Hakenkreuze gegen Flüchtlingskinder, Neonaziaufmärsche „für Groß und Klein“ und eine überforderte Lokalpresse – im ländlichen Mecklenburg-Vorpommern sind Asylsuchende besonderen Gefahren ausgesetzt. Eine Gruppe Journalisten ist auf Reise in den Noeonazihochburgen.
350 Polizisten in Kampfmontur patrouillieren durch die Güstrower Altstadt, junge Männer in Springerstiefeln und Bomberjacken führen ihre Kampfhunde an leer stehenden Geschäften vorbei, auf der anderen Straßenseite schieben Ehepaare Kinderwagen über das Kopfsteinpflaster Richtung Marktplatz. Sie alle haben das gleiche Ziel: Die Initiative „Güstrow wehrt sich gegen Asylmissbrauch“ hat zu einer Versammlung aufgerufen. Was sie einen „Fackelumzug für Groß und Klein“ nennt und im Internet mit Fotos von leuchtenden Laternen an niedlichen Hölzern bestückt ist in Wahrheit ein Neonaziaufmarsch hinter der Tarnung eines Sankt-Martin-Umzugs.
Treffen wie diese würden in vielen Gebieten Deutschlands Ausnahmezustand bedeuten. In den ländlichen, strukturschwachen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns gehören sie zum Alltag. Einen Anlass finden die Rechtsextremen fast jedes Wochenende. Diesmal ist es eine Bustour, die Journalisten überregionaler Medien auf die Lebenssituation von Asylsuchenden aufmerksam machen will, die in den Flüchtlingsheimen in Neonazihochburgen wie Güstrow, Anklam und Ludwigslust untergebracht sind.
Im Güstrower Begegnungshaus Villa Kunterbündnis haben die Bustour-Veranstalter „Lola für Ludwigslust“ und „Schutzschild“ der Amadeu-Antonio-Stiftung ein Treffen mit Flüchtlingen organisiert. Die Männer aus Mauretanien, Ghana oder Eritrea erzählen, wie sie auf der Straße von Einwohnern angefeindet, beschimpft, mit leeren Dosen oder Gemüse beworfen werden oder auf dem Weg zum Einkaufen in ausgestreckte Mittelfinger blicken. Manchmal werde den Afrikanern auch „Ebola“ entgegengerufen. Nachts trauten sie sich kaum mehr auf die Straße.
Dass Angst vor Fremden, Misstrauen gegenüber anderen Nationalitäten und Religionen und Vorurteile ein fruchtbarer Nährboden für die Agitation von rechts sind, ist bekannt. Neu ist, dass diese Initiativen zugenommen haben. Das Innenministerium verzeichnet, dass mittlerweile mehr als zwei Drittel aller politisch motivierten Straftaten in Mecklenburg-Vorpommern von der rechten Szene verübt werden. „Es ist zu erwarten, dass die rechtsextremistische Szene vor allem das Thema Asyl und die steigenden Asylbewerberzahlen verstärkt für ihre Hasspropaganda und Provokationen nutzen wird“, sagt Innenminister Lorenz Caffier.
Neu sind auch die subtileren Methoden, mit denen die Neonazis vorgehen. Der „Fackelumzug für Groß und Klein“ in Güstrow wurde von einer Frau angemeldet. Unter dem Motto „Kinder sind unsere Zukunft“ führen NPD-Frauen als besorgte Mütter mit Kinderwagen immer häufiger die ersten Reihen der Demonstranten an. „Frauen und Kinder sollen den Veranstaltungen einen harmlosen Anschein geben, die Szene profitiert davon, dass sie oft unterschätzt werden“, sagt Stella Hindemith von „Lola für Ludwigslust“, die die Bustour organisiert hat. „Mit solchen familienfreundlichen Veranstaltungen kriegen sie auch Leute, die sonst nicht an der NPD interessiert sind.“ Orte mit wenig zivilgesellschaftlichem Engagement für Flüchtlinge seien für diese Propaganda besonders anfällig.
Genau an diese Orte soll die Bustour die Journalisten bringen. Städte wie Anklam, in denen es keine Bürgerinitiativen gibt, keine interkulturellen Sommerfeste, keine Gesprächsabende, die die Bevölkerung in Kontakt mit den Flüchtlingen bringen. Anklam hat eine Arbeitslosenquote von fast 20 Prozent und keine Universität wie Rostock, wo Studenten oft Initiativen unterstützen. Wenn die NPD hier erst einmal, wie kürzlich geschehen, einen „Leitfaden zum Umgang mit Asylanten in der Nachbarschaft“ mit Tipps wie „Nie ohne deutsche Zeugen mit Asylanten sprechen“, „Bekanntschaften schließen lohnt sich nicht“ und „Bloß keine Geschenke machen“ in Briefkästen wirft, kommen andere Parteien oder Presse kaum hinterher, gegenzusteuern.
