Traditionell finden im September in den meisten Ländern die Diskussionen und Verabschiedung des Staatshaushaltes für das kommende Jahr statt. So auch in Kasachstan. Der Finanzminister hat den Abgeordneten kürzlich die Eckdaten des Haushaltsentwurfs vorgestellt und dabei entsprechende Fragen und Probleme erläutert.
Auf dieser Grundlage und natürlich auf Basis von vielen Seiten Papier mit noch mehr Zahlen darauf erfolgt die Diskussion durch die Fraktionen – im Moment gibt es hier davon aber nur eine – und am Ende die Beschlussfassung. Die Verwendung der Finanzen des Staates sollte immer ein öffentlicher Prozess sein, auf jeden Fall ist er aber ein politischer. Der Einsatz der staatlichen Mittel unterliegt immer auch bestimmten Zwecken der politischen Beeinflussung der Bevölkerung. Ein streng finanzwirtschaftliches Herangehen wie in Unternehmen nach dem Prinzip Aufwand im Verhältnis zum Ertrag kann es für den staatlichen Teil des Gesamtfinanzsystems nicht geben. Denn der Staat verfolgt überwiegend Ziele, deren Effekte nicht direkt in Finanzkategorien zu messen sind – zum Beispiel gute Bildung, intakte Umwelt, funktionierende Infrastruktur, öffentliche Sicherheit.
Das erste, neue Moment in der hiesigen Haushaltsplanung ist ein eher formelles: Der Staatshaushalt wird erstmals für drei Jahre aufgestellt und nicht mehr, wie international üblich, für ein Jahr. Man kann über diese Frist streiten, ich halte sie für zu lang. Bereits jetzt muss der Haushalt pro Jahr zwei bis dreimal aus verschiedenen Gründen korrigiert werden, bei drei Jahren wird das noch öfter der Fall sein. Vor allem aber haben die Volksvertreter nur noch sehr eingeschränkt die Möglichkeit, sich kritisch und sachlich mit der Regierung auseinanderzusetzen. Der Haushaltsentwurf ist das wichtigste Dokument zur Beeinflussung der Politik in einem Land. Ein Stück Demokratie geht so also verloren. Das aber soll hier nicht im Mittelpunkt stehen.
Interessanter ist vielmehr, dass mit dem Haushalt für 2009 bis 2011 durchaus eine deutliche Zäsur in der Wirtschaftspolitik des Landes verbunden ist. Die Steuereinnahmen als wichtigste Quelle der Deckung der geplanten Ausgaben hängen ja von der Wirtschaftsleistung der Unternehmen ab. Diese aber wird sich auf absehbare Zeit wohl nicht mehr so rasant entwickeln wie in der Vergangenheit. Um etwa die Hälfte wurden deshalb auch die entsprechenden Prognosen reduziert. Damit kann das strategische Ziel der Verdopplung des Bruttoinlandsprodukts bis 2015 keinesfalls erreicht werden. Die nach wie vor wichtigste realwirtschaftliche Leistungskennziffer – die Ölförderung – sollte von etwa 70 Millionen Tonnen in diesem Jahr auf etwa 150 Millionen Tonnen in 2015 hochgefahren werden. Dieses Ziel ist nun in das Reich der Wünsche verbannt worden. Große Optimisten gehen davon aus, dass noch 130 Millionen Tonnen erreichbar wären. Ich glaube eher an 100 bis 110 Millionen Tonnen. Die technischen Probleme und die notwendigen Aufwendungen im neuen Wunderfeld der Förderung (Kaschagan) sind ganz einfach zu groß, um dieses überehrgeizige Ziel noch zu erreichen. Große Erwartungen können eben auch leicht große Enttäuschungen mit sich bringen. Zusätzlich sinken die Ölpreise deutlich. Insgesamt also steht ein drastischer Rückgang der Steuereinnahmen ins Haus.
Die verarbeitende Industrie, die das ausgleichen könnte, humpelt aber immer noch vor sich hin und wird auch in nächster Zeit keinen Sprint hinlegen können. Jetzt rächt sich, dass die Zeiten der überaus guten Preiskonjunktur und der sprudelnden Staatseinnahmen nicht ausreichend konsequent zur Umstrukturierung der Wirtschaft hin zu mehr verarbeitender Industrie genutzt wurden. Zwar gibt es auch hierfür Programme, vor allem das der industriell-innovativen Entwicklung, doch nach nun bereits fünf Jahren Arbeit ist damit keiner der erwarteten Effekte eingetreten. Das liegt weniger an dem Papier selbst, sondern an seiner Umsetzung. Diese ist auch deshalb mangelhaft, weil ständig neue Modebegriffe und Modetendenzen in die Wirtschaftspolitik Einzug gehalten und so eine Konzentration der sehr begrenzten Managementkapazitäten verhindert haben. Auch die besten Programme aber realisieren sich nicht von allein, sondern müssen durch kreative Leute scheibchenweise umgesetzt werden. Ständig neue und oft überehrgeizige Dinge auszudenken und dann um deren Platzierung zu kämpfen, vielleicht auch nur, um jemandem zu gefallen, bringt das Land nicht voran. Dass ich darüber an dieser Stelle schon ausreichend oft geschrieben habe und nun bestätigt werde, macht mich allerdings auch nicht froher.
Der Ton der Regierung ist – gezwungenermaßen – verhaltener geworden, vielleicht kann man sogar sagen demütiger. Der Rückgang der Einnahmen und die nicht ausgestandene heimische Finanzkrise lassen das auch angeraten erscheinen. Auf jeden Fall ist jetzt die Chance gegeben, das zu tun, worüber man seit etwa zehn Jahren redet: die Wirtschaft auf eine qualitativ neue Basis zu stellen, Strukturveränderungen voranzutreiben, von den Öleinnahmen unabhängiger zu werden.
Die aktuelle, relative Krise ist natürlich auch eine Chance. Große Dinge werden oft erst in der Not geboren. Doch einige Aussagen von Politikern während der Vorstellung des Haushaltsentwurfs, weniger die denen zugrunde liegenden Fakten, stimmen mich in dieser Hinsicht nicht unbedingt optimistisch. Wenn das geplante Haushaltsdefizit von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder der für notwendig erachtete Einsatz von Mitteln aus dem Nationalen Reservefonds zur Finanzierung des Haushaltes als Ergebnis weitsichtiger Politik des politischen Establishments verkauft werden, ist das bedenklich. Denn nicht die Weitsicht hat das veranlasst, sondern die auch aus einer nicht geringen Selbstüberschätzung entstandene Not ist die Ursache. Pessimismus ist sicher nicht das Beste im Leben, unbegründeter Optimismus kann aber auch viel Schaden anrichten.
Bodo Lochmann
26/09/08