Wie leben nationale Minderheiten heute in Deutschland? Warum gelten in Europa Kenntnisse in mehreren Fremdsprachen als Norm? Hat die deutsche Sprache in Kasachstan eine Zukunft? Und was sind die Hauptprobleme der modernen Bildung? Diese und viele weitere wichtige und aktuell Fragen werden beantwortet von Dr. Katharina Dück – Wissenschaftsphilosophin und Sprachwissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache und Dozentin an der Universität Mannheim.

Ihre Forschungsschwerpunkte sind Sprachkontakt, Mehrsprachigkeit und Migrationslinguistik sowie Materialismus und Naturkunde in der Frühen Neuzeit, Paracelsismus und alchemische Sachschriften im 16. Jahrhundert. Katharina Dück wurde 2019 an der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg promoviert. 2006 war sie Stipendiatin der Landesstiftung Baden-Württemberg und von 2012 bis 2015 Stipendiatin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Außerdem ist Katharina Dück Vize-Vorständin im Kunstverein Neustadt, Mitbegründerin des Heidelberger Dichterkollektivs KAMINA (2011) sowie des Neustadter Autorennetzwerks „Textur“ (2017). Seit 2017 leitet sie den Arbeitskreis Literatur des Kulturzentrums Herrenhof Mußbach e.V. 2022 wurde sie mit dem Nora-Pfeffer-Literaturpreis ausgezeichnet.

Frau Dr. Dück, Deutschland war 1992 eines der ersten Länder, welche die Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats unterzeichnete, die darauf abzielt, Minderheitenkulturen im modernen Europa zu erhalten und Toleranz und Vielfalt zu fördern. Wie leben die nationalen Minderheiten heute in Deutschland? Wie werden Minderheitensprachen für künftige Generationen erhalten?

Mit der Unterzeichnung der Europäischen Charta für Regional- und Minderheitensprachen von 1992 ist Deutschland die Verpflichtung eingegangen, die von der Bundesrepublik anerkannten Minderheiten nicht nur zu erhalten, sondern auch zu fördern. Für das deutsche Staatsgebiet hat die Bundesrepublik bei der Ratifizierung Dänisch, Friesisch (dazu zählen Sater- und Nordfriesisch), Sorbisch und Romanes als Minderheitensprachen im Sinne der Charta bestimmt. Das Niederdeutsche hat den Status einer Regionalsprache. Die Vitalität der Minderheitensprachen in Deutschland ist recht unterschiedlich: Die Situation des Dänischen stellt sich alleine deswegen als recht stabil dar, weil die dänische Grenzminderheit einen Nationalstaat hat, aus dem sie beispielsweise auch ökonomische Unterstützung erfahren.

Für das Friesische dagegen stellt der Spracherhalt eine Herausforderung dar: Das Nordfriesische ist von einer großen Dialektvielfalt umgeben, der es zu „widerstehen“ gilt. Und auch das Saterfriesische hat einen eingeschränkten Kommunikationsraum. Hier ist vor allem die Rolle der schulischen Bildung bedeutsam. Das Sorbische hat aufgrund seines historisch bedingten „Schutzraums“ durch die Kirche eine recht stabile Sprecherzahl. Und auch das Romanes scheint recht vital zu sein. Allein der Sprachgebrauch von Akteuren auf internationaler Ebene hat zu einer Aufwertung der Sprache sowie zu einem Funktions- und Strukturausbau gesorgt. Auch wenn es zahlreiche Aktivitäten, Strukturen und Rechtsinstrumente zur Förderung der Minderheiten gibt, so fehlen insgesamt stringente und gezielte Konzepte für den Spracherhalt von Minderheitensprachen in der Bundesrepublik, um ihren Bestand auch in Zukunft zu gewährleisten.

Kasachische Deutsche sprechen deutsche Dialekte wie Bayerisch, Pfälzisch, Schwäbisch, Hessisch, Südfränkisch und Niederdeutsch. Noch im letzten Jahrhundert lebten zum Beispiel Mennoniten, die Plattdeutsch sprachen, im Norden Kasachstans. Heute ist Plattdeutsch ein aussterbender Dialekt in Kasachstan. Wie ist die Situation des Niederdeutschen in Deutschland?

Seit der Aufnahme des Niederdeutschen als Regionalsprache in das deutsche Ratifizierungsdokument der erwähnten Europäischen Charta setzte eine Prestigesteigerung des Norddeutschen ein. Aktuelle Umfragen zeigen zudem, dass das Kompetenzniveau der Sprecherinnen und Sprecher in den letzten zehn Jahren nahezu gleich geblieben ist. Allerdings wird Niederdeutsch immer seltener in der Familie weitergegeben. Auch gibt es im Alltag eine immer geringere Notwendigkeit, Niederdeutsch sprechen zu müssen, so dass langfristig gesehen Niederdeutsch durchaus gefährdet ist.

