Innerhalb einer Woche in Kirgisien kann man einen Blick auf das Pamirgebirge erhaschen, durch weite Täler wandern und in heißen Quellen baden. Sieben Tage sind nicht lang, doch einmal rund um den größten See des Landes, den Issyk-Kul, gereist, ist viel erlebt.
„Bischkek?“, „Taras?“, „Schymkent?“ ruft laut eine Horde Männer, als wir am Sairan, dem Busbahnhof in Almaty, ankommen. Etwas überfordert schnappen wir die übergroßen Rucksäcke und flüchten ins Bahnhofsinnere. Dort ist es ruhiger, weniger Menschen sind hier versammelt, einige sitzen im Schatten des großen Gebäudes oder stehen an den vielen, kleinen Obstständen an. Nachdem auch wir, zwei deutsche Studentinnen, uns mit Bananen und dem kasachischen Fladenbrot, Lepjoschki, versorgt haben, ist schnell ein Kleinbus in Richtung Bischkek gefunden. Als Passagier muss man sich noch etwas gedulden, denn hier gibt es keine festen Abfahrtszeiten. Erst wenn alle Plätze besetzt sind, wird die Reise angetreten.
Eine Stunde später schauen wir aus dem Fenster, und Almaty liegt gerade hinter uns. Auf dem Vordersitz neben dem gewichtigen, schwitzenden Fahrer holpern wir über den Asphalt. Die Steppe macht sich breit, beeindruckt von ihrer Weite und dem unberührten Grün entspannen auch wir mehr und mehr im schaukelnden Bus. Als die kirgisische Grenze erreicht ist, werden alle Reisenden von den ernstblickenden Posten beäugt, warten kurz, können dann aber ohne Probleme passieren. Vom Bahnhof in Bischkek schnappen wir uns eines der vielen Taxis und lassen uns vor der großen Le-ninstatue auf dem Alten Platz im Herzen der kirgisischen Hauptstadt absetzen. Dort thront der Vater des Kommunismus in Bronze in der Größe eines Wohnhauses. Erste Kontakte sind schnell geknüpft. Die Polizeistreife lächelt uns interessiert an und fragt nach einem kurzen Plausch nach unseren Adressen: „Wir sehen uns dann wieder, wenn wir nach Deutschland kommen.“
Beeindruckt von Lenin auf zum See
In Bischkek steht das Leninmuseum auf dem Programm. Die richtigen Marschrutkas ins Stadtzentrum sind schnell gefunden, und so flüchten wir aus der brennend heißen Mittagssonne in den kühlen Sowjetbau. Drinnen sind wir vor allem eines – überrascht. Über fast zwei Etagen wird das Leben des Wladimir Iljitsch Lenin wiedergegeben. In detaillierter Arbeit sind Dokumente und Statuen ausgestellt. Plakate und Fotografien liegen in bronzeumrahmten Glasbüchern. Um weiterzublättern, greift man an den runden Knauf am unteren Rand. Neben originalen Fotos, Briefen oder Büchern ist es besonders die überdimensionale Deckenbemalung, die auffällt. Die Motive der Revolution sind dort abgebildet – arme Familien der Arbeiterklasse, junge Männer, die in den Kampf ziehen und Lenin auf einem Pferd als Führer der Unterdrückten. Über ihm steht in großen, roten Lettern geschrieben: „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ Nach beinahe zwei Stunden verlassen wir Lenin und machen uns auf die Suche nach einem Café. Unterwegs spielen Kinder in Springbrunnen, junge Paare schlendern durch die Straßen und viele Kneipen säumen den Weg. Trotz der guten Atmosphäre der Stadt reichen uns die wenigen Stunden in Bischkek aus, und schon am frühen Samstagmorgen sind wir auf dem Weg zum Issyk-Kul-See.
Wir wollen Land und Leute erleben und entscheiden uns deshalb für die Fahrt im Sammelbus anstatt für ein Taxi. Er gleicht einer rollenden Kiste mit einem alten Mercedesstern an der Front. Der Blick auf die Anzeige erstaunt: Weit über 900.000 Kilometer soll der Bus schon gefahren sein.
