Politiker erwarten von der Zunft der Ökonomen stets fundierte Hinweise zu anstehenden politischen Entscheidungen. Das gilt vorwiegend für makroökonomische Fragen, also Dinge, die das große Ganze betreffen.

So berechtigt, wie auf der einen Seite der Wunsch nach solchen Handlungshinweisen von Wirtschaftsexperten ist, so schwer ist es auch, diese bereitzustellen. Da ist zum einen die meist unsichere Datenlage hinsichtlich zukünftiger Prozesse. Der Blick in die Vergangenheit, also die Auswertung früherer Erfahrungen, hilft da nicht unbedingt weiter, weil sich die Situationen in ihrer konkreten Struktur meist nicht ähneln. Hinzu kommt, dass die Ansichten zur Rolle der Politik in der Wirtschaft unter den Ökonomen sehr stark differieren. In den westlichen Industrienationen dominiert bei Ökonomen eher Skepsis, wenn sich staatliche Institutionen in den Wirtschaftskreislauf einmischen, um kurzfristige Erfolge zu erzielen.
Im Moment ist in diesem Umfeld wieder einmal eine interessante Diskussion unter Wirtschaftsexperten ausgebrochen, die direkte Auswirkungen auf die Fixierung wirtschaftspolitischer Strategien hat. Ausgangspunkt ist das so genannte Easterlin-Paradox, benannt nach dem amerikanischen Ökonomen R. Easterlin. Dieser hatte in den 1970er Jahren beim Vergleich von Umfragen zur Lebenszufriedenheit und von Statistiken zur Einkommensentwicklung den Widerspruch aufgedeckt, dass Menschen in reichen Ländern im Durchschnitt keinesfalls mit ihrem Leben zufriedener sind als Einwohner ärmerer Staaten. Obwohl der Lebensstandard beispielsweise in den USA und in Japan in nur wenigen Jahrzehnten drastisch angestiegen war, hatte sich die Zufriedenheit der Menschen ab einem bestimmten Einkommensniveau nicht in gleichem Maße erhöht.

Dieser in den 1970er Jahren neue Zweig der eher wirtschaftspsychologischen Forschung hat den Namen „Glücksökonomie“ bekommen. Mittlerweile ist die Glücksökonomie unverzichtbarer Untersuchungsbereich von eher prinzipieller Bedeutung geworden. Schließlich muss sich jede Generation und auch jeder Mensch einmal die Frage beantworten: Wozu bin ich eigentlich auf der Welt? Was ist das Ziel meines Arbeitens? Wie viel Einkommen und / oder Vermögen muss ich haben, um glücklich zu sein? Mal abgesehen davon, dass das, was Glücklichsein eigentlich bedeutet, sehr unterschiedlich bewertet werden wird, ist diese Frage für die Politiker durchaus von grundlegender Bedeutung. Die Antwort darauf verrät nämlich, ob man die Wirtschaft mit harten finanziellen Fakten (Bruttoinlandsprodukt, Preise, Kosten, Investitionen) messen und vielleicht auch kompromisslos auf Wachstum und Effizienz trimmen muss, oder ob beim Erreichen eines bestimmten Niveaus andere Bereiche menschlicher Existenz gefördert werden können, sollen oder gar müssen.

Die Antworten, die Ökonomen darauf finden, sind nicht eindeutig. Der aktuelle Streit stellt deshalb auch die Ausgangsthese, dass wirtschaftliches Entwicklungsniveau und Zufriedenheitsgrad nur schwach miteinander in Verbindung stehen, zunehmend in Frage. Man stellt nun doch fest, dass Menschen zufriedener werden, wenn ihr materielles Umfeld und die entsprechende Zukunft gesichert sind. Dazu könnte man einwenden, dass das eher eine allgemeine Lebenserfahrung vieler Menschen ist und dafür keine großen Untersuchungen notwendig wären. Doch wirtschaftspolitische Aussagen, die Politiker zum Handeln anleiten sollen, müssen durch Fakten fundiert sein, denn mit dem Bauchgefühl und allgemeinen Lebensweisheiten lässt sich ein Land nur schlecht regieren.

Jedenfalls hat die Glücksökonomie derzeit wieder einmal Konjunktur. An einigen deutschen Schulen gibt es schon das Fach „Lebensglück“ und Kurse zur Gestaltung einer auf Zufriedenheit ausgerichteten Lebensweise sind nicht selten komplett ausgebucht. Dahinter steht sicher auch die Sehnsucht Vieler, sich nicht von den dominierenden materiellen Werten unserer heutigen Lebensweise allein treiben zu lassen. Ob man für ein glückliches Leben allerdings unbedingt einen speziellen Trainingskurs besuchen muss, das weiß ich nicht. Ich brauche einen solchen jedenfalls nicht, akzeptiere aber die eventuelle Notwendigkeit für Andere. Politiker aber benötigen auf jeden Fall Aussagen, ob sie ihr Volk mit wirklich immer mehr Wirtschaftsleistung auch zufriedener machen. Mein Bauchgefühl sagt mir: eher nicht.

Bodo Lochmann

22/08/08

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