Einst als religiöse Flüchtlinge gekommen, später nach Zentralasien deportiert, leben heute noch rund 8.000 Deutsche in Kirgisistan. Sie organisieren sich im „Volksrat der Deutschen der Kirgisischen Republik“. Unser Hospitant Bektur Atambajew stellt die deutsche Minderheit in Kasachstans Nachbarland vor.
Die Geschichte der Deutschen in Kirgisistan beginnt in den 60er Jahren des
18. Jahrhunderts, als deutsche Gemeinden im gesamten Gebiet des russischen Reiches entstanden. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Siedler aus diesen Gemeinden nach Zentralasien auszuwandern, wo eine Reihe von Siedlungen gegründet wurden. Der Hauptgrund für die Umsiedlung der Deutschen waren religiöse Meinungsverschiedenheiten in den deutschen Gemeinden. Die zaristische Regierung zeigte sich besorgt über die zunehmenden religiösen Spannungen in den Kolonien und beschloss, Mennoniten in andere Provinzen, einschließlich des heutigen Kirgisistans umzusiedeln. Deutsche ohne Landbesitz konnten damals ruhig in der Region leben. Uransässige Kirgisen waren den neuen Nachbarn freundlich gesinnt. Bis heute sind die beiden Völker befreundet.
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Der Volksrat
Obwohl seither über ein Jahrhundert vergangen ist, bemühen sich die Kirgisis-tandeutschen, eine eigenständige Kultur, Sprache und Religion zu bewahren. Die Deutschstämmigen leben heute in fast allen Regionen des Landes und haben regionale Komitees und Begegnungszentren. 1992 wurde die gesellschaftliche Vereinigung „Volksrat der Deutschen der Kirgisischen Republik“ gegründet. Der Volksrat ist der zentrale Interessensvertreter der deutschen Minderheit in Kirgisistan. Die Tätigkeit des Volksrats basiert auf der Grundlage bestimmter Ziele. Diese Ziele sind die Organisation der gesellschaftlich-politischen Arbeit, die Aufrechterhaltung der Tätigkeit des „Volksrats der Deutschen der Kirgisischen Republik“, die Förderung des deutschen Jugendverbands in Kirgisistan, die Entwicklung der nationalen Kultur und des Unternehmertums, soziale Arbeit und die Bildung neuer Strukturen zum Zwecke der Selbstfinanzierung.
Das Deutsch-Kirgisische Haus
Der Sitz des Volksrats ist das Deutsch-Kirgisische Haus, das sich in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek befindet. Dort finden viele verschiedene Veranstaltungen, Festivals und Konferenzen statt. Im Deutschen Haus feiert die deutsche Minderheit Feste wie Weihnachten, Neujahr, Ostern, Martinstag oder das Frühlingsfest Nauryz. Jede Woche gibt es Deutschunterricht und einen Gesprächsklub, zudem alle Interessierte kommen können. Für viele Deutsche ist das Deutsche Haus zu einem zweiten Zuhause geworden. Dort bewirtet man sie mit Tee und Süßigkeiten. Sie können sich über verschiedene Themen informieren oder einfach ein bisschen Zeit verbringen. Die Türen sind nicht nur für die Deutschen offen, sondern für alle, die sich für die deutsche Kultur interessieren – egal, welche Nationalität sie haben.
„Seit mehr als 20 Jahren ist das Deutsche Haus das Zentrum der Kultur, Bildung, Sozialarbeit sowie der politische und internationale Kern der deutschen Gemeinde und aller Menschen, die sich für die Zusammenarbeit mit uns und Deutschland interessieren. In diesem Jahr gab eine größere Renovierung, die dem Haus neues Leben eingehaucht hat“, sagt Valeri Dill.
Er ist seit der Gründung des Volksrats dessen Vorsitzender. Dill beschäftigt sich mit der Koordination der Tätigkeit des Volksrats und vertritt die Interessen der deutschen Minderheit in der Kirgisischen Republik. Er ist gleichzeitig Mitglied des Präsidiums der Volksversammlung Kirgisistans und Ko-Vorsitzender der Union des Unternehmerverbandes „Deutschland-Kasachstan-Kirgisistan“.
Das Deutsche Haus in Bischkek gehört allerdings nicht der deutschen Minderheit selbst. „Das Gebäude ist im Besitz des Präsidialamts und somit der Regierung der Kirgisischen Republik. Aber wir hätten gerne ein eigenes Haus. Deshalb verhandelt der Volksrat der Deutschen gerade über den Erwerb. Außerdem möchten wir ein neues Haus bauen, mit einer modernen Klinik, Hotelzimmern und natürlich Veranstaltungsräumen und Räumen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen“, so Dill.
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Jugendarbeit
Zum Volksrat gehört auch der „Deutsche Jugendverband in Kirgistan“, dessen Arbeit Iuliia Gert seit 2016 als Referentin für Jugendarbeit und Vorsitzende des Deutschen Jugendverbands koordiniert. Unter ihrer Leitung wurden viele lokale und internationale Projekte umgesetzt, die der deutschen Jugend in Kirgisistan neue Horizonte eröffneten. So hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, nach Deutschland zu reisen und deutsche Kultur zu erleben.
Derzeit spielt die gesellschaftliche Vereinigung „Volksrat der Deutschen Kirgistans“ eine große Rolle im öffentlichen Leben der kirgisischen Gesellschaft. Der Volksrat befasst sich mit sozialpolitischer Arbeit, humanitärer Hilfe und der Förderung der deutschen Sprache. Dank dieser gesellschaftlichen Vereinigung bekommt die deutsche Minderheit in ganz Kirgisistan Unterstützung in allen Bereichen. Der Volksrat ist ein integraler Bestandteil der Völker der Kirgisischen Republik und eine Brücke nach Deutschland.