Bischkek ist schnell verlassen. Bald genießen wir wieder den Blick auf die hügelige Steppe mit den vereinzelt auftauchenden Reitern und Schafhirten und die Schneeriesen im Hintergrund. Nicht einmal die muffelnden, teils betrunkenen Mitreisenden stören bei dieser Kulisse. Als nach fast drei Stunden das Ufer des Issyk-Kuls erreicht ist, halten wir vor Überraschung kurz die Luft an. Er ist auf einer Höhe von 1609 Metern über dem Meer, nach dem Titicacasee in Südamerika, der zweitgrößte Bergsee der Welt – 178 Kilometer lang und 60 Kilometer breit und sieht aus wie ein kleines Meer mitten im Gebirge. Das leuchtende Blau wechselt immer wieder von einem hellen Türkis zu tiefen, kräftigen Tönen. Fasziniert kleben wir am Fenster, bis wir unser Ziel erreichen, und schauen einfach nur raus.
Tamga ist auf der Karte ein größerer schwarzer Fleck. Doch als wir ankommen, ist von dem Dorf nicht viel zu sehen, nur eine zerfallene Haltestelle. Ein paar Sekunden später kommt ein kleiner, roter Lada um die Kurve, der uns genau bis vor das hölzerne Tor des grünen Hostels fährt. Sascha, der Hausherr, empfängt uns herzlich, und nachdem das Gepäck in dem einfachen Zimmer unterm Dach verstaut ist, machen wir uns auf den Weg zum Strand. Der entpuppt sich als Bucht, vollkommen einsam und sauber, ein Teil mit Steinen, ein anderer sandig. Wir kuscheln uns in die Pullover, denn der Wind ist kalt und frisch, so, als wären wir am Meer.
Kulinarischer Hochgenuss am Ende der Welt
Der Blick aus dem Fenster der Herberge fällt direkt auf das Pamirgebirge und die über 5.000 Meter hohen weißen Gipfel wirken so nah, als wären sie in einem Tagesmarsch erreichbar.
Auf der Erkundungstour durch den Ort begegnen wir einer Gruppe alter Frauen. In verwaschenen Kleidern treiben sie langsam ihre abgemagerten Kühe durch das verschlafene, sonst völlig menschenleere Dorf. Und obwohl uns mit der helleren Hautfarbe, den bunten Hosen und den klobigen Wanderschuhen die Andersartigkeit überdeutlich ist, schauen sie neugierig und freundlich.
Wir laufen den sandigen Pfad zum Friedhof oberhalb der Stadt. Auf den kahlen Ausläufen der Berge liegen hunderte kleine Hügel. Sand ist aufgeschüttet, Kreuze aus Holz oder Metall stecken schief darin, die meisten Namen sind verblichen. Keines der Gräber scheint in den Boden eingelassen, nur auf wenigen stehen Blumen oder Kerzen. Und trotzdem ist es ein schöner Ort,um zu ruhen, mit dem Blick auf den See, der weit unten liegt, und auf die Bergwelt dahinter.
Erschöpft vom Wandern und dem späteren Bad im kalten See, macht sich Hunger breit. Der Tag wird durch ein Abendessen im „Dorfzentrum“ vollkommen. Auf dem Rückweg unserer morgendlichen Wanderung entdeckten wir ein kleines, gelbes Schild mit „Pelmeni“ und „Piroschki“. Jetzt am Abend machen wir uns auf und wollen dort die Teigtaschen und den Kuchen probieren. Doch viel ist nicht zu sehen, nur eine blecherne, grüne Tür. Wir klopfen schüchtern und treten ein. Kein Mensch in Sicht, nur zwei alte, weiße Tische unter einem kleinen Vordach. Geschmückt ist die Laube mit alten, doch farbenfrohen Decken und Vorhängen aus Wolle und Leinen. Bunte Fröhlichkeit lacht uns entgegen, genauso wie gleich darauf die Wirtin des Hauses. Wir machen es uns bequem und freuen uns über die selbst gemachten Teigtaschen und das frische Brot. Für nicht einmal zwei Euro haben wir gut gegessen und Kirgisistan erlebt.
