Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die an deutschen Schulen Russisch lernen, sinkt weiter. Was sind die Gründe dafür und wie reagieren Pädagogen auf den Trend? Eine Spurensuche an deutschen Schulen.

Mit mehr als drei Millionen Muttersprachlern in Deutschland stellt die russische Sprache eine zentrale Säule im alltäglichen Miteinander des Landes dar. Noch vor Türkisch ist sie die zweitmeistgesprochene Sprache der Republik. Kein Wunder also, dass auch heute noch an vielen Schulen in Deutschland Russisch unterrichtet wird.

Denn neben Muttersprachlern gibt es auch viele Deutsche ohne familiäre Verbindungen in den russischsprachigen Raum, die zumindest ein bisschen Russisch sprechen. Das erklärt sich größtenteils dadurch, dass in ostdeutschen Schulen vor dem Zusammenbruch der DDR Russisch an jeder allgemeinbildenden Schule unterrichtet wurde. Die DDR war schließlich als Teil des Ostblocks und Unterzeichnerin des Warschauer Vertrags eng mit der Sowjetunion verbunden.

Rückläufige Zahlen bei Russisch-Lernern

Im Jahr 2022 wird an Schulen der neuen Bundesländer noch immer deutlich mehr Russisch gelehrt und gelernt, was Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen. Dadurch, dass Russisch seit der deutschen Wiedervereinigung kein Pflichtfach mehr ist, ist die Zahl jedoch auch hier stark eingebrochen. Allein im Zeitraum zwischen 2002 und 2012 ist die Zahl der Russischlerner in (Gesamt-)Deutschland um 32 Prozent zurückgegangen, zeigt ein Bericht der Kultusministerkonferenz. In reinen Zahlen ist es gar für die letzten dreißig Jahre ein Rückgang von über 500.000 auf unter 100.000.

Neben dem Ende der DDR gibt es aber noch weitere Gründe für den Rückgang – etwa die schwere Grammatik: Die sechs Fälle und teilweise kontraintuitive Deklinationen machen das Erlernen der Sprache nicht gerade einfacher. Ein weiterer Grund könnte sein, dass die russische Schriftsprache, das kyrillische Alphabet, auf den ersten Blick recht abschreckend wirkt: Gibt es die Möglichkeit, eine Sprache zu lernen, welche im vertrauten lateinischen Alphabet steht, wird diese häufig vorgezogen. Gestützt wird das von Statistiken zu Französisch-, Spanisch-, und Italienischunterricht. Alle diese romanischen Sprachen erfreuen sich in der deutschen Schülerschaft in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit. In den direkt auf die Wende folgenden Jahren stieg laut Angaben der Kultusministerkonferenz (KMK) beispielsweise der Anteil der Schüler, die Französisch anwählten, je nach Schulart um zweistellige Prozentsätze.

Es gibt allerdings auch Bundesländer mit konstanten Zahlen von Russischlernern. In Baden-Württemberg etwa sei dies der Fall, so Georg Häfele, Lehrer am Schelztor-Gymnasium in Esslingen und Fachkoordinator für Russisch im Regierungspräsidium der Landeshauptstadt Stuttgart. „Ich war zunächst skeptisch, ob es für dieses Schuljahr genügend Anmeldungen an meiner Schule in Esslingen geben wird“, sagt der Pädagoge. „Letztlich saßen dann letzte Woche 19 Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse bei der ersten Russischstunde mit großen Augen vor mir, so viele wie schon lange nicht mehr“, so Häfele weiter.

Persönliche Einschätzungen

Besser noch als Zahlen vermitteln persönliche Einschätzungen, wie es um das Fach Russisch an deutschen Schulen bestellt ist.

Demnach sei Russisch ein häufig nur mäßig beliebtes Fach, was vor allem an der unzugänglichen Grammatik liege, meint etwa eine Schülerin der 11. Klasse aus dem ganz im Südwesten Deutschlands gelegenen Freiburg. Doch auch die Tatsache, dass viele – besonders in Westdeutschland – eher eine Bindung zu westlichen Sprachen in Kultur, Musik und Bildung pflegen, trage dazu bei, vermutet sie.

Ehemalige Schüler aus den neuen Bundesländern wiederum berichten, im Osten hätten nach der Wende weiterhin viele Schüler Russisch angewählt. Der Grund dafür sei die Hoffnung gewesen, von den in der DDR beschulten Eltern Unterstützung erhalten zu können.

Freilich gibt es noch weitere Argumente, die für die Wahl von Russisch sprechen. So besteht an vielen Schulen die Möglichkeit, durch Sprachreisen und Austauschprogramme die Sprachkenntnisse zu vertiefen. Allerdings sind viele Angebote wegen der Covid-19-Krise und des Kriegs in der Ukraine in den letzten Jahren ausgesetzt worden und existieren auch in den anderen Fremdsprachen.

Themen im Unterricht

Inhaltlich, so erzählen Russischlerner, werde viel über die russische, weniger aber etwa über die kasachische, kirgisische oder belarussische Kultur und Geschichte gesprochen. Auch die Geschichte der Russlanddeutschen spiele im Unterrichtsgeschehen insgesamt keine große Rolle, so die Wahrnehmung vieler Schüler.

Russischlehrer Häfele erlebt das anders. „Dieses Thema ist im Bildungsplan unter dem Kapitel ‚Deutschland und Russland‘ fest verankert.“ Nicht wenige Russischlehrkräfte zählten sich zu dieser Gruppe und brächten ihre eigenen Erfahrungen mit ein, so Häfele. „Das macht den Unterricht in besonderer Weise lebendig.“ Außerdem bemühten sich die Lehrkräfte, das Thema mit vielseitigen Lehrmethoden darzustellen. So habe er etwa schon Interviews mit Kasachstandeutschen im Unterricht gezeigt, berichtet Häfele.

Russisch so relevant wie nie

An den deutschlandweit rückläufigen Schülerzahlen bei Russisch kann jedoch auch das nichts ändern. Gegen diesen Trend anzukämpfen, hält daher der Russisch-Lehrer-Verband für eminent wichtig. Auch er hat die Entwicklung der letzten dreißig Jahre genau verfolgt und kommt zu dem Schluss, dass eine abnehmende Zahl an russischlernenden Schülern nicht die gesellschaftliche Realität widerspiegelt. Gerade in Anbetracht der vielen russischsprachigen Ukrainerinnen und Ukrainer, die aufgrund des Kriegs in ihrem Land nach Deutschland geflüchtet sind, müsse Russisch wieder eine größere Rolle in der schulischen Ausbildung spielen.

Der stetige Wandel des deutschen Bildungswesens lässt wenig darüber vermuten, wie sich die Entwicklung fortsetzt. Auch lässt sich noch nicht seriös prognostizieren, welche Auswirkungen der Krieg in der Ukraine auf die Nachfrage nach Russischunterricht hat.

Eine langfristige Entwicklung jedoch zeichnet sich ab: Mit dem Ausscheiden älterer Lehrkräfte in der ehemaligen DDR wird nach und nach eine Angleichung der Zahlen zwischen Ost und West beginnen.

Als fester Bestandteil der (russland – und kasachstan-) deutschen Kultur wird die Sprache allerdings mit Sicherheit ihren festen Platz im Stundenplan vieler tausend deutscher Schülerinnen und Schüler behalten.

Levi Lempp

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