Anlässlich des Endes seiner Tätigkeit in Almaty hat der Generalkonsul Michael Grau ein Interview gegeben. Darin spricht er unter anderem über die Kasachstandeutschen, den Stellenwert und die Zukunft der deutschen Kultur sowie über seine Eindrücke nach zweieinhalb Jahren Dienst in Kasachstan.

Welche Vorstellung haben Sie von der Lage der Kasachstandeutschen?

Ich muss sagen, dass ich in meiner Zeit in Russland mehr mit den Deutschen dort zu tun hatte – wir waren häufig in den Deutschen Häusern, die es in unserem Konsularbezirk im Süden und Westen Kasachstans in dieser Form nicht gibt. Wenn wir die Gebietshauptstädte des Konsularbezirks besuchen, dann treffe ich zwar die Vertreter der Kasachstandeutschen, aber die Strukturen sind nicht mehr so, wie sie damals in Russland waren. Dafür gibt es nun die „Häuser der Freundschaft“ für verschiedene Ethnien, in denen auch die „Wiedergeburt“ ihren Sitz hat. Das einzige Mal, wo ich, abgesehen von Almaty selbst, noch eine künstlerische Aufführung gesehen habe, war in Aktobe, wo ein Jugendchor auftrat.

Im Gegensatz zu Russland habe ich auch keine Menschen getroffen, die selbst Opfer der Umsiedlung waren – praktisch alle meine Gesprächspartner gehörten schon der nächsten Generation an.

Forderungen wurden eher selten an das Generalkonsulat herangetragen. In Einzelfällen bin ich von Kasachstandeutschen angesprochen worden, die den Sprachtest nicht bestanden hatten. Mit den gesetzlichen Änderungen des letzten Jahres in Deutschland gibt es ja hier in einigen Fällen neue Möglichkeiten. Das wichtigste Forum für Gespräche über deutsche Unterstützungsleistungen bleibt die Deutsch-kasachische Regierungskommission für die Angelegenheiten der ethnischen Deutschen.

Engeren Kontakt hatte ich zum Beispiel zum Akademiemitglied Prof. Ernst Boos, dessen Veranstaltungen kasachstandeutscher Wissenschaftler das Generalkonsulat fördert. Dort machen auch jüngere Wissenschaftler mit, was mich besonders freut.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Kasachstandeutschen aus?

Ich glaube, dass die ethnischen Deutschen hier nicht schlechter dastehen als Vertreter anderer Ethnien. Man kann sich nur wünschen, dass Kasachstan an seiner multiethnischen Politik festhält und hier Kontinuität herrscht, so wie es auch in Deutschland, zum Beispiel im Bereich der Außenpolitik, selbst bei Regierungswechseln parteiübergreifend der Fall ist.

Was denken Sie über den Stellenwert und die Zukunft der deutschen Kultur in Kasachstan?

In den Gesprächen mit den Pädagogen und Deutschlehrern, die hier vor Ort sind, wird immer wieder deutlich, dass die Deutsche Sprache nicht mehr die prominente Stelle innehat, die sie zuvor genoss. Das ist eine Entwicklung, die als gegeben hingenommen wird, und sie bildet auch die tatsächlichen Verhältnisse ab. Die englische Sprache ist eben nun einmal die internationale Verkehrssprache Nummer eins geworden, selbst wenn es nicht die Sprache mit den meisten Muttersprachlern ist. Aber wir versuchen, das Interesse an der deutschen Sprache wach zu halten. Aufgrund der guten Wirtschaftsbeziehungen und des verbreiteten Interesses an einer Zusammenarbeit mit Deutschland gibt es ja auch eine gewisse Chance, hiermit erfolgreich zu sein.

Ein Thema ist dabei die Bildungskooperation des deutschen Hochschulwesens. Das deutsche Hochschulwesen verändert sich gerade selbst mit dem Bologna-Prozess, und es ist im Vergleich zu angelsächsischen Systemen wenig marktorientiert. Das Studium ist durch die Autonomie der Hochschulen häufig weniger strukturiert, dafür aber freier. Das macht es manchmal schwierig, im Ausland dafür zu werben. Dabei gibt es verschiedene Wege, dies zu tun, zum Beispiel durch Stipendienvergabe. Ich glaube, wir sollten nicht nur die Möglichkeit zur Arbeit in deutschen Unternehmen herausstellen, sondern auch weitere Chancen für unabhängige wissenschaftliche Arbeit und die Persönlichkeitsentwicklung zeigen, die der Bildungsstandort Deutschland zu bieten hat – auch im Vergleich mit dem eigenen hiesigen Hochschulwesen. Kurzum, im Bereich der Ausbildungskooperationen ist noch sehr viel zu tun. Bildung ist auch in Deutschland ein hochwertiges, wettbewerbsfähiges Produkt, das international angeboten werden kann.