Heißes Bad in idyllischer Natur
Die zweite Hälfte der Reise beginnt mit der Fahrt im Minibus in Richtung Osten nach Karakol, einer Kleinstadt zwischen dem Issyk-Kul und der gut 150 Kilometer entfernten chinesischen Grenze. Die Stadt selbst fasziniert nicht, alles wirkt trostlos und verlassen. Zwar gibt es ein Zentrum, von Leben ist jedoch keine Spur. Schnell sind wir um den mit Nadelbäumen bepflanzten Hauptplatz im Stadtinneren und durch die wenigen, sandigen Straßen gelaufen und besuchen dann lieber die hölzerne russisch-orthodoxe Kathedrale. Nonnen putzen den großen, prunkvollen Innenraum, draußen stutzt ein Mann die Obstbäume im Garten. Nur eine alte Oma sitzt noch vor dem Eingang, sie trägt Gummistiefel und ein rotes Kopftuch und freut sich sehr über ein kurzes Gespräch.
Zurück in unserem weiträumigen Zimmer mit eigenem Klavier im Yaktours Hostel, lädt Valentin, der Gastwirt der Herberge, auf einen Tee ein. Wir schwatzen und freuen uns über die nette Unterhaltung. Er gibt Tipps zur Bergwelt rings um Karakol und verweist besonders auf die heißen Quellen im Altyn-Araschan-Tal und Tamara, bei der wir sicher eine Unterkunft finden. Das klingt so vielversprechend, dass wir am nächsten Tag frohen Mutes den gut 15 Kilometer langen Marsch in Kauf nehmen. Vorbei an vereinzelten Häusern erreichen wir bald den Fluss. Dort entlang führt ein sandiger Weg, der mit jedem Kilometer holpriger und schmaler wird. Die Umgebung ist bemerkenswert sauber, und von Menschen ist nur selten eine Spur zu sehen. Immer weiter laufen wir in das grüne Tal, die Schlucht wird enger und der klare Fluss brausender. Gemächlich schlängelt sich der Pfad nach oben. Nach knapp vier Stunden müssen wir noch einmal wenige Minuten kämpfen, bis die letzte steile Anhöhe überwunden ist. Ein malerisches Plateau breitet sich vor uns aus. Saftige Wiesen, ein paar Pferde und Kühe, der Fluss, der gerade noch wild wirkte, sucht sich hier sanft seinen Weg durch die Ebene. Links und rechts thronen die eisigen Gipfel. Eine Hand voll Häuser liegt verteilt in der Weite, wir erahnen unser Ziel und gehen strebsam darauf zu.
Rasch ist das Heim von Tamara erreicht, die uns gleich lachend entgegenkommt. Sie zeigt uns das einfache Lager mit hellblauen Bettgestellen im sonst bescheiden eingerichteten Raum. Inzwischen ist es kalt geworden, der Wind auf 3.000 Meter Höhe ist frisch und treibt förmlich in die heißen Quellen. In einer Holzhütte sind drei Betonbecken eingelassen, jeweils separat und mit einem kleinen Vorraum versehen zum Umziehen. Alles ist einfach, aber sehr sauber. Das Bad im körperwarmen Schwefelwasser ist fantastisch, außer dem Plätschern der Quelle ist nichts zu hören. Müde, aber froh, hocken wir später vor dem kleinen Holzofen, den Tamaras Mann für uns angefeuert hat. Wasser holt man vom Fluss, Licht spenden Kerzen, denn Strom gibt es keinen. Wildnisromantik umgibt uns hier oben auf diesem Fleck Erde. Die Nacht ist ruhig, wie der Abstieg nach Karakol in den frühen Morgenstunden. Von der Stadt aus ergattern wir schnell einen Bus zurück nach Bischkek entlang des belebteren Nordufers. Hier vergeht kaum ein Kilometer ohne Häuser, vereinzelt säumen Hotels den Weg. Der Kreis unserer Reise um den See schließt sich an dessen Westufer, und mit einem kurzen Stopp in Bischkek geht es gleich weiter zurück nach Almaty. Auf dem letzten Stück der Reise bleibt unser Bus liegen, der Reifen ist geplatzt, wir warten in der brütend heißen Sonne und schmunzeln über das letzte Abenteuer auf unserem kleinen Streifzug durch Zentralasien.
Von Natascha Heinrich
23/06/06