Eduard (Ed) Ratnikow, der größte russische Promoter und Leiter der Konzertagentur T.C.I., sprach mit uns über das Leben der Künstler in Covid-Zeiten, über seine Zukunftspläne, über die Fallstricke im Showbusiness und über seine deutschen Wurzeln. Dank seiner Firma treten bereits seit 25 Jahren Stars wie Rammstein, Blur, Nick Cave, Deep Purple, Kraftwerk, Limp Bizkit, Motörhead, Rihanna, die Scorpions, Robbie Williams, Jennifer Lopez, Whitesnake, Ozzy Osbourne und viele andere auf den größten Bühnen Russlands, Belarus‘, der Ukraine und Kasachstans auf.

Till Lindemann, Frontmann der deutschen Metal-Band Rammstein, den Sie nach Russland gebracht haben, hat einmal zu Reportern gesagt: „Es gibt keine Kunst ohne Schmerz; die Kunst existiert vielmehr dafür, um den Schmerz zu kompensieren.“ Was denken Sie darüber?

Das Wort „Kompensation“ ist generell ein sehr wichtiges Wort. Ich glaube, dass es zu Unrecht viel zu selten benutzt wird und die Wortbedeutung in den Lebensprozessen äußerst wichtig ist. Schmerz ist ein häufiger Begleiter oder sogar ein Bewohner der Kunst, in diesem Punkt hat Till absolut Recht. Man sagt auch: „NO PAIN, NO GAIN“. Aber am besten hat es Kostja Nikolskij ausgedrückt: „Und das Licht wird dunkler, und die Geräusche werden still, Und die Hände suchen nach neuer Qual. Wenn dein Schmerz nachlässt, wird es neues Unheil geben…“

Wollen Sie nicht auch in Kasachstan, in ihrer zweiten Heimat, ein Konzert von Rammstein organisieren?

Das will ich natürlich schon lange, und jedes Mal, wenn Rammstein auf Tour geht und mit mir über das Gebiet der früheren UdSSR spricht, entwickle ich das potenziell. Aber es gibt diverse Schwierigkeiten, um diese Frage zu entscheiden. Sie kennen vermutlich das Ausmaß des „Unheils“, den der Showname „Rammstein“ mit sich bringt.

Es ist bis zum heutigen Tag die spektakulärste Rockshow der Welt. Es gibt nicht viel, was man damit vergleichen kann. Man kann es mit einer Riesenschlange und einem Frosch vergleichen, und der Frosch ist das Publikum, und dessen Anzahl spielt keine Rolle: je mehr Menschen kommen, desto stärker ist der Effekt.

Aber Kasachstan liegt, logistisch betrachtet, weit abseits der Weltrouten der großen Stars und ihrer Shows: 87 Transporteinheiten müssen geliefert werden – daraus besteht eine Show. Und um diese mit einem Autozug aus Warschau oder Moskau nach Almaty zu bringen, braucht es eine Woche. Und jeder Tag kostet dabei nicht wenig Geld: Die Miete des Transports, die Bezahlung des Personals, die Miete der Ausrüstung. Und so kommt es, dass solch eine riesige Show wie „Rammstein“ in Almaty wirtschaftlich nicht rentabel ist, und kleinere Shows machen sie nicht.

Übrigens, wo genau wurden Sie geboren?

Das ist eine ziemlich alte Familiengeschichte – das 20. Jahrhundert hat viele Schicksale zerstreut. Ich habe im Juni 1966 in Alma-Ata das Licht der Welt erblickt. Aber ich habe nicht lange dort gelebt. Als ich drei Jahre alt war, nahm mich meine Mutter mit auf eine der Komsomolzenbaustellen jener Jahre, wo auch mein Charakter geformt wurde.

In einem Interview haben Sie Ihre Urgroßmutter Emma Frederika Müller erwähnt, die ein Zögling aus einem der letzten Absolventenjahrgänge des Smolny-Insitituts war. Erzählen Sie uns ein bisschen über die Geschichte Ihrer Familie: Wie sind ihre Vorfahren nach Kasachstan gekommen?

Ja, die Großmutter Emma, oder besser gesagt, meine Urgroßmutter, war die großartigste Frau. Sie hat mich sehr geliebt, und ich verdanke ihr meinen Namen. Sie bestand darauf, dass ich Eduard genannt wurde. Die Urgroßmutter lebte ein nicht gerade einfaches Leben, sie überlebte die dreißiger und vierziger Jahre, verlor zwei Ehemänner, und selbst als sie im Sterben lag, hatte sie Angst, uns die Familiengeschichte zu erzählen, so dass, Gott bewahre, sie nicht einer von uns herausplaudern möge und es zu Unannehmlichkeiten kommen würde…

Die Familie war stark, sie war sehr wohlhabend, erfolgreich und groß. Sie lebte im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts irgendwo im damaligen Kreis Sumy, was in der Ukraine liegt. Aber im Herbst 1941 hat man alle sowjetischen Deutschen in 24 Stunden in Waggons geladen und nach Kasachstan gebracht. Es wurde Winter, man hat mit den bloßen Händen in der Erde gegraben, es starben 40 Prozent aller Vertriebenen. Unsere Familie hat irgendwie überlebt, und so wurde Kasachstan zu unserem neuen Zuhause.