Als der Bus vor dem Flüchtlingsheim in Anklam hält, zeigen die Bewohner den Journalisten ihre Unterkünfte und erzählen auch hier bereitwillig, wie es ihnen in ihrem Umfeld geht. Eine Mutter aus Syrien lebt mit ihren zwei Söhnen in zwei kleinen, sauberen Zimmern. Sie sind aus Damaskus geflohen, ihren Mann hat sie bei der Ankunft in Italien verloren. Bis heute hat sie keinen Kontakt zu ihm. Vor einiger Zeit lief sie mit ihrem Jüngsten zum Kindergarten. Eigentlich habe er es leichter, weil seine Haare ungewöhnlich hell sind für ein arabisches Kind. Doch an diesem Tag seien sie Leuten begegnet, die laut geschimpft hätten. Schließlich habe einer mit Kreide ein Hackenkreuz vor Mutter und Kind auf die Straße gezeichnet.
Viele der Flüchtlinge erzählen ähnliche Geschichten. Sie sind dem Krieg entkommen und in der Krise gelandet. Isoliert, meist in Industriegebieten am Stadtrand, warten sie zum Teil jahrelang auf eine Aufenthaltserlaubnis. Haben sie dann noch das Pech in einer braunen Hochburg zu landen, sind sie zusätzlich den Anfeindungen der Neonazis ausgesetzt. So haben sie sich Deutschland nicht vorgestellt.
Vor dem Heim in Anklam warten aber nicht nur die Flüchtlinge, um den Journalisten ihre Eindrücke zu schildern. Auch Jörg Wojciechowski will seine Sicht der Dinge an die Öffentlichkeit bringen. Der ältere Mann im blauen Anzug ist der Regionalleiter des Flüchtlingsheim-Betreibers European Homecare. In der Region Vorpommern-Greifswald stellt die Firma vier Unterkünfte für etwa 550 Flüchtlinge. Obwohl es ein Wochenende ist und die Organisatoren der Bustour ihn nicht angefragt haben, will er eine Führung durch das Heim geben. Seit dem Skandal in Burbach, bei dem Wachpersonal von European Homecare Flüchtlinge misshandelt haben soll, hat er einiges zu verlieren und noch mehr zu kitten. Er will seinen Arbeitgeber von der besten Seite präsentieren.
Ob er von rechtsextremen Übergriffen auf Bewohner der Notunterkunft wisse? „Da gibt es nix“, sagt Wojciechowski und lächelt freundlich hinter seiner Brille hervor, „die lassen uns in Ruhe.“ Und der Hackenkreuz-Vorfall? „Ach, ja, da sind vielleicht zwei oder drei Pappenheimer, aber die haben wir unter Kontrolle.“ Wir, damit meint er seine Firma und die Polizei, mit denen sie „super zusammenarbeiten“. Dass sich in der Region regelmäßig Hunderte „Pappenheimer“ treffen, um gegen Ausländer zu hetzen, die fast ausnahmslos alle schon Opfer von Beschimpfungen oder Übergriffen geworden sind, davon will der Heimleiter, zumindest im Gespräch mit der Presse, nichts wissen.
Auch die Presse vor Ort ist oftmals erst an Flüchtlingen interessiert, wenn es zu Unruhe in den Heimen, Schlägereien oder Straftaten kommt. Kein Pressevertreter aus der Region nimmt an der Bustour teil. Wo stecken die Lokaljournalisten, wenn der Kontakt zu Flüchtlingen schon einmal hergestellt ist, Übersetzer bereitstehen und die Erlaubnis der Heimleitungen vorliegt? „Manche Redaktionen vor Ort sind so konservativ ausgerichtet, dass sie kein Interesse an persönlichen Treffen mit Flüchtlingen haben“, sagt Organisatorin Stella Hindemith. NGOs kritisieren manche Medien dafür, Nationalitäten von Straftätern zu nennen, was zu Vorurteilen gegen Minderheiten führe.
Andere Pressevertreter würden gerne mehr leisten, ihnen fehlt es aber an Kapazitäten. So schickt die Schweriner Volkszeitung zwar Reporter nach Ludwigslust und Güstrow, kann den Termin in Anklam aber nicht besetzen. Anders als in überregionalen Redaktionen verfügen Lokalredaktionen meist nicht über Fachexperten oder Reporter, die einen ganzen Tag für die Recherche freigestellt sind.