Fünf Anlässe bündelte der Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Almaty, Hans Jürgen Keilholz, am 23. Mai in einem feierlichen Konzertabend mit anschließendem Empfang. Eigentlich hätten es noch mehr sein können.
/Bild: Ulrich Steffen Eck. ‚Der Meister und sein Solist: Muslim Amse (l.) und Alexej Barschewitsch überzeugen virtuos, leichtfüßig und mit Humor.’/
Das Bundesligafinale mit dem Meisterdebüt des Vfl Wolfsburg und die Wahl des deutschen Bundespräsidenten hätten eigentlich auch noch in die Liste gepasst – wie überhaupt das ganze Superwahljahr 2009. Der 60. Jahrestag der Gründung der Bundesrepulik Deutschland, der bevorstehende 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, der 250. Todestag Händels, der 200. Todestag Haydns und schließlich der 200. Geburtstag Mendelssohn-Bartholdys waren die offiziellen Beweggründe für einen Konzertabend mit anschließendem Empfang in der Kasachischen Staatlichen Schambyl-Philharmonie Almaty. Fast nebenher nutzte der gastgebende Generalkonsul noch die Gelegenenheit, sich nach fünf Jahren Dienst vor Ort aus Kasachstan zu verabschieden. Sein Einsatz endet mit dem Monat Juni.
Vor dem gut besetzten Saal agierten die Akteure des Staatlichen Baikadamow-Chors, des Staatlichen Sinfonieorchesters der Republik Kasachstan unter dem Dirigat von Muslim Amse sowie die Solisten Gabit Nessipbajew an der Orgel und der deutsche Violinist Alexej Barschewitsch – letzterer seit seinem Auftritt als Solist in Mozarts Violinkonzert KV 219 im November 2008 in Almaty kein Unbekannter.
Die Sprache der Hymnen
Die Hymnen Kasachstans und Deutschlands, mit deren Intonation der Abend anklingt, könnten durchaus als Sittengemälde der Befindlichkeiten ihrer Heimatländer hergenommen werden: Mit unbekümmert marschgeschwellter Brust begegnet die kasachische Hymne „Neuen Zeiten wie einem „alten Freund“. Der von Schumeken Näschimedenow stammende Text des 1958 von Schämschi Kaldajakow in Töne gesetzten Hymnus „Menin Kasachstanym“ (Mein Kasachstan) soll, so heißt es in Kasachstan offiziell, von Nursultan Nasarbajew persönlich überarbeitet worden sein. Im zweimal auftauchenden Refrain heißt es „Ich bin die von Dir gezogene Blume / Ich bin das auf Deinen Lippen klingende Lied“ – ein überaus lyrischer Kontrast zu den eher heroisierenden zwei Strophen wo sich Zeilen wie „Sind wir heldenkühn / Wir sind stolz und stark“ finden lassen. Jemand munkelt, die Melodie der kasachischen Nationalhymne würde ihn an die der ehemaligen sowjetischen erinnern. Tatsächlich gibt es in der Melodieführung – schon mit der Auftaktquarte zu Beginn und dem punktierten Marschrhythmus – Ähnlichkeiten.
Nicht minder kraftvoll intoniert, aber in der Anlage unheroischer kommt die im Anschluss erklingende aktuelle deutsche Hymne daher. Auf dem Weg ins Jetzt hat auch sie einige Metamorphosen erfahren. Den Text des seinerzeit „Deutschlandlied“ genannten Stückes dichtete Hoffmann von Fallersleben im August 1841 auf der Insel Helgoland auf die Melodie der von Joseph Haydn 1797 komponierten, so genannten Kaiserhymne „Gott erhalte Franz den Kaiser“. 1922 wurde das Stück zur deutschen Nationalhymne, damals noch mit drei Strophen. Insbesondere Textteile wie „Deutschland, Deutschland über alles“, oder selbst „Deutsche Frauen, deutsche Treue“ hatten nach 1945 ihre Unschuld verloren, und so entschieden 1952 der damalige Bundespräsident Theodor Heuss und sein Bundeskanzler Konrad Adenauer, nur noch die dritte Strophe des Deutschlandliedes als offizielle Hymne der neuen föderalen Republik Deutschland zu verwenden. Nun lässt sich auch aus diesem verbliebenen Fragment noch unschwer die Sehnsucht nach nationaler Einheit und bürgerlicher Freiheit herauslesen, die von Fallerslebens Generation beherrschte und die erst 1990 befriedigend gestillt werden konnte. Der volkstümliche Duktus der Melodie Haydns – das Original steht zudem in der „Volkstonart“ G-Dur – kommt eher schlicht, fast ein wenig wehmütig daher und lädt in seinen cantabilen Bögen weniger zum Marschieren ein.