Die Popularität der deutschen Sprache in Kasachstan ist in den letzten Jahren dramatisch gesunken. Die deutsche Sprache ist in den Hintergrund getreten – sie wird in den Bildungseinrichtungen des Landes kaum noch unterrichtet. Glauben Sie, dass die deutsche Sprache in Kasachstan eine Zukunft hat? Was muss getan werden, damit sie eine hat, und was sind die Haupthindernisse für die Popularisierung der deutschen Sprache in Kasachstan?

Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass die Zahl der Sprecherinnen und Sprecher des Deutschen in Kasachstan so stark rückläufig ist. Ob die deutsche Sprache in Kasachstan eine Zukunft hat, kann ich nur schwer einschätzen. Es hängt sicherlich auch mit Perspektiven zusammen, die einem die deutsche Sprache im eigenen Land und darüber hinaus, bspw. auf dem Arbeitsmarkt, ermöglicht. Wären die Kooperationen zwischen Kasachstan und Deutschland in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur intensiver, würde sicherlich auch die deutsche Sprache wieder an Prestige gewinnen.

Warum, glauben Sie, ist in Europa die Beherrschung mehrerer Fremdsprachen die Norm, während in Kasachstan der Unterricht in einer Fremdsprache die Norm ist?

Wieso in Kasachstan die Norm einer Fremdsprache herrscht, kann ich nicht sagen. Die Beherrschung von zwei Fremdsprachen in Europa basiert auf einer Politik der Mehrsprachigkeit der Europäischen Union. Sie sieht in der Mehrsprachigkeit Vorteile für das gegenseitige kulturelle und soziale Verständnis über Grenzen hinweg, die Erleichterung von Mobilität, z.B. im beruflichen und auch persönlichen Kontext, und schließlich sind auch für Unternehmen Arbeitskräfte mit sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen entscheidend, um international erfolgreich zu sein.

Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptprobleme der aktuellen kasachischen und deutschen Bildung? Welche Modernisierung des Bildungswesens ist erforderlich?

Ich maße mir nicht an, darüber zu urteilen, welche Probleme es in der kasachischen Bildung gibt. In Deutschland jedoch sollte vor allem der Fremdsprachen- sowie Minderheitensprachenunterricht – idealerweise von „native speakers“ – früher einsetzen, als es bisher geschah. Dazu gibt es allerdings auch schon Pilotprojekte, die bis in den Kindergarten reichen, wo es mehrere Fachkräfte mit unterschiedlichen Muttersprachen gibt, die sie im Umgang mit den Kindern gebrauchen. Leider sind das Ausnahmen und es ist noch nicht flächendeckend. Das ist allerdings nur ein Wunsch von mehreren; zudem aus der Perspektive einer Sprachwissenschaftlerin mit dem Forschungsschwerpunkt Mehrsprachigkeit. Es gibt einige andere und viel grundlegendere Probleme im deutschen Bildungssystem – wie die viel zu großen Klassen, weil es eben auch viel zu wenig Lehrer gibt, die nicht selten nur Kurzverträge haben. Lerngruppen sollten kleiner sein, um produktiv arbeiten zu können. Auch fehlt ein flächendeckendes Digitalisierungskonzept an den Schulen. Wenn diese Probleme angegangen würden, wäre das schon mal ein großer Schritt.

Können Kasachstan und Deutschland ihre Zusammenarbeit im Bildungsbereich vertiefen? Welches sind die wirksamen Instrumente für diese Idee?

Wieso sollten sie es nicht tun? Es gibt viele Verbindungselemente und auch genügend interessante Unterschiede, die beide Länder voneinander lernen lassen. Städtepartnerschaften, Schüleraustausch, akademischer Austausch von Studentinnen und Studenten, von Wisschenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, gemeinsame Konferenzen, Workshops wären ein guter Anfang. Und auch kultureller Austausch in den Bereichen Kunst, Musik, Literatur und Theater wären ganz wunderbar. Das wäre für beide Länder eine große Bereicherung! Ich zumindest würde an solchen Kooperationen zwischen beiden Ländern sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Kulturschaffende mitwirken.

Der Schriftsteller Leon Feuchtwanger erklärte: „Wer sich auf die Seite der Vernunft stellt, ist zum Leiden verdammt.“ Was ist Ihre Meinung zu dieser Aussage?

Ich halte es eher mit dem großen Maler Francisco de Goya: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“. Also sollten wir uns den Herausforderungen, die uns die Vernunft gibt, stellen.

Vielen Dank für ein sehr interessantes und informatives Gespräch.

Marina Angaldt

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