Das Warten für die Almatiner Kunstszene hat sich gelohnt. Nach jahrelangem Umbau und mehrfachen Verzögerungen öffnete am 5. September das Zelinnyj Zentrum für zeitgenössische Kunst (Tselenni Center of Contemporary Art) in Almaty erstmalig die Tore seiner neuen Werkstätte. Ein ganzes Wochenende lang wurden hier vielseitige Performances und mehrsprachige Führungen angeboten.

Kasachstans erste private Kultureinrichtung wurde bereits 2018 vom Unternehmer Kairat Boranbajew gegründet. Der Umbau und die Renovierung des alten Zelinnyj-Filmtheaters, das künftig ein Kunstzentrum beheimaten sollte, dauerte jedoch sechs Jahre bis zu seiner Fertigstellung.

Glanz und Tragik des alten Zelinnyjs

Das Zelinnyj-Filmtheater ist für viele Menschen in Almaty und darüber hinaus ein Begriff. Eröffnet wurde Zentralasiens größtes sowjetisches Kino im Jahr 1964 und sehr schnell wurde es auch zu einem der beliebtesten. Mit seiner großen Glasfassade lud es von der Straße her die Passant:innen ein, einzutreten. Im Inneren erwarteten die Besucher:innen beeindruckende Sgraffitos, die Szenen aus dem traditionellen kasachischen Leben zeigten.

Die Kinovorführungen im Zelinnyj ähnelten eher denen eines Theaters: so wurde zur Ankündigung des Filmbeginns dreimal die Glocke geläutet. Anschließend öffneten sich schwere Vorhänge, um den Blick auf die Leinwand freizugeben. Doch der Name des Kinos beinhaltet auch einen bitteren Beigeschmack. Denn er wurde anlässlich des 10. Jubiläums der Neulandgewinnung vergeben, als der damalige Partei- und Staatschef Chruschtschow in Nordkasachstan die Erschließung neuer landwirtschaftlicher Nutzflächen befahl („Osvojénie zeliný“). Durch diese Kampagne sollte die kasachische Steppe für den Getreideanbau erschlossen werden.

Und tatsächlich erbrachte diese Kampagne zunächst einige Ernteerträge, aber bereits wenige Jahre später konnte man den langfristigen Schaden erkennen, der durch eine weitgehende Bodenerosion entstanden war. Besonders die Nomaden, denen die nordkasachische Steppe einst Heimat gewesen war, litten darunter. Ihnen wurden ihre Heimat und ihr Lebensunterhalt genommen.

Ein Umbau gegen das Vergessen

Um an die Geschichte der Neulandgewinnung („Osvojénie zeliný“) und an die Geschichte des Kinos zu erinnern, übernahm man für das Kunstzentrum den Namen „Zelinnyi“. Dieser Ansatz setzte sich auch im Umbauprozess fort. Das neue Zelinnyj sollte der kasachischen Geschichte gedenken und zugleich zur kasachischen Identitätsfindung beitragen. Dazu engagierte man den berühmten britischen Architekten Asif Khan, dessen Frau selbst Kasachin ist und laut Khan von Anfang aktiv an am diesem Projekt beteiligt gewesen war. Für ihn sei der Umbau des Zelinnyjs daher ein sehr persönlicher Auftrag gewesen.

Die Bedeutung der kasachischen Tradition lässt sich somit auch in Kahns Arbeit wiedererkennen: So können die Besucher:innen bereits an der Außenfassade abstrakte kasachische Muster betrachten und auch die Sgraffitos sind in Ausschnitten erhalten geblieben. Wer den Umbauprozess genauer nachvollziehen möchte, kann dies anhand mehrerer Installationen im Zelinnyj tun.

Zwischen Aufarbeitung und Vision

Auch die Arbeit des Kunstzentrums selbst steht ganz im Zeichen der kasachischen Identitätssuche und Vergangenheitsbewältigung. Ein Teil dessen ist die Dokumentation zentralasiatischer zeitgenössischer Kunst. Nach und nach werden hier Kunstwerke aus der Periode von 1985 bis heute digitalisiert. Auch die Ausstellungen sollen sich vordergründig um kasachische und zentralasiatische Künstler:innen drehen, sie miteinander verbinden und fördern.

Diese Intention wurde bereits beim Eröffnungsprogramm des altehrwürdigen, nun modernisierten Filmtheaters verwirklicht: Der unumstrittene Höhepunkt der Feierlichkeiten war das Barsakelmes – eine Performance aus Kunst, Musik und Tanz lokaler Künstler:innen. Barsakelmes – das bedeutet „Ort, von dem man nicht zurückkehrt“. So hieß einst eine im Aralsee gelegene, nun verschwundene Insel. Wie das Zelinnyj erinnert auch Barsakelmes an die Geschichte der Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu Sowjetzeiten und an die Langzeitfolgen für die kasachische Bevölkerung. Das Eröffnungsprogramm, die Arbeit des Kunstzentrums und das alte Zelinnyj fügen sich somit zu einem Gesamtbild zusammen, das Großes erwarten lässt vom ersten privaten Kunstzentrum Kasachstans und seiner neuen Wirkstätte.

Leonore Franz

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