Pflegen Sie deutsche Traditionen in Ihrer Familie?

Wenn wir in unserer Familie mit Onkel Albert, Tante Tanita und anderen deutschen Verwandten zusammen leben würden, würden wir natürlich die Traditionen pflegen. Aber von der Familie ist bereits in den 60er Jahren fast keiner mehr übrig geblieben: Manche sind schon gestorben, andere leben in der Ferne. Ein Teil der Verwandtschaft ging Anfang der 90er Jahre nach Deutschland. Und so bin ich jetzt meine eigene Tradition.

Was ist Ihrer Meinung nach die moderne Formel für Erfolg?

So viele Menschen es gibt, so viele Meinungen gibt es auch. Aber das Sprichwort „Tu, was du tun musst, und es kommt, wie es kommt“ bildet meine Meinung wohl am besten ab.

Gibt es Fallstricke in Ihrer Arbeit?

Nun, welche Fallstricke kann es in der Arbeit eines Mannes geben, der dieses Business in unserem Land noch zu Zeiten der UdSSR aufgebaut hat? Der größte Fallstrick ist die Verantwortungslosigkeit der Partner. Aber selbst hier liegen uns keine Steine im Weg – wir wissen, wie wir uns durch Rechtsmittel verteidigen können, wie der Dokumentenverkehr richtig abzulaufen hat und so weiter; wir erfüllen unsere Verpflichtungen ehrlich und pünktlich.

Im Allgemeinen bringt uns die Liebe zu unserer Arbeit dazu, sie auf seriöse Weise und mit Respekt zu erledigen. Wir denken im Voraus über Wege und Handlungen nach, damit die Sache, die wir machen, von allen Seiten vor dem ewigen menschlichen Faktor sowie vor der Willkür und der Verantwortungslosigkeit der Partner geschützt ist. Denn wissen Sie, was der menschliche Faktor ist? Meiner Meinung nach ist das Schlamperei, Inkompetenz, Faulheit und Lüge.

Der zeitgenössische deutsche Schriftsteller Arnold Stadler behauptet: „Das Leben ist nur in billigen Romanen weiß und flauschig. Obwohl es zuweilen lustig sein kann.“ Stimmen Sie ihm zu?

Ich kenne diesen Schriftsteller nicht, aber über das Leben könnte man es auch drastischer sagen. Alles hängt von der persönlichen Lebenseinstellung ab. Zum Beispiel lässt sich alles, was ich und meine Kollegen in meinem Promotingunternehmen machen, mit einem Satz zusammenfassen: „Uns macht es Spaß, Menschen zu überraschen, sie dazu zu bewegen, mitzufühlen und das zu bewundern, was ihnen unsere Künstler bringen, mit denen wir zusammenarbeiten. Und das bedeutet, die Menschen besser zu machen, weil wahre Kunst und Talent dazu beitragen.“

Was glauben Sie, braucht die heutige Welt Talente oder entscheidet das Geld über alles?

Talente werden immer gebraucht. Man sagt: „Helfen Sie den Talenten, und die Mittelmäßigkeit wird von selbst verschwinden.“

Wie bewältigen die Künstler die aktuelle Krise?

Nun, irgendwie… Sehr gefragte Künstler haben gute Arbeit mit Online-Konzerten geleistet, die von diversen Marken in Auftrag gegeben wurden. Aber so wie ich es verstanden habe, ist die Thematik nicht ganz aufgegangen.

Es gibt nichts Größeres als den lebendigen Kontakt zwischen dem Artisten und dem Publikum. Kleinere Künstler versuchen ebenfalls, ihren Überlebensweg zu finden, aber es geht nicht nur um sie selbst, denn die Live-Konzertbranche besteht aus einer Armee von Personal: die Unternehmen der Organisatoren, die Vermietung der Licht- und Tonausrüstung, die Transportunternehmen, die Mitarbeiter der Konzertorte, die Ticketverkaufsstellen und so weiter – es ist eine Armee an Menschen, die keine Arbeit mehr haben.

Rock oder Pop? Wer wird Ihrer Meinung nach gewinnen?

Jede Zeit hat ihre eigenen Präferenzen, aber Pop ist natürlich wichtiger, getreuer, massiver. Wenngleich Rock eindrucksvoller, dynamischer und technologisch fortschrittlicher ist. Persönlich drehen sich meine Vorlieben rund um qualitativ hochwertige und spektakuläre Rockmusik. Aber die Art, wie ich sie mag, verschwindet.

Es tauchen neue Formen und Formate auf. Jede Zeit hat seine eigenen Besonderheiten, und mit diesen beschäftigen sich jetzt meine jüngeren Kollegen, die, genauso wie ich, ihre Arbeit lieben und verehren. Meine Gleichgesinnten, die die heutige Musik zwar viel besser verstehen als ich, sich aber zu den gleichen Arbeitsprinzipien bekennen.

Was ist die Eigenschaft, die Sie am meisten an einem Mann schätzen?

Verlässlichkeit.

Vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Marina Angaldt.

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