Rausa Mussabajewa ist aktiv am Deutschen Kultur- und Aufklärungszentrum der Stiftung „Wiedergeburt“ in Ekibastus. Die ethnische Kasachin hatte schon in ihrer Kindheit enge Berührungspunkte zu einem deutschen Umfeld. Ihr Schaffen widmet die Lehrerin, Journalistin und Pädagogin der Übersetzung von deutschsprachigen Werken in die kasachische Sprache – und will damit eine Lücke schließen.

Kasachstan ist bekannt als Schmelztiegel der Kulturen, Ethnien und Sprachen. Laut Angaben des Nationalen Statistikbüros vom Mai dieses Jahres vereint es Angehörige von insgesamt 124 Ethnien unter seiner Flagge. Ethnische Kasachen stellen zwar mit 69 Prozent eine deutliche Mehrheit. Dass sich aber fast ein Drittel der Bevölkerung anderen ethnisch-kulturellen Gemeinschaften zugehörig fühlt, zeigt die große Vielfalt an Identitäten in dieser Gesellschaft, die sich aus den geschichtlichen Wirrnissen rund um Revolutionen, Ein- und Auswanderung, Deportationen, Niedergang und Wiederaufstieg herausgebildet hat. Angesichts einer solchen Vielfalt lässt sich leicht erahnen, dass in der Brust vieler Menschen mehr als nur ein Herz schlägt.

Das gilt auch für Rausa Mussabajewa, ethnische Kasachin und erklärte Liebhaberin der deutschen Sprache. Als Lehrerin, Journalistin und Übersetzerin setzt sie sich leidenschaftlich dafür ein, dass Kasachisch und Deutsch einen festen Platz in der Gesellschaft ihres Landes haben, indem sie unermüdlich deutschsprachige Literatur in die Staatssprache übersetzt. Von den Klassikern der deutschen Literaturgeschichte über die Werke kasachstandeutscher und russlanddeutscher Autoren bis hin zu Zeitungsartikeln, Krimis, Kinderbüchern und Novellen ist alles dabei.

Aufgewachsen in einer deutschen Straße

Ihr Schaffen und die Begeisterung für zwei Welten werden dabei früh vorgezeichnet vom Umfeld der Literaturfreundin. Geboren in der heutigen Region Abaj (damals, zu Sowjetzeiten noch Semipalatinsk), wuchs Rausa als Kind in einem Dorf auf, in dem auch Deutsche lebten. „In unserem Dorf habe ich mit deutschen Kindern gespielt, da fast nur deutsche Familien in unserer Straße gelebt haben“, erinnert sie sich heute. „Lediglich zwei Familien waren Kasachisch.“ Mit zehn Jahren erfolgte der Umzug ins Gebiet Pawlodar, woher Rausas Mutter stammte.

Bereits damals war ihre Liebe für Literatur stark ausgeprägt, Rausa verschlang Bücher regelrecht. „Bis zum Abitur habe ich 180 Bücher gelesen“, erinnert sie sich heute stolz. In dieser Zeit wurde es auch ihr Traum, später Deutsch zu unterrichten. Um ihn in Erfüllung gehen zu lassen, zog die junge Frau nach Alma-Ata, studierte dort am Pädagogischen Institut für Fremdsprachen, der heutigen Abilaj-Khan-Universität für Internationale Beziehungen und Weltsprachen, Deutsch und Englisch.

Begeisterung für kasachstandeutsche Literatur

Mit den Übersetzungen aus dem Deutschen ins Kasachische begann sie um 1985/86, es waren kurze Erzählungen und Artikel aus Zeitungen wie dem „Neuen Leben“ aus Russland oder der damaligen „Freundschaft“ (heute DAZ). In dieser Zeit besuchte sie auch zum ersten Mal Deutschland, als eine touristische Reise sie nach Berlin, Leipzig, Weimar und Eisenach führte. Obwohl diese drei Wochen großen Eindruck bei ihr hinterließen, sollte es mehr als zwanzig Jahre dauern, bis Rausa eine zweite Reise in das Land Goethes und Schillers unternehmen konnte.

