Vergangenen Sonntag feierte man in Taras zum ersten Mal ein opulentes Oktoberfest. Ein Interview zur Wichtigkeit deutscher Feste mit dem Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft in Taras David Niesen beim Oktoberfest 2015.

Herr Niesen, hier vor Ort merkt man große Begeisterung, Freundschaft und Anteilnahme im Zusammenhang mit Deutschland bzw. der deutschen Sprache, den Menschen, Traditionen und das nicht nur bei Vertretern der deutschen Minderheit. Wo kommt diese Leidenschaft her?

David Niesen | Bild: Chingiz Batyrbekow

Ja, ich denke, das ist, weil wir nur noch so wenige Deutsche im Gebiet Schambul sind. Deswegen wollen unsere Freunde und Bekannte uns unterstützen und uns hier halten. Das sehen wir an der heutigen Veranstaltung, wo viele Nichtdeutsche, wie zum Beispiel kasachische, koreanische, griechische, jüdische oder russische Mitbürger einen weiteren Fortbestand der deutschen Gemeinschaft wünschen und ihr freundschaftlich verbunden sind.

Grundsätzlich fällt mir die Verständigung mit den hier anwesenden Ethnien sehr einfach. Vielleicht liegt es daran, dass Taras eine überschaubare Stadt ist mit seinen etwas über 300 Tausend Einwohnern und man deshalb miteinander eng verbunden ist.

Wie viele Deutsche leben im Bezirk Schambul und wie viele in Taras?

Es gibt ca. 4500 Deutsche im Bezirk und nur ca. 800 in der Stadt.

Kennen Sie alle persönlich?

Leider nein, und das tut mir sehr leid, dass ich noch nicht alle kennengelernt habe. Das ist eins meiner großen Mankos, für die ich mich verantwortlich fühle. Ich versuche, so oft wie möglich in die Kreise zu fahren, um die Menschen dort zu treffen, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche und Ihre Nöte kennenzulernen. Landkreise wie Talas, Sarysu mit den Städten Karatau und Schangatas florierten einst, dort wurde Phosphorit gewonnen und die Chemieindustrie boomte. Jetzt ist das Geschichte, alle Betriebe sind zu und es herrscht Arbeits- und Perspektivlosigkeit. Menschen halten irgendwie stand. Trotz all dieser Nöte ist ein Drittel der deutschen Minderheit Mitglied der Assoziation der Deutschen Kasachstans und sie zahlen Mitgliedsbeiträge. Sie sind dazu noch sehr beflissen ihre deutsche Sprache zu vervollkommnen, um ihre Kultur nicht zu verlieren. Das ist für mich ein Anzeichen dafür, dass die deutsche Kultur nach wie vor gefragt ist und gebraucht wird.

Auch bei der Vorbereitung des Oktoberfestes kamen oft Nachfragen von verschiedenen Seiten, ob diese oder jene Idee überhaupt deutschen Traditionen angehöre und das versetzte auch mich teilweise ins Grübeln. Manchmal konnte man nicht umhin, festzustellen, dass Einiges im heutigen Deutschland eventuell zwar gar nicht relevant, in unserem Verständnis der postsowjetischen deutschen Diaspora jedoch zu wichtigen Traditionen zählt.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel unser Strudel. In Deutschland ist dieses herzhafte Gericht nicht bekannt, beziehungsweise gilt als in Vergessenheit geraten. Hierzulande jedoch werden die Rezepte und ihre Umsetzung mit viel Ehrfurcht behandelt. Für das letztendlich heute aufgetischte Ergebnis wurde zwei Wochen lang fast täglich Probe gekocht, um dem deutschen Rezept gerecht zu werden. So ein rührendes Verhalten, das selbst von Nichtdeutschen den Traditionen entgegengebracht wird, hat mich nun auch dazu inspiriert, nächstes Jahr ein Fest eines noch größeren Formats auszurichten.

Dabei ist das Format ja bereits dieses Jahr nicht zu unterschätzen. Soll im nächsten Jahr demnach ein richtiges offenes Volksfest stattfinden?