Nach zweieinhalb Jahren Dienst in Kasachstan, welchen Eindruck haben Sie, was hat Ihnen besonders gefallen?

Was ich am Beeindruckendensten finde, was ich auch auf all meinen Reisen gesehen habe, sind die Zeichen einer sehr dynamischen Entwicklung. Vor allem die Bautätigkeit, die Stadterneuerung, der Wohnungsbau und die Gespräche, die ich mit den Gebietsverwaltungen über ihre Arbeit führen konnte, zeugen von einem großen Erneuerungswillen.

Daneben ist mir auch der Wille zur Ordnung des Landes aufgefallen. Aus vielen Gesprächen in Kasachstan weiß ich, dass die Jahre nach der Wende doch sehr vielen in schlechter Erinnerung geblieben sind. Es war ungewiss, was die Zukunft bringt. Dann kam die Einführung der neuen Währung. Da gab es Übergangsphänomene, wie sich auch in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion gezeigt haben, zum Teil ein ungehemmter Zugriff auf die Reichtümer des Landes. In dieser Zeit ist viel Wildwuchs entstanden, alte Ordnungsstrukturen sind zerbrochen. Es ist doch sehr beeindruckend, mit welcher Stringenz die kasachische Regierung versucht, die kasachische Staatlichkeit in geordnete und rationale Bahnen zu lenken.

Für mich ist in diesem Zusammenhang angenehm, dass man sich an fortschrittlichen Ländern orientiert, an Westeuropa, an den USA, an Korea. Man möchte seine Rolle in der Welt spielen, und man ist bereit, dafür etwas zu tun. Kasachstan mit seiner vermittelnden Politik will Partner sein und als jemand akzeptiert werden, dessen Vermittlerdienste akzeptiert werden. Das sehe ich positiv.

Die Kasachstaner die ich kenne, stehen geschäftlich in engen Verbindungen mit dem Ausland. Sie sind sehr souverän, korrekt und angenehm. Man spricht häufig von der Treue und der Ehrlichkeit des kasachischen Nomadentums. Nun, richtige Nomaden habe ich nicht kennengelernt. Aber auch keine chauvinistischen oder überheblichen Menschen. Eben normale Menschen, und sehr freundliche dazu.

Sie waren auch in Russland, Nowosibirsk. Läuft dort der Transformationsprozess ähnlich oder ist das nicht zu Vergleichen?

Ich habe Russland vor acht Jahren verlassen und habe zum Fortgang des dortigen Transformationsprozesses keine aktuellen Erfahrungen. Die russische Staatlichkeit ist ja viel älter als die kasachische. Ich könnte mir vorstellen, dass Kasachstan nach der Festigung seiner Fundamente in den letzten 20 Jahren künftig immer stärker eigene Akzente bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung setzt – auch dank des intensiven Austauschs mit dem Ausland.

Wenn Sie auf Ihre Arbeit zurückblicken, was haben Sie in Erinnerung, wenn Sie den Posten verlassen.

Die Tätigkeit in Almaty hat mir den Kontinent Asien erschlossen. Einiges wusste ich natürlich vorher. Wir diskutieren bei uns über die Globalisierung, wir konsumieren asiatische Waren. China ist eine große Konkurrenz, aber auch ein großer Markt für uns. Aber ich habe die geographischen, historischen und kulturellen Verbindungen neu kennengelernt. Wir waren vor drei Wochen erstmals in Usbekistan, und das ist ein Territorium, auf dem Chinesen, Kasachen, Perser und Griechen aktiv waren. Dies alles an den Originalschauplätzen zu sehen war sehr lehrreich. Wenn ich Asien jetzt von West nach Ost durchwandern müsste, dann wäre es zwar immer noch genauso groß wie vorher. Aber ich hätte jetzt Referenzpunkte und Etappenziele, die mir die Reise in der Vorstellung verkürzen würden.

Die andere große Erfahrung ergab sich aus der Chance, den Aufbau eines neuen Staates im Umgang mit der Hinterlassenschaft der Sowjetunion beobachten zu können. Das Entstehen einer eigenen kulturell-politischen Identität, die Bescheidenheit der Bevölkerung, die politisch-administrative und ideelle Gestaltung des politischen Prozesses aus dem Nichts – das war bewegend, instruktiv und eindrucksvoll. Ich wünsche vor allem den einfachen Bürgern dieses Landes, dass das Erreichen der ehrgeizigen Entwicklungsziele Kasachstans sich auch in ihrem täglichen Leben positiv niederschlägt.

Herr Grau, vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Dominik Vorhölter

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia