Es muss nicht immer Scharyn oder Kolsai sein: Neben den bekanntesten Touristenzielen der Oblast Almaty gibt es auch noch zahlreiche unberührte und schwerer zugängliche Orte, die ebenso lohnenswerte Ziele darstellen. Dabei schwankt das Herz des Naturliebhabers immer zwischen dem Wunsch, Neues zu entdecken, und der Sorge, dass diese Orte unter der neugewonnenen Popularität leiden könnten. Wir stellen heute fünf unbekannte und schützenswerte Attraktionen östlich von Almaty vor.

1. Der Tekes-Wasserfall

„Schönster Wasserfall Kasachstans in Kegen entdeckt“ – so titelte die Zeitung „Delowoj Kasachstan“ Ende Juli. Etwas reißerisch ist die Meldung schon, denn natürlich ist dieser Ort bereits länger bekannt, allerdings schwerer zu erreichen und weniger populär als z. B. die Seen im Kolsai-Nationalpark. Seinen neuen Titel könnte der Wasserfall aber durchaus verdient haben, denn seine symmetrische Form und die wunderschönen Farbkontraste sind einzigartig. Er befindet sich am Oberlauf des Flusses Tekes in etwa 2.600 Metern Höhe nicht weit von der kirgisischen Grenze. Um ihn zu erreichen, braucht man nicht nur einen Geländewagen. Man muss anschließend auch noch einen anstrengenden Fußmarsch auf sich nehmen.

Einige Kilometer östlich von Kegen biegt man auf eine unscheinbare Schotterpiste ab, die an weitläufigen Wiesen vorbei immer höher ins Tal des Tekes aufsteigt. Hier betreiben die Einheimischen noch traditionelle Weidewirtschaft und leben den Sommer über in Jurten. Bisweilen ziehen halbwilde Pferde vorbei; auch Rinderherden gibt es, von riesigen Hunden bewacht, die dem Geländewagen aufgeregt nachbellen. Nach einer guten Stunde geht die Vegetation in Wald über und man erreicht einen kleinen „Ekopost.“ Hier geht es nur zu Fuß weiter.

Der Wasserfall selbst ist nicht schwer zu finden, gerät aber erst spät ins Blickfeld des Wanderers. Der Fluss hat sich tief ins graue Felsgestein eingegraben, das wie im Lehrbuch in Schichten übereinander liegt. Dadurch verbirgt sich das Ziel zunächst vor neugierigen Betrachtern. Erst wenn man direkt davorsteht, ergibt sich ein majestätischer Blick: Das Wasser stürzt eine etwa 5 Meter hohe Wand herab und hat an deren Fuße einen kreisrunden Kessel ausgewaschen, in dem sich ein blau-weißer Strudel bildet. Die Kraft der Natur ist nur zu erahnen; man sollte es nicht wagen, dort zu schwimmen, das Wasser ist eiskalt und die Strömung stark.

Im Gegensatz zu vielen anderen Attraktionen in der Natur ist der Tekes-Wasserfall wie gemacht für Spätaufsteher: Morgens und abends liegt er im Schatten, die schönsten Fotomotive ergeben sich am Mittag.

2. Der Salzsee Tuz Kol

Ein kasachischer Blogger bezeichnet ihn als „unsere Antwort auf das Tote Meer“ – den Salzsee Tuz Kol, 60 Kilometer östlich von Kegen. Tatsächlich erreicht der Salzgehalt des Wassers – er schwankt im Jahresverlauf – mit bis zu 300g pro Liter ähnliche Werte wie der des israelischen Binnenmeeres. Es gibt aber auch bedeutende Unterschiede: Während das Ufer des Toten Meeres 428m unter dem Spiegel der Ozeane liegt und damit den tiefsten nicht von Wasser bedeckten Punkt der Erdoberfläche markiert, kann man vom Tuz Kol den höchsten Berg Kasachstans erblicken; den 7.000 Meter hohen Khan Tengri mit seiner Eisspitze. Das allerdings nur an klaren Tagen, denn bis zum Berggipfel sind es immerhin 86 Kilometer und der Tienschan verbirgt sich oftmals hinter Wolken.

Wie die meisten Salzseen entstand auch der Tuz Kol durch das Zusammenspiel von starker Verdunstung und fehlendem Wasseraustausch. Er wird nur von unterirdischen Quellen gespeist und es gibt keinen Ausfluss, so dass ihm die Steppensonne an heißen Tagen das Wasser entzieht, die Salze und Mineralien aber zurückbleiben. Durch deren starke Konzentration ist das Gewässer fast tot. Schon mehrere Meter vor der Uferlinie enden die Steppengräser und nur einige salztolerante Pflanzen aus der Familie der Queller, die sich im Spätsommer rot färben, durchbrechen die graue Schlammkruste. Die verschiedenen Farben sorgen für einen schönen Kontrast.

