Wer in Kasachstan zweimal ein Handy stiehlt, muss ins Gefängnis – dies gilt auch für Jugendliche. Für mehr erzieherische Maßnahmen statt Strafvollzug hat sich deshalb der deutsche Richter und Experte für Verfassungsrecht Gerd Wehling ausgesprochen. Doch vor allem fehlende Finanzmittel und Fachkräfte stehen der Einführung eines Jugendstrafrechts in Kasachstan im Wege.
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Erzieherische Maßnahmen statt Strafvollzug für Jugendliche in Kasachstan empfahl der Hamburger Richter und ehemalige rechtspolitische Berater im Bundestag Gerd Wehling. Auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Jugendjustiz in Kasachstan sprach der Jurist vor Staatsanwälten, Richtern und Beamten des Innenministeriums über deutsche Erfahrungen im Umgang mit jungen Straftätern. Es habe sich gezeigt, dass 80 Prozent der Jugendlichen nach dem Strafvollzug wieder rückfällig würden, wohingegen dies nur bei 20 Prozent der Täter geschehe, die Sozialstunden geleistet hätten. „Um junge Straftäter ab 15 Jahren anders behandeln zu können als Erwachsene, müsse in Kasachstan dringend ein Jugendstrafrecht eingeführt werden“, so Wehling weiter. Nach Einschätzung des Experten ist in Kasachstan der Wille dazu vorhanden. Deshalb habe die kasachische Regierung die UN-Kinderschutzkonvention unterzeichnet, welche zum Beispiel ein Verbot der Todesstrafe für Jugendliche unter 18 Jahren vorsieht. Zudem habe Kasachstan auch die Peking-Grundsätze der Vereinten Nationen anerkannt, die die Bedingungen eines Strafverfahrens gegen Jugendliche definiert. Neue Gesetze, Präventions- und Resozialisierungsmaßnahmen einzuführen, sei jedoch deshalb schwierig, weil die nötigen Finanzmittel von verschiedenen Ministerien und Behörden genehmigt werden müssten. „Doch es dürfe nicht sein, dass beispielsweise die Einführung von Präventionsmaßnahmen davon abhänge, ob der Bürgermeister dazu bereit ist, Geld zur Verfügung zu stellen“, kritisierte der Jurist. In Deutschland sind nach der Verabschiedung eines Gesetzes die staatlichen Stellen dazu verpflichtet, die Maßnahmen mit Geld und Personal zu unterstützen.
Fachkräftemangel erschwert Einführung eines Jugendstrafrechts
Doch auch der Fachkräftemangel in Kasachstan verzögert nach Meinung des Verfassungsrechtsexperten die Einführung eines Jugendstrafrechts. „Es müssen dringend Hochschulen und Fachbereiche eingerichtet werden, die das Fach Sozialpädagogik anbieten“, sagte auch Galija Ak-Kuowa, Richterin am Obersten Gericht Kasachstans.
Wehling empfahl außerdem das Tatfolgenstrafrecht aufzuheben. In Kasachstan habe ein Richter bei einer Wiederholungstat keine Wahl: wer zweimal ein Handy klaut, muss ins Gefängnis. Ein Richter solle deshalb freier und individueller entscheiden können, ansonsten würde der Jugendliche stigmatisiert, und Kriminalität entstehe durch staatliche Maßnahmen. Dies sei in Deutschland nicht der Fall. Beim Jugendstrafrecht würden in Deutschland 80 Prozent Erziehungsmaßnahmen verhängt und nur 20 Prozent strafrechtliche Maßnahmen. Dazu verwies Wehling auf wissenschaftliche Studien, die belegten, dass je höher die Strafe, desto höher die Rückfallquote ist. Auch betonte der Dreiundsechzigjährige, dass Kriminalität bei Jugendlichen episodenhaft auftrete. Nur 5 Prozent der jugendlichen Straftäter seien auch als Erwachsene straffällig. Bei 95 Prozent helfe deshalb bereits eine erzieherische Auflage.
Von Tanja Schrade
07/03/08