Früher oder später begegnet jeder Besuchende der kirgisischen Hauptstadt dem Namen Gapar Aitiev – schließlich ist das bekannteste Kunstmuseum des Landes, das Nationale Museum der Schönen Künste Gapar Aitiev, nach ihm benannt.
Viele Besuchende der Stadt übersehen jedoch ein kleineres, unscheinbares Museum im Zentrum Bischkeks, das ebenfalls Gapar Aitievs Namen trägt – das Gapar Aitiev Memorial Studio Museum. Versteckt in einem roten Gebäude, war es einst das Atelier des wegweisenden kirgisischen Künstlers und wurde nach seinem Tod in ein staatliches Museum umgewandelt. Dort habe ich mit Aitievs Enkel und Museumsführer Ernest über das künstlerische Vermächtnis seines Großvaters gesprochen.
Das künstlerische Schaffen von Gapar Aitiev
Gapar Aitiev gilt als „einer der ersten ethnisch kirgisischen Berufskünstler“. Neben zahlreichen Gemälden und Skizzen hinterließ er auch beeindruckende Skulpturen. Seine Werke werden dem sozialistischen Realismus zugeordnet und widmen sich vor allem der kirgisischen Landschaft, der Landwirtschaft und ausdrucksstarken Portraits seiner Mitmenschen. Doch auch Themen wie Arbeit, die aufstrebende Industrie sowie Eindrücke von Reisen an ferne Orte fanden Eingang in seine Kunst.
Ernest betont, dass Aitievs Werke auch deshalb für die kirgisische Kunstszene von besonderer Bedeutung seien, weil sie „die ersten akademischen 2D-Raum-Darstellungen“ des Landes waren. Besonders beeindruckend an der Kunst seines Großvaters sei sein unermüdliches Bestreben gewesen, eine „persönliche Sichtweise zu finden, die angemessen und korrekt ist, und das Objekt, das er malte, reflektiert“. Denn „jedes Mal, wenn ich seine Werke betrachte, sehe ich ein ständiges Bemühen, etwas persönlich Reflektierendes und Beschreibendes zu finden“, erzählt Ernest.
Gapar Aitiev wurde 1912 in der Region Osch im Süden Kirgisistans geboren und wuchs dort in einem Waisenhaus auf, da seine Familie nicht in der Lage war, ihn selbst zu ernähren und großzuziehen. Trotz dieser schwierigen Umstände schloss Aitiev seine Schulbildung im Waisenhaus erfolgreich ab. Anschließend studierte er am kirgisischen Bildungsinstitut in Frunze, dem heutigen Bischkek. Nach seinem Abschluss begann er seine berufliche Laufbahn als Lehrer an der Pädagogischen Hochschule in Jalal-Abad.
Später setzte Aitiev seine Ausbildung an der Moskauer Regionalen Kunstpädagogischen Schule der Schönen Künste fort, wo er erfolgreich Kunst und Pädagogik studierte. Im Laufe seiner Karriere wurde Aitiev mehrfach für sein künstlerisches Schaffen geehrt, darunter 1971 mit der Auszeichnung als Volkskünstler der UdSSR.
Gapar Aitiev war maßgeblich „am Aufbau der sowjetischen sozialistischen Kulturszene beteiligt“, zeigt Ernest auf. Sein Großvater war nicht nur korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste der UdSSR, sondern leitete ab 1977 auch die Kreativwerkstatt für Malerei der Akademie der Künste der UdSSR in Frunze.
Das rote Gebäude, in dem sich das Museum heute befindet, wurde Aitiev 1976 von der Regierung als persönliches Atelier geschenkt. Nach seinem Tod im Jahr 1984 erwarb die Regierung das Atelier samt all seiner Werke und wandelte es in ein staatliches Museum um. Seither wird das Museum von Aitievs Sohn Satar geleitet, während Enkel Ernest als Museumsführer tätig ist. Das Ateliermuseum besticht durch seine Authentizität: Seit „[Aitievs] Tod wurde nichts verändert, denn wir versuchen, diesen Ort so originalgetreu wie möglich zu erhalten“, erklärt Ernest.
Wahrnehmung der kirgisischen Kunstszene
Ernest berichtet, dass das kulturelle Interesse der lokalen Gemeinschaft in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist und einen „absoluten Tiefpunkt“ erreicht hat. Auch international, abgesehen von einem anfänglichen Interesse nach der Unabhängigkeit Kirgistans, sei das Interesse an der kirgisischen Kunstszene gering. Der Museumsführer zieht daraus den Schluss, dass die Kunstszene in Bischkek weitgehend „vernachlässigt“ wird – sie sei einfach zu klein und im Vergleich zu anderen Angeboten wenig attraktiv für die Menschen. Doch in letzter Zeit beobachtet Ernest „einen gewissen Anstieg des Interesses“, besonders von jungen, wissbegierigen Menschen, die „keine Angst [haben], (…) Fragen zu stellen“ und sich aktiv mit Kunst auseinanderzusetzen.
Ernest hofft, dass die Museumsbesuchenden stets im Hinterkopf behalten, was Kunstschaffende wie Aitiev mit ihren Darstellungen, etwa von Natur, bewirken wollten: „Sie verwandeln etwas, das so ist, wie es ist, und verleihen ihm einen ästhetischen Wert“. Für Ernest liegt darin das humanitäre Erbe, das „aus den Ansichten und Interpretationen anderer Menschen [besteht], die an die umgebende Welt weitergegeben wurde“. Für Aitievs Enkel ist entscheidend, dass dieses humanitäre Erbe geschätzt und geehrt wird. Denn Aitievs Werke laden dazu ein, die Welt durch seine Augen zu sehen, und sie eröffnen neue Perspektiven auf das alltägliche kirgisische Leben.
Interessierte können das zweistöckige Museum, das eine bedeutende und vielfältige Sammlung von Gapar Aitievs Werken präsentiert, von Montag bis Freitag von 09:30 Uhr und 17:00 Uhr besuchen. Der Eintritt ist kostenlos. Zudem können Museumsführungen auf Russisch, Englisch und Deutsch im Voraus angefragt werden.