Nach Händels Ohrwurm Nummer eins, dem „Hallelujah“ aus dem Oratorium „Der Messias“ kommt wieder der Ende März oder Anfang April 1732 im niederösterreichischen Rohrau geborene und am 31. Mai 1809 in Wien verstorbene Franz Joseph Haydn zu Wort. Wie beim barocken Meister Händel wird auch bei Haydn das Jubiläum des Todesjahres zum Anlass für vielerlei Veranstaltungen und Festlichkeiten genommen. Haydn gilt als Gründer der Wiener Klassik, zu der neben ihm auch sein Schüler Beethoven und sein Freimaurerlogenkollege Mozart zählen. Gemeinhin werden ihm Verdienste bei der formalen Entwicklung der klassischen Sinfonie und besonders der Gattung des Streichquartetts zugeschrieben. Haydn hinterließ 104 Sinfonien und 24 Opern, 20 geistliche Werke, immerhin 83 Streichquartette, zahlreiche Trios und einige Solokonzerte. Was dem Mozart sein Köchel, ist dem Haydn sein Hoboken. Anthony van Hoboken erstellte von 1957 bis 1977 ein in drei Bänden erschienenes vollständiges Haydn-Werkverzeichnis.
Abschied als Witz
Des scheidenden Generalkonsuls Wahl trifft sicher nicht zufällig Haydns Sinfonie Nr. 45. Das 1772 komponierte 4-sätzige Werk bekam wahrscheinlich 1784 in Paris den Beinamen „Abschiedssinfonie“. Haydn setzte den Abschied kompositorisch eher als ein mähliches Dahinschwinden der Besetzungsstärke im letzten Satz (Adagio) um. Muslim Amse offenbart neben seinen Fähigkeiten als Kapellmeister schauspielerisches Talent – es macht Spaß, ihn den ob des immer kleiner werdenden Orchesterapparates ins Schwitzen geratenden Dirigenten mimen zu sehen. So erregt das im seltenen und eher düsteren fis-Moll gesetzte Werk an diesem Abend eher Heiterkeit.
Es gibt Deutungen, wonach Haydn mit dem „Abschieds-Adagio“ an seinen Dienstherren im Schloss Eszterháza appellieren wollte, seinen Musikern gegenüber etwas sozialer zu sein. Zur Sommersaison waren diese – ausgenommen Haydn und sein Konzertmeister und erster Violinist Luigi Tomasini – angewiesen, ohne Kontakt zu ihren Familien bei Hofe zu dienen. Besuche Angehöriger waren unerwünscht. Angeblich sollen 1772 am Ende der Aufführung des „Abschieds-Adagios“ nur Haydn, Tomasini und eine zweite Geige „übrig geblieben“ sein, womit Haydn dem Dienstherren die Sehnsucht der Musiker nach ihren Angehörigen symbolisiert habe. Diese Überlieferung ist allerdings umstritten, erstens wegen einiger in ihr enthaltenen, die Besetzung betreffenden Ungereimtheiten, zweitens wegen der bekanntermaßen strengen Sitten am Hofe der Eszterházy.
Zwei Geburtstage und ein Todesfall
Nach nochmaligem Händel, dessen Konzert Opus 4 für Orgel und Orchester in solistischer Interpretation von Gabit Nessipbajew erklingt, gelangt mit Felix Mendelssohn Bartoldy der dritte der 2009 gefeierten deutschen Komponisten ins Blickfeld. Anders als bei Haydn und Händel dient nicht ein Sterbe- sondern ein Geburtstag zum Anlass, Mendelssohn Bartoldy in diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Der am dritten Februar 1809 in Hamburg geborene Mendelssohn wuchs in Berlin auf und starb schon 1847 als Folge zweier Schlaganfälle in Leipzig, wo er das Amt des Gewandhauskapellmeisters ausgefüllt hatte. Sein Werk wird der deutschen Romantik zugerechnet. Auf Mendelssohns Initiative und unter seiner Leitung wurde 1829, erstmalig nach dem Tod Johann Sebastian Bachs dessen Matthäuspassion bei der Berliner Singakademie aufgeführt. Mendelssohn war Mitbegründer des ersten Konservatoriums auf deutschem Boden, des damaligen „Conservatoriums“ – heute Hochschule für Musik und Tanz (HMT) in Leipzig.
