„Wenn man in Venezuela einen Stein umdreht, steht bestimmt Friedrich-Ebert-Stiftung darunter“. Winfried Schneider-Deters hat in über 30 Jahren überall auf der Welt Büros für die SPD-nahe Stiftung aufgebaut. Geopolitik, Frauenrechte und Umweltfragen waren Schwerpunkte seiner Arbeit in Zentralasien. In der DAZ spricht der Wirtschaftswissenschaftler über Bildungsbesessenheit, den Einfluss politischer Stiftungen und seinen „krummen Lebensweg“ in die Entwicklungszusammenarbeit.

/Bild: Christine Karmann . ‚Wie der deutsche Sozialdemokrat Friedrich Ebert ist auch Winfried Schneider-Deters in Heidelberg geboren. ‚/

Herr Schneider-Deters, Sie waren um die Jahrtausendwende im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zentralasien tätig. Welche Veränderungen haben Sie in den letzten zehn Jahren in der Region beobachtet?

Als Regionalkoordinator Kaukasus und Zentralasien der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützte ich in den Jahren 2000 bis 2003 das Konzept einer zentralasiatischen Wirtschaftsgemeinschaft. Jetzt muss ich erkennen, dass das Projekt völlig unrealistisch ist und keinen Sinn mehr macht. Neben Russland und den USA ist China heute als neuer Spieler in der Region präsent. Vor zehn Jahren streckte das Land erstmals seine Fühler nach Zentralasien aus. Heute führt das chinesische Engagement in das Transportwesen dazu, dass sich Kasachstan vom Rohstofflieferanten zum Transitland nach Europa entwickelt. Die Landverbindung über Kasachstan eröffnet eine Konkurrenzlinie zur Transsibirischen Eisenbahn und wird flexiblere Möglichkeiten bieten, Waren von Ost nach West und zurück zu transportieren.

Was haben Sie bei ihrer Arbeit in Zentralasien neu kennengelernt?

Neben geopolitischen Fragestellungen habe ich die Schwerpunkte meiner Arbeit auf die Stärkung der Rolle der Frau und Umweltfragen wie die Wasserverteilung in der Region gelegt. Ein Thema habe ich bei meiner Arbeit neu entdeckt, und es ist zu meinem Lieblingsthema geworden: das Verhältnis von Religion und Staat. Ich habe mit Islamwissenschaftlern aus Ost und West eine Konferenzreihe zu diesem Thema angestoßen. Der Sammelband mit den Beiträgen der Wissenschaftler ist in sechs Sprachen veröffentlich worden. Das Thema der Trennung zwischen Staat und Kirche ist auch in Deutschland aktuell. Es bietet die Chance, die Terrorismusgefahr einmal von einer ganz anderen Seite anzupacken.

Neben Zentralasien und dem Kaukasus haben Sie für die Friedrich-Ebert-Stiftung auch in Lateinamerika, Südkorea und Europa gearbeitet. Wie kann sich ihrer Erfahrung nach ein Land erfolgreich entwickeln?

Aus der historischen Erfahrung spricht viel dafür, dass nach einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung die politische Entwicklung nachzieht. Die politische Macht kann die Industrialisierung vorantreiben, so ist es in den Ländern Ostasiens wie Taiwan, Singapur und Südkorea passiert, die heute zur Weltspitze gehören und Deutschland, was die Lebensqualität betrifft, teilweise überlegen sind. Aber auch der Ehrgeiz, Arbeitswille und die Bildungsbesessenheit der Menschen in Ostasien hat zu der Befreiung aus der kolonialen Abhängigkeit geführt. Ein Reisbauer erwartet von seinem Sohn, dass er in der Stadt mindestens Professor wird.

Nach dem Wirtschaftsstudium in Heidelberg hatten Sie schon bei der BASF im Bereich Finanzen Fuß gefasst. Warum hat es Sie dennoch in die Entwicklungszusammenarbeit gezogen?

Ich bin in das Feld auf einem ganz krummen Weg hineingeraten. Von der BASF bin ich als Finanzplaner zu einer lateinamerikanischen Entwicklungsbank von der Friedrich-Ebert-Stiftung abgeworben worden. Unter all den Soziologen und Politikwissenschaftlern war ich mit meiner Business-Praxis der Exot. Später ergab sich die Möglichkeit, ein Sozialforschungsinstitut zu leiten, und bei der Arbeit kam ich mit sozialdemokratischem Denken in Berührung, das immer mehr meiner inneren Überzeugung entsprach. Mein Idealismus kam mit der Arbeit.

Welchen Einfluss haben politische Stiftungen im Ausland heute noch?

In den 70er Jahren war der Einfluss der politischen Stiftung in Lateinamerika enorm. Ich habe selbst acht Jahre in Venezuela gearbeitet und muss sagen, wenn man in Venezuela einen Stein umdreht, steht bestimmt Friedrich-Ebert-Stiftung darunter. Heute fördern die politischen Stiftungen stärker den Dialog zwischen Deutschland und der Europäischen Union einerseits und den Ländern, in denen sie sich engagieren, andererseits. Der innovative Geist der 70er Jahre sollte aber nicht in bürokratischen Strukturen und Routineprojekten erstarren.

Interview: Christine Karmann

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