hat vermehrt das Bedürfnis, den Input von außen zu minimieren, um wieder ruhiger an die Aufgaben des Lebens herantreten zu können.
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Auszeit vom Stress der Großstadt
Der Wunsch, sich von der erfolgsorientierten, schnelllebigen Konsumgesellschaft, die auch im postsowjetischen Raum den Alltag bestimmt, abzugrenzen, besteht bei vielen.
Zeit zu haben, Bewusstsein für die bedeutenden Dinge im Leben zu entwickeln, Werte aufzubauen und zu stärken, Nachhaltigkeit zu fördern – das sind Themen, die in den letzten Jahren auch für viele Stadtbewohner immer wichtiger geworden sind. Einige der Bewohner Almatys schätzen sich glücklich, dass ihnen durch das FourE-Festival jedes Jahr die Gelegenheit geboten wird, diesen Bedürfnissen zumindest kurzfristig nachzugehen.
Das FourE Festival wurde dieses Jahr vom 18. bis zum 24. August bereits zum achten Mal veranstaltet. Nun schon das zweite Jahr in Folge fanden sich die Besucher im Almaty Horse and Polo Club ein, einem weitläufigen Areal mitten in den Bergen. Die Ortswahl erscheint perfekt, um für ein paar Tage auszuspannen und den Alltagsstress für ein Wochenende, bzw. dieses Jahr auch erstmals eine ganze Woche, hinter sich zu lassen.
Anna Gurajewskaja (29) genießt es nun schon seit 2013, von ihrem Alltag als Marketing-Koordinatorin im Bildungsbereich abzuschalten: „Ich liebe die Atmosphäre des Festivals! Weit weg von der Stadt und vom Alltag sind die Menschen viel entspannter und glücklicher und haben einen positiven Blick aufs Leben.“ Doch was bietet das FourE genau?
Ein Festival mit vielen Facetten
FourE steht für „Eco, Ethno, Emotion & Evolution“. Die Veranstaltung versucht also, den Fokus der Teilnehmer vom äußeren Überfluss auf die eigene innere Gefühlswelt, auf das Wesentliche, das Ursprüngliche zu lenken. Es soll genau das geboten werden, was in unserer hektischen Welt oft zu fehlen scheint. Eine ganze Woche hindurch werden Workshops zu verschiedensten ökologischen und umweltbezogenen Themen geboten.
Wer schon immer einmal Mal– und Töpferunterricht besuchen wollte, Meditationsmöglichkeiten sucht, und sich Vorträge zu Ernährung (z.B. Veganismus) und Ethik anhören wollte, kann hier fündig werden. Es werden Tanzstunden angeboten, und in einem der Zelte befindet sich sogar ein kleines Fitnessstudio, inklusive Zumba– und Crossfittrainer, und mit vielfältigem Fitnessprogramm.
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Künstliche Paradiese
Im Westen, aber z.B. auch im Ursprungsland der Meditation – Indien – ist ein solches Angebot bereits in tausendfacher Ausführung vorhanden. Menschen dort können scheinbar unendlich vielen Arten von Festivals, „Retreats“ uvam. beiwohnen. In Zentralasien ist dies nicht nur am Festivalgelände, sondern auch in einer natürlichen Umgebung möglich. Entfernt man sich nur weit genug von den Großstädten, stößt man auf entlegene Dörfer und Naturparadiese. Seit einigen Jahren kann man zusätzlich auch immer mehr Jurten– oder Eco-Dörfer entdecken. Und eben auch Festivals und andere temporäre Events wie das FourE gewinnen an Popularität bei den verschiedenen Generationen.
Wie bei seinen ausländischen Pendants ist das FourE offen für alle Altersstufen. Man trifft auf dem Festival Teenager und Mittzwanziger an, genauso aber auch Familien mit Kleinkindern und Babys, und sogar die Altersgruppe 60+ ist dort vertreten. Das Festival bietet wirklich für jede erdenkliche Altersgruppe ein passendes Programm. Nicht nur den Kindern ist es auf dem Festival vergönnt, ihre spielerische Seite ausleben zu dürfen, auch die Erwachsenen haben dort die Möglichkeit, für kurze Zeit wieder zum Kind zu werden. Man sieht viele bunte Haare und Kleider und manch einer nutzt die Gelegenheit, sich als Fee oder als ein anderes Fabelwesen zu verkleiden.
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Alles, was das Anti-Konsum-Herz begehrt
Auch musikalisch wird ein breites Spektrum geboten. Der Ethnofokus des Festivals lässt zwar erahnen, dass dort vielerorts Gongklänge und Meditationsmusik zu hören sind, aus dem ein oder anderen Veranstaltungszelt kann man allerdings auch Drum‘n‘Bass, R‘n‘B oder die aktuellen Charts vernehmen. Am Wochenende wurden zusätzlich noch auf der großen Hauptbühne Konzerte von internationalen Künstlern angeboten.
Nicht nur musikalisch, sondern auch kulinarisch ist dort für alle Geschmäcker etwas zu finden: Auf dem Hauptplatz des Festivalgeländes drängen sich Essensstände mit lokalem und internationalem Essen; es gibt Stände mit Kaffee und den gerade so beliebten Cake Pops und auch einige Buden, bei denen man antialkoholische Cocktails kaufen kann. Passend zu den Vorträgen zu einem gesünderen Lebensstil wird am Festivalgelände nämlich kein Alkohol ausgeschenkt und kein Tabak verkauft – einer der Gründe, warum dieses Festival so familiengerecht ist.
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„Mir gefällt es sehr gut, dass man dort an einem Ort so viele Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung hat. Es gibt so viele Lesungen, so viel Wissen und so viele Spezialisten. Ich persönlich habe es sehr genossen, dass das Festival in den Bergen stattgefunden hat. Meiner Meinung nach war die Location, die sie für dieses und letztes Jahr ausgewählt haben, perfekt!“, schwärmt Anna. Als gestresste Städterin inmitten von Natur allem nachgehen zu können, was Herz und Seele begehrt – so kann man Luft holen.
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Letztlich suchen Menschen das, was ihnen einst sehr eigen war – Natur und den Einklang mit der Natur. Kasachstan gehört zu den Ländern, in denen so etwas aber tatsächlich auch abseits von Ethnofestivals existiert. Dass man in einem Aul jedoch von Fleisch und Alkohol verschont bleibt, ist nahezu ausgeschlossen. Damit erklärt sich das Bedürfnis nach künstlich erschaffenen Fluchtorten einmal mehr. Kein Wunder, dass diese bei Stadtbewohnern, wie denen aus Almaty, so beliebt sind.