Die neuesten Wirtschaftszahlen in Kasachstan sehen erst einmal nicht schlecht aus und bewirken ziemlich positive Bewertungen. Das ist auf den ersten Blick auch richtig, dennoch muss man hinter die Kulissen schauen. Der Umfang der Industrieproduktion ist in den ersten fünf Monaten diesen Jahres im Vergleich zum selben Zeitraum des vergangenen Jahres um 10,3 Prozent nach Abzug der Inflation gestiegen. Sowohl nach Wirtschaftszweigen als auch nach Regionen hat sich die Industrieproduktion erhöht, teilweise um bis zu 40 Prozent. Das ist enorm und nicht so leicht zu verstehen.
Die landwirtschaftliche Produktion ist um drei Prozent gestiegen, während das Volumen der Bauproduktion mit minus 5,5 Prozent weiter gesunken ist. Ebenfalls nach unten zeigt das Investitionsvolumen, das sich um fast sechs Prozent verringert hat. Bemerkenswert bei diesem Zukunftsindikator ist lediglich, dass sich das Tempo des Rückgangs der Investitionsausgaben deutlich verringert hat. Im vergangenen Jahr war der Rückgang etwa doppelt so hoch. Damit ist von der angekündigten Innovationsinitiative, die ja auch von Investitionen begleitet sein muss, bisher noch nichts zu spüren.
Das kann man bei positiver Sicht mit der noch kurzen Laufzeit des aktuellen staatlichen Innovationsprogrammes erklären, das erst im Januar gestartet wurde. Der Rückgang des Investitionsvolumens ist auch Ausdruck der Probleme des hiesigen Bankensektors; schließlich werden Investitionen fast vollständig mit Krediten finanziert, die im Moment aber nur begrenzt fließen.
Auch die ausländischen Direktinvestitionen kamen spärlicher nach Kasachstan, ihr Anteil an der Gesamtinvestitionssumme sank von 45 auf 30 Prozent. Das offizielle Niveau der Arbeitslosigkeit beträgt 6,1 Prozent und ist damit deutlich niedriger als z. B. in Deutschland (etwa acht Prozent). Allerdings sind diese Zahlen nur bedingt vergleichbar, da die Arbeitskräfte dort wesentlich effektiver eingesetzt werden.
Der Durchschnittslohn betrug im Mai 75.203 Tenge und ist damit zum Vorjahr um acht Prozent real gestiegen. Allerdings hat sich die Produktivität der Wirtschaft nicht in gleichem Maße erhöht, was längerfristig zu einer relativen Verteuerung der heimischen Produkte und zu einer Stimulation der Inflation führen muss.
Im Bereich des Außenhandels sind positive Zahlen zu vermelden. Das Exportvolumen ist zum Vorjahr um fast 70 Prozent gestiegen, es betrug für die ersten vier Monate dieses Jahres 18,3 Milliarden Dollar. Da im gleichen Zeitraum die Importe um neun Prozent auf knapp acht Milliarden Dollar gesunken sind, ergibt sich ein beachtlicher Außenhandelsüberschuss von 10,6 Milliarden Dollar. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres betrug diese Größe nur 2,4 Milliarden Dollar. Damit sind also erst einmal die im Vorjahr ausgesprochenen Befürchtungen, dass eine Devisenumtauschkontrolle eingeführt werden müsste, gegenstandslos geworden.
Wichtige volkswirtschaftliche Zahlen Kasachstans lassen also durchaus darauf schließen, dass sich das Land auf dem Weg aus der Krise befindet. Doch für Jubel ist kein Anlass. Dafür gibt es erst einmal zwei einfache Gründe. Das am Anfang zitierte hohe Wachstum der Industrieproduktion ist auf die krisenbedingte niedrige Ausgangsbasis des vergangenen Jahres zurückzuführen. Absolut hat die Produktion trotz des beachtlichen Zuwachses das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht.
Das starke Wachstum des Exports ist zu weniger als einem Zehntel auf die Steigerung der Förderung der Hauptexportgüter zurückzuführen, der größte Teil ist durch das Steigen des Weltmarktpreise bedingt, also nicht auf eigene Leistung zurückzuführen. Die grundlegenden strukturellen Probleme im Produktionsbereich, der kritische Zustand im Bankensektor und die enorme Außenschuld bleiben auf absehbare Zeit bestehen. Das Ansteigen wichtiger Kenngrößen erleichtert die Lösung dieser Probleme; sie können die kasachische Wirtschaft bei eventueller Verschlechterung der Weltkonjunktur aber noch tiefer und schneller in die Krise reißen, als dies jüngst der Fall war.