Teure Jagdreisen nach Zentralasien boomen. Doch Experten warnen vor dem Ausverkauf der einmaligen Tierwelt
Jeden Herbst kommt Jan Ullrich, der Rad-Profi, nach Kasachstan, regelmäßig seit zehn Jahren. Der ewige Zweite der Tour de France jagt hier jedoch nicht wie gewohnt seine Kontrahenten Lance Armstrong oder Alexander Winokurow – sondern Wildschweine, Auerhühner oder Trappen.
Das exklusive Hobby teilt sich Ullrich mit einer wachsenden Anzahl von Touristen, die es aus einem einzigen Grund nach Zentralasien zieht: Sie sind auf der Jagd nach Trophäen, die in der Weltrangliste des „Safari-Club International“, SIC, Spitzenplätze einnehmen. Die Jagdorganisation führt ein Bewertungssystem, mit deren Hilfe Jäger weltweit ihre Trophäen vergleichen können. Dabei werden Gewicht, Größe, Geweih-, Fang- oder Stoßzahnqualitäten erlegter Wildschweine, Steinböcke oder Elefanten in eine Gesamtpunktzahl umgerechnet, die dann als objektive Vergleichsbasis gilt – und als Maß für wahres Jägerglück.
Vor allem Marale, eine in Eurasien heimische Rothirsch-Art, sibirische Steinböcke, Rehböcke aus dem nordkasachischen Kustanai-Gebiet und Argali-Wildschafe aus Kasachstan oder Kirgisistan schaffen es regelmäßig in die Bestenlisten.
Unter Jägern berühmt sind die Marale aus dem Dschungarischen Alatau, ihre Geweihe gelten als die größten der Welt. Durchschnittlich wiegt das Geweih eines Maral-Bullen etwa zwölf Kilogramm, doch im Osten Kasachstans erbeuten Jäger fast regelmäßig Geweihe mit 17 oder 18 Kilogramm. Spitzengeweih- und Weltrekordträger ist ein Maral mit über 20 Kilogramm auf dem Kopf. Im High-Score des SCI liest sich das etwa so: SCI-Punkte 348, bei einem Durchschnittspunktwert von 175.
Bei den Sibirischen Steinböcken konkurrieren regelmäßig Exemplare aus Kasachstan und Kirgisistan um die Spitzenplätze. Als Rekordmaß gelten so genannte „Schlauchlängen“ – die Gesamtlänge eines Horns – von über 150 Zentimetern – bei einer durchschnittlichen Länge von etwa 130 Zentimetern. Ebenso begehrt sind die Widder der verschiedenen Wildschaf-Arten, des Karaganda-, Sair-, Marco-Polo- oder des Dschungarischen Argali mit Spitzenlängen von bis zu 155 Zentimetern.
Derartige Rekordmeldungen aus dem Alatau und dem Tienschan wecken Begehrlichkeiten beim Jägervolk. Professionell organisierte Jagdreisen für Ausländer haben sich deshalb in den letzten Jahren vor allem in Kasachstan und Kirgisistan, aber auch in Tadschikistan und der Mongolei zu einem wichtigen Bereich des Tourismus entwickelt. Kasachstan beispielsweise zählt heute offiziell etwa 1.000 Jagdtouristen jährlich, die bei spezialisierten Agenturen Pauschalreisen „mit Trophäengarantie“ buchen.
Basis für den Preis eines solchen bis zu 14-tägigen Jagd-Abenteuers ist stets die Lizenz zum Abschuss der bestellten Ware. Die Anzahl der verfügbaren Lizenzen wird in Kasachstan durch die Vereinigung aller Jagd- und Fischerei-Organisationen bestimmt. Je nachdem, ob die Population im Jahr zuvor gewachsen oder geschrumpft ist, wird die Anzahl der Lizenzen erhöht oder verringert.
Eine Jagd auf das Marco-Polo-Argali in Tadschikistan kostet bei „Trophyhunt“ aus St. Petersburg beispielsweise 22.000 Dollar, mit garantierten 130 Zentimetern Hornlänge. Preiswerter ist die Jagd auf Argalis in Kirgisistan, nur 14.500 Dollar kostet hier die Reise, Aufpreis für jeden Steinbock – 1.600 Dollar, für Marale – bis zu 10.000 Dollar. Bei „Deltana Outfitters“, einer US-amerikanischen Jagdagentur, kostet die Jagd auf Steinbock und Maral in Kasachstan derzeit 11.680 Dollar, der zusätzliche Steinbock 3.400 Dollar, ein Maral 7.000 Dollar. Bei ausbleibendem Jagderfolg werden 3.500 Dollar zurückerstattet.
Ironischerweise wandern die Lizenzgebühren zum Teil in die Ministerien für Naturschutz. In der Mongolei beispielsweise wird mit den Abschusslizenzen gleichzeitig der Schutz der Argali-Wildschafe finanziert. Doch der hochbezahlte Jagdboom hat in Zentralasien bereits seine Spuren hinterlassen. Wolfgang Fremuth von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt schätzt beispielsweise die Jagd auf den Maral als „äußerst bedenklich“ ein. Obwohl der Bestand in Kasachstan von Jägerseite mit 3.000 Tieren angegeben würde, seien Schätzungen von interessengeleiteten Gruppen oft um 100 Prozent überhöht, so der Biologe. „Aber selbst die Bestandszahl von 3.000 Tieren müsste Signal für die Verantwortlichen in Kasachstan sein, dass eine Bejagung der Tiere nicht zulässig ist, weil ökologisch kaum verantwortbar“, meint Fremuth.
Für problematisch hält der Biologe die Tatsache, dass bei der Trophäenjagd gezielt die stärksten männlichen Tiere geschossen werden, weil sie die größten Gehörne oder Geweihe tragen: „Werden diese Tiere erlegt, treten an ihre Stelle andere Tiere, die offensichtlich im innerartlichen Verteilungskampf unterlegen, also weniger fit waren. Daher kann eine Trophäenjagd, auch wenn sie nur einzelne Tiere aus einer Herde herausschießt, für die Population und ihre genetische Fitness sehr problematisch werden.“ Bei der Saiga-Antilope hat das bereits zu einem akuten Mangel an männlichen Tieren geführt, so dass die auf maximal 40.000 dezimierte Restpopulation trotz Schutzmaßnahmen möglicherweise nicht mehr regenerationsfähig ist.
Von den 340.000 deutschen Jagdschein-Inhabern war laut dem „Ökologischen Jagdverband“ bereits jeder dritte schon auf Auslandsjagd. Neben Amerikanern stellen die Deutschen auch den größten Teil der Jagdtouristen in Zentralasien. Gerade Kasachstan gilt vielen von ihnen als Geheimtipp für urwüchsige Abenteuer und als Eldorado für Trophäensammler.