Im Gespräch mit einem Fachkoordinator für Russisch über den Status der Sprache im deutschen Schulunterricht

Georg Häfele ist seit Januar 2022 Fachkoordinator für Russisch am Regierungspräsidium in Stuttgart. Nach seinem Mathematik – und Physik-Studium in München war er zwei Jahre in Sibirien, wo er in Omsk Russisch studiert hat. Zu seinen Tätigkeiten gehörten u.a. auch Deutschkurse für Russlanddeutsche und Kurse in Wirtschaftsdeutsch an der Universität. Außerdem engagierte er sich in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Omsk. Nach dem Referendariat hat Georg Häfele fünf Jahre an der Schule der Deutschen Botschaft in Moskau unterrichtet. Seit 2004 arbeitet er als Lehrer für Mathematik, Physik und Russisch am Schelztor-Gymnasium in Esslingen bei Stuttgart.

Wir haben mit ihm im DAZ-Interview über den Stand der russischen Sprache an deutschen Schulen gesprochen. Außerdem ging es um die Personalsituation bei Russischlehrern, die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf das Ansehen der russischen Sprache in Deutschland und die Rolle von Russlanddeutschen im Sprachunterricht.

Herr Häfele, Sie sind Fachkoordinator für Russischunterricht im Regierungspräsidium Stuttgart. Wie darf man sich diese Tätigkeit vorstellen?

Meine Aufgabe ist es, die Qualität des Faches Russisch zu sichern. Konkret bedeutet das, dass ich Kontakt zu allen Russischlehrkräften im Bereich des Regierungspräsidiums Stuttgart halte und sie mit allen relevanten Informationen versorge. Darüber hinaus gehören auch Unterrichtsbesuche und die Mitwirkung bei der Erstellung des Abiturs im Fach Russisch zu meinen Aufgaben.

Halten sie es für wichtig, die russische Sprache zu erlernen, und wenn ja, warum?

Unbedingt! Russisch ist eine der großen Weltsprachen und wird von weit über 200 Millionen Menschen gesprochen. In Europa ist es die am meisten verbreitete Sprache, noch vor dem Englischen. Mit Russisch kann man sich andere slawische Sprachen vergleichsweise leicht erschließen. Wer sprachlich fit sein möchte für das ganze Europa, der sollte neben einer germanischen Sprache und einer romanischen Sprache auch eine slawische Sprache lernen (siehe das von mir gestaltete Plakat).

Stehen genug Russischlehrerinnen und -lehrer zur Verfügung oder gibt es Personalprobleme?

Die Versorgungslage in Baden-Württemberg ist aktuell gut, es gibt sogar eher ein Überangebot an Russischlehrkräften.

Hat der Ukrainekrieg die Sicht auf die russische Sprache in Deutschland verändert?

Ja, sicher. Einerseits gibt es einige, die durch die aktuelle Situation der russischen Sprache gegenüber Vorbehalte haben. Andererseits ist es für viele ein Aha-Erlebnis, dass in der Ostukraine überwiegend Russisch gesprochen wird. Viele Schulen mit Russisch bieten Dolmetscherdienste oder andere Aktionen für Flüchtende aus der Ukraine an. Insofern sind Personen mit Russischkenntnissen und interkultureller Kompetenz aktuell sehr gefragt.

Spielen neben Russland auch weitere (teilweise) russischsprachige Länder wie Kasachstan, Kirgistan, die Ukraine oder Belarus im Unterricht eine Rolle?

In meiner Russischklasse habe ich aktuell neben meinen „Schwabenkindern“ u.a. auch einen Schüler aus Belarus, eine Schülerin aus der Ukraine, zwei Schüler mit jüdischem Hintergrund und einen Russlanddeutschen. Das ist eine ganz bunte Mischung. Was uns trotz aller Unterschiede eint, ist die russische Sprache, die wir im Unterricht lernen und
sprechen.

Wird im Unterricht das Thema Russland – und Kasachstandeutsche behandelt?

Ja, dieses Thema ist im Bildungsplan unter dem Kapitel „Deutschland und Russland“ fest verankert. Nicht wenige Russischlehrkräfte zählen sich zu dieser Gruppe und bringen ihre eigenen Erfahrungen mit ein. Das macht den Unterricht in besonderer Weise lebendig. In meiner Klasse habe ich ein Interview einer Kasachstandeutschen gezeigt und besprochen.

Auf wie viele weiterführende Schulen kommt eine Schule, die Russisch als Fremdsprache anbietet?

Russisch ist insgesamt eher ein exotisches Fach. Allerdings gibt es in fast allen größeren Städten eine Schule, in der Russisch als zweite oder dritte Fremdsprache angeboten wird. Neben den staatlichen Schulen gibt es auch viele Waldorfschulen, die Russisch sogar ab der 1. Klasse anbieten.

Gibt es die Möglichkeit für die Schüler, mit in Deutschland wohnhaften Spätaussiedlern in Kontakt zu treten und/oder an einem Austauschprogramm teilzunehmen?

Von speziellen Programmen mit Spätaussiedlern habe ich bisher noch nichts gehört.

In welche Richtung entwickelt sich der Russischunterricht in Baden-Württemberg in Zahlen?

Die Anzahl der Russischschüler in Baden-Württemberg ist seit vielen Jahren relativ konstant. Wie sich der Ukrainekrieg auf das Wahlverhalten in Zukunft auswirken wird, ist noch nicht klar. Ich war zunächst skeptisch, ob es für dieses Schuljahr genügend Anmeldungen an meiner Schule in Esslingen geben wird. Letztlich saßen dann vor einigen Wochen 19 Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse bei der ersten Russischstunde mit großen Augen vor mir – so viele wie schon lange nicht mehr, darunter auch Lev und Nikol, die letztes Jahr noch in der Ukraine zur Schule gingen.

Herr Häfele, vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Levi Lempp.

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