Das ist genau unser Wunsch fürs nächste Jahr. Wir möchten gern die Menschen aus den Landkreisen dazu holen. Und seine Hilfe dazu hat der stellvertretende Akim des Landkreises Jerkanat Manschuow persönlich angeboten. Er sagte in etwa: „Ich bezahle selbst die Anreise, aber rufen sie alle Deutschen, damit ich sehen kann, wie viele von Ihnen in unserem Landkreis leben. Die deutsche Ethnie ist mir so nah, dass ich mir wünsche, dass so viele, wie möglich Berührungspunkte mit dieser Kultur erfahren.“ Die Sponsoren und Mitwirkenden des diesjährigen Festes sind auch schon wieder bereit, ab morgen die nächstjährige Ausgabe zu planen. So weit ist man sich einig, dass das Fest auf dem Hof der Brauerei „Forfas“ stattfinden soll, die die Oktoberfest-Gäste dieses Jahr mit Bier versorgt hat.

Wie viele Leute hätten dort Platz?

500 bis 600. Michail Bogdanow, der Besitzer der Brauerei, möchte nächstes Jahr zusätzlich zum Bierfest auch Exkursionen in seiner Brauerei veranstalten und die Menschen in die Braukunst einführen. Nach fünf Jahren erfolgreichen Bierbrauens hatte dieser leidenschaftliche Biertrinker und Deutschland-Fan den Wunsch geäußert, endlich ein Oktoberfest durchzuführen. Nächstes Jahr will man im Hof seiner Bierbrauerei dem Original noch näher kommen, offener, regionaler mit  deutlicherem Oktoberfest-Charakter.

Warum ist Ihrer Meinung nach das Oktoberfest, ein bayerisches Volksfest, das in München stattfindet, der Repräsentant des Deutschtums im Ausland?

Es ist nicht ganz unsere Ansicht. Wir haben jedes Jahr eine Veranstaltung, die als Tag der deutschen Kultur in unserem Landkreis gilt. Drei Jahre nacheinander war dies das „Festival deutscher Kultur“ mit Musik-, Literatur- oder Gesangswettbewerben. Das waren meist sehr familiäre Veranstaltungen. Wir haben deshalb nach einem Rahmen gesucht, der für einen größeren Menschenkreis attraktiv sein könnte. Bei der heutigen Veranstaltung haben wir mit ca. 150 Leuten gerechnet, gekommen sind über 200. Wir sind sehr glücklich über das Interesse und das zahlreiche Erschienen unserer Gäste.

Kann es vielleicht auch am charismatischen Gastgeber liegen?

Naja, wer weiß, vielleicht teilweise. Ich kenne sehr, sehr viele Leute in der Stadt, denn ich arbeite bereits seit 1992 als Bauunternehmer in Taras. Als ich 2012 dazu angehalten wurde Direktor der Deutschen Gesellschaft in Schambul zu werden, lehnte ich zunächst ab, da ich bereits ein eigenes Unternehmen zu leiten hatte. Ich konnte einfach nicht sehen, wie ich ausreichend Zeit in eine zusätzliche Aufgabe investieren kann, denn halbe Sachen mache ich nicht. Letztlich hat mich das Argument der Arbeit mit Nachwuchs und Kindern überzeugt, denn Kinder sind für mich alles. Das ist unsere Zukunft. All diese Veranstaltungen basieren im Endeffekt auf der Jugendarbeit, und wir wüschen uns, dass die Deutsche Gesellschaft positive Werte an die kommenden Generationen transportieren kann. Mit meinen Enkeln spreche ich übrigens nur deutsch, um Bilingualität zu fördern und ihnen ein Stückchen meiner Kultur mitzugeben. Multikultureller Hintergrund soll dem Intellekt ja auch zugute kommen, stimmt?

Das ist wohl wahr, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Julia Boxler

Freuen Sie sich auf mehr zum Festprogramm in der nächsten Ausgabe der DAZ.

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