Die führte sie 2009 nach Berlin zum Wannsee-Literatur-Kolloquium mit zwölf anderen Übersetzern aus aller Welt. Rausa hatte hierfür ein Stipendium gewonnen und lebte in einem Übersetzungshaus, in dem laut den Organisatoren auch die Schriftstellerin Anna Seegers („Das siebte Kreuz“, „Nackt unter Wölfen“) nach der Emigration eine Woche lang gelebt hatte. Die Lesungen fanden auch dort statt. Rausa war von den Veranstaltungen schwer beeindruckt. Unter anderem taten es ihr damals die Schilderungen von Eleonora Hummel an, die einen Auszug aus ihrem Roman „Die Fische von Berlin“ über das Schicksal der nach Kasachstan deportierten Wolgadeutschen vorlas.

Veröffentlichungen in kasachischen Zeitschriften

Die beiden schlossen Bekanntschaft, und Rausa übersetzte nicht nur „Die Fische von Berlin“ auf Kasachisch, sondern mit „Die Venus im Fenster“ auch einen weiteren Roman der Autorin – einer „der deutschen Autorinnen, die in ihre historische Heimat gezogen sind und die Werke in ihrer Muttersprache schreiben“, wie sie schwärmt. Zu ihrem Übersetzungs-Werk zählen bis heute zwanzig Mini-Krimis von deutschsprachigen Autoren, 53 deutsche Bilderbücher für Kinder, eine aus zehn modernen Märchen bestehende Märchensammlung, viele Novellen, vier Dokumentarfilme und Artikel aus deutschen Sprachlernzeitschriften. Aus der Rubrik „Deutsche Erfinder“ von Vitamin.de etwa übersetzt sie ständig informative Materialien über deutsche Wissenschaftler mit Weltruf. Zudem hat sie den Roman des Schweizer Schriftstellers Franz Hohler „Es klopft“ aus dem Deutschen übersetzt.

Obwohl sie, wie sie sagt, in erster Linie für sich selbst übersetzt, erscheinen ihre Arbeiten regelmäßig in kasachischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften – so etwa in der Literaturzeitschrift „Abaj“, die in Semej erscheint und in der Rausa bereits zehn Veröffentlichungen unterbringen konnte.

Ein Deutsch-Kasachisches Wörterbuch fehlt

Das Thema Sprache ist gerade im ganzen Land brandaktuell. Von staatlicher Seite werden Kasachischkenntnisse gefördert, lange schon wird an einer Latinisierung des kasachischen Alphabets gearbeitet, und immer mehr Kasachen, aber auch Angehörige der nationalen Minderheiten lernen die Staatssprache. Das Deutsche dagegen hat immer noch einen schweren Stand, seit die große Mehrheit der ethnischen Deutschen das Land verlassen hat und die Konkurrenz durch andere moderne Fremdsprachen wie Englisch und Französisch, zunehmend aber auch etwa Chinesisch, größer geworden ist – in einem Land, in dem ohnehin ein Großteil der Kinder bereits von früh auf zwei Muttersprachen lernen muss.

Mit ihrem Lebenswerk – den unzähligen Übersetzungen deutscher Literatur ins Kasachische, knüpft Rausa Mussabajewa perfekt an den aktuellen Trend hin zur Popularisierung der Staatssprache an. Und leistet dabei gleichzeitig einen Beitrag dazu, das Interesse an Deutschland und der deutschen Kultur lebendig zu halten. Die Nachfrage sei groß, sagt sie. „Im Gebiet Pawlodar gibt es viele Deutsche, deren Muttersprache Kasachisch ist.“ Auch sie seien gewissermaßen in zwei Welten zuhause und empfänden es als große Lücke, dass viele Werke deutscher Autoren nur ins Russische, nicht aber ins Kasachische übersetzt würden.

Dabei habe es früher bereits erfolgreiche Vorbilder gegeben – etwa in den 1970/80er Jahren, als der damalige Vorsitzende des Hauses „Freundschaft“ Medeubaj Kurmanow Goethes „Faust“ ins Kasachische übersetzte. Es könne nicht schaden, so Rausa, wenn man das Werk heute ein zweites Mal veröffentliche. Den größten Mangel sieht die Kulturschaffende bei alledem darin, dass es bis heute kein großes Deutsch-Kasachisches Wörterbuch gibt. Es fehlt an finanzieller Förderung für ein solches Projekt. Dabei würde es für Menschen wie sie vieles erleichtern: Sie müssten zum Übersetzen nicht mehr zuerst auf ein deutsch-russisches und anschließend ein russisch-kasachisches Wörterbuch zurückgreifen, wie es oft geschieht.

Christoph Strauch

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