Was für die Flora tödlich ist, soll für den Menschen heilsam wirken: Angeblich haben die Salze gesundheitsfördernde Eigenschaften. In bestimmten Kliniken von Almaty verwendet man sie daher für therapeutische Zwecke. Es bleibt zu hoffen, dass dem See, der nur etwa 6km² misst, ein Schicksal wie dem Kobejtuz bei Nur-Sultan erspart bleibt – dort hatten Touristen im Juli große Mengen Salz abgegraben und damit Raubbau an der Natur betrieben.

3. Komirschi

Gar nicht weit entfernt vom Tuz Kol und doch eine ganz andere Welt – das ist das Tal von Komirschi. Etwas oberhalb des gleichnamigen Dorfes gelegen, gehört es zum Uzynkara-Gebirgszug, der die Hochebene von Kegen vom Tal des Ili trennt. Er ist einer der nördlichsten Ausläufer des Alatau, erreicht Höhen von „nur“ 3.600 Metern und liegt somit schon im Bereich der Bergwälder, aber noch unter dem des ewigen Eises.

Dementsprechend lieblich ist auch die Landschaft: Am Ufer des Flüsschens Komirschi finden sich in tieferen Lagen Weidengehölze, die ab etwa 2.000 Metern Höhe von den auffälligen, spitzen Tienschan-Fichten abgelöst werden. Dadurch unterscheidet sich das Bild von den Bergen um Almaty, wo andere Nadelbaumarten dominieren.

Eine weitere Besonderheit der Gegend ist das Gestein. Der Gebirgszug ist teilweise vulkanischen Ursprungs, so dass neben Graniten auch Basalte vorherrschen. Für Kletterer wären die schroffen Felswände ein Paradies. Eingelagert ist außerdem Kalkstein, der durch seine Wasserlöslichkeit stellenweise für Höhlenbildung gesorgt hat. So befinden sich in den Wänden oberhalb des Komirschi zahlreiche Abris, also Felsüberhänge. An einigen davon tropft Wasser in die Tiefe, das an heißen Sommertagen für eine willkommene Abkühlung sorgt. Diese Orte spielen in den örtlichen Legenden eine wichtige mythologische Rolle. Das zeigen die farbigen Stoffbänder, die Besucher in den Bäumen aufgehängt haben. Leider ist an denselben Orten auch viel Müll zurückgelassen worden, so dass Zweifel aufkommen, ob die Natur den Menschen wirklich so wichtig ist, wie oft behauptet wird.

4. Temirlik-Canyon

Als „kleiner Bruder“ des Scharyn-Canyons gilt der benachbarte Canyon „Temirlik“, durch den sich der gleichnamige Fluss zieht. Er liegt weiter östlich und ist weniger spektakulär, dafür aber gemütlicher und weniger überlaufen. An der Straße von Kegen nach Dschunscha muss man rechts abbiegen. Nach wenigen Kilometern erreicht man den Rand einer steilen Schlucht, die man nur mit einem Geländewagen befahren kann. Der Grund des Canyons ist aber viel breiter als der des Scharyn. Es gibt viele Wiesen und hohe, Schatten spendende Weiden. Das Wasser des Flusses ist erfrischend, aber nicht zu kalt – ein perfekter Ort für ein Campingwochenende. Einige Bereiche des Canyons sind nur zu Fuß zu erreichen. Dazu gehört z. B. ein kleiner Wasserfall, der einen Überhang aus Kalkgestein gebildet hat und als perfekte, natürliche Dusche fungiert.

Allerdings kommen nicht nur diejenigen auf ihre Kosten, die nach Entspannung suchen. Auch für Geographen und Biologen ist der Temirlik ein lohnenswertes Ziel. Indem sich der Fluss in die Gesteinsschichten eingräbt, dringt er auch in immer ältere Kapitel der Erdgeschichte vor. So findet man 300 Millionen Jahre alte Versteinerungen. Neben der fossilen Fauna gibt es aber auch noch eine lebendige: Der Canyon ist die Heimat von Fuchs, Hermelin, Steinmarder, Uhu und zahlreichen anderen Tierarten.

5. Bartogai

Fast jeder kennt den Großen Almatiner Kanal, der durch die unteren Teile der Stadt verläuft und ein beliebtes Ausflugsziel ist. Aber nur wenige wissen, wo er seinen Ursprung nimmt – nämlich am Wasserreservoir von Bartogai, wo der Fluss Tschilik aufgestaut wird. Es wurde 1986 erbaut und fasst bis zu 320 Millionen m³ Wasser, das für die Landwirtschaft entlang des Kanals benötigt wird. Jener durchfließt die Ebenen bei Türgen, Esik und Talgar, wo im Sommer Wassermelonen, Pflaumen und andere Früchte angebaut werden. Ein guter Teil des Obstes auf den Almatiner Märkten stammt von hier.

Direkt am See ist die Gegend unfruchtbar: Im Windschatten des Bokaidyn Tau – das sind die braunen Berge, die man auf der Fahrt zum Scharyn-Canyon sieht – fällt nur wenig Regen. Deswegen waren dieser Ort und das angrenzende Trockental in Richtung Hochgebirge unter den Kasachen früher als „schlechter Wohnplatz“ bekannt.

Von Thorsten Kaesler

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