Eine Oper („Camachos Hochzeit“), zwölf Sinfonien, fünf Bühnenmusiken und Konzertouverturen, ebensoviele Instrumentalkonzerte, die drei Oratorien „Paulus“, „Elias“ und „Christus“, die „Lieder ohne Worte“ für Klavier sowie weitere Vokal- und Instrumentalwerke schaffte Mendelssohn Bartoldy, in seinem kurzen Leben zu vollenden. Seine jüdische Herkunft allerdings wurde – trotz des Umstandes, dass bereits sein Vater zum Protestantismus konvertiert war – mehr als einmal thematisiert. Berühmt-berüchtigtstes Zeugnis derartiger Verunglimpfungen war des Zeitgenossen Wagners Schrift „Das Judentum in der Musik“, die 1850, also drei Jahre nach Mendelssohns Tod erschien. Mendelssohn Bartoldy habe laut Wagner gezeigt, „dass ein Jude von reichster spezifischer Talentfülle sein, die feinste und mannigfaltigste Bildung, das gesteigertste, zartestempfindende Ehrgefühl besitzen kann, ohne durch die Hilfe aller dieser Vorzüge es je ermöglichen zu können, auch nur ein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir von der Kunst erwarten.” Kaum vorstellbar, dass Wagner Mendelssohn zu dessen Lebzeiten noch in Hochachtung schwelgende Briefe geschrieben hatte.
Zwei von gleichem Schrot und Korn
Im Juli 1838 kündigte Mendelssohn seinem Freund, dem Geiger Ferdinand David an, ihm ein „Violinkonzert für nächsten Winter“ setzen zu wollen, „eines in e-Moll, dessen Anfang ihm keine Ruhe lasse“. David musste sich allerdings gedulden: Es dauerte mehr als sechs Jahre, bis das Violinkonzert Nr. 64. in Leipzig uraufgeführt werden konnte. Das in der dreisätzigen Großform zunächst klassisch daherkommende Konzert enthält einige für seine Zeit ungewöhnliche Züge, deren augenfälligster die nahtlose Verknüpfung der ersten beiden Sätze ist. Auch dass das Soloinstrument das Hauptthema des Einleitungssatzes vorstellen darf, weicht von der damals gängigen Praxis ab: Diese Aufgabe kam üblicherweise dem Orchester zu. Auch die Kadenz – also die Paradepartie des Solisten – steht in Nr. 64 nicht am Ende des Kopfsatzes, sondern beginnt schon mit der Durchführung, die wie gewöhnlich der Exposition der Themen folgt und diese variiert.
Das Erstaunlichste an der hier erklingenden Interpretation des Violinkonzertes ist, mit welcher traumwandlerischen Sicherheit das von Muslim Amse geführte Orchester und der souveräne Solist Barschewitsch ihre Parts miteinander verschmelzen lassen. Unvorstellbar, dass diese Musiker nicht schon von Kindesbeinen an miteinander musiziert haben. Nicht zu glauben, dass der Antwerpener Konzertmeister und der Almatyer Orchesterlenker und dessen Klangkörper nur für diesen Abend zusammengefunden haben.
Im Prinzip lässt sich die Wirkung auf die Anwesenden letztlich mit der Bezeichnung des Kopfsatzes zusammenfassen: „Molto appassionato“ – „ausgelassen und sehr leidenschaftlich.“ Derart beschwingt beklatscht das Publikum selbst noch den Strauß Rosen, den der Bürgermeister der Stadt Almaty dem Gastgeber überbringen lässt und der als abschließendes Stilleben auf der Bühne zurückbleibt.
Von Ulrich Steffen Eck
29/05/09