Zum Debütkonzert der Gruppe „Goroda“ vergangenen Dienstag in Almaty gab es neben dem Konzert auch eine Performance von Schauspielern des Deutschen Theaters unter Regie von Natascha Dubs.

Am Dienstag also nun endlich das Solokonzert von „Goroda“, einer jungen Almatyer Band. Lange haben sie darauf warten lassen. Für Ende April war es versprochen, nun haben sich die Musiker um Eva Becher und Alex Neumann aus der dumpfen Enge und Dunkelheit des Studios ins Rampenlicht gewagt. Die Pressekonferenz kurz vorm Konzert nutzten sie dazu, alle Erwartungen bei den Journalisten sofort herunter zu schrauben. „Wir wissen nicht, was uns erwartet. Wir wissen nicht, wie viele Leute kommen werden. Wenn wir Pech haben, werden wir das nächste halbe Jahr unsere Schulden an den Klub und die Musiker abbezahlen“, sagte Eva Becher. Dabei waren die Einnahmen eigentlich dazu gedacht, dem Bassisten eine Reise nach Japan zu ermöglichen, um sein Augenlicht wiederzugewinnen. Auf die Frage, was für ihn das Schönste im Leben sei, antwortet Alex, Sänger, Keyboarder und Texter der Band: „Es gibt für mich nichts, was das Schönste ist. Ich lebe alle Emotionen so sehr aus wie möglich. Diese Ausschließlichkeit birgt das Glück in jedem Moment.“ So sitzt er ganz ausschließlich und konzentriert hinter seinem Mikrofon. Das Gesicht verborgen hinter einem Meer aus Haaren, die Augen versteckt hinter einer großen Sonnenbrille, die Seele verschlossen vor den neugierigen Blicken der Journalisten. Ab und zu mit einem sich versichernden Seitenblick auf seine Bandkollegin Eva Becher, Andrew Eldritch (Sänger der britischen Band „Sisters of Mercy“) in Kasachstan, nur weicher und echter hinter seiner Maske.

Sie wissen also mitnichten, ob sie dieser Stadt etwas bedeuten. Und fühlen sich plötzlich selbst überrascht von ihrem scheinbaren Größenwahn, in diesem größten Club der Stadt ein Konzert zu geben. Aber wer nichts riskiert, wird immer wieder am Gipfel vorbeilaufen und die entscheidende Höhenlinie nicht überschreiten und der Kummer darüber wird sich tief ins Herz eingraben und am Ende wird er dahingerafft von seiner eigenen Lethargie. Wer jedoch in sich spürt, was seine Bestimmung ist und darauf hört, der steht letztlich nicht nur in Almaty im Club „Pjath Oborotow“ auf der Bühne, sondern der Elbrus ist ihm sicher.

Vorerst aber nun der Vorgipfel – „Pjath Oborotow“: Die schicke Managerin in schwarzem Netz, Strapsen und rotem Strumpfband Natalja Boiko entführt Alex Neumann und Eva Becher den Journalisten: „Haben Sie Verständnis, aber die Künstler müssen sich noch auf das Konzert einstimmen“. Alex drückt erleichtert seinen Zigarillo mit Mundstück im Aschenbecher aus und Eva schickt noch ein strahlendes Lächeln in die Runde der Journalisten, deren Herz sie schon längst gewonnen hat. Dann sind sie verschwunden. Dafür sitzen in der anderen Ecke des Saales Gitarrist Nikolai Serbin, Bassist Asamat Temirbajew und Tonregisseur Igor Minitsch ganz unverkrampft und scheinbar erwartungsfrei. Der Schlagzeuger Konstantin Zimarin stürmt 15 Minuten vor Konzertbeginn ins Foyer und wird von der adretten Türsteherin aufgehalten, Einlass sei erst 21 Uhr. Dass er der Bassist sei, scheint ihr zweifelhaft, der müsste doch schon seit einer Stunde beim Tontest sein. Erst die entschlossene Intervention umstehender Eingeweihter verschafft ihm Zugang zu seinen Schlagstöcken und Tontellern.

Draußen staut sich die Menge, insbesondere Mädchen aller Couleur und jeglichen Alters. Die Pforten öffnen sich. Und die Performance beginnt: Im Saal am Boden, auf dem gelben Warnschild, welches Vorsicht und eigenes Risiko impliziert, liegt ein Mensch, Pawel Permjakow, Ex-Schauspieler am Deutschen Theater, jetzt bei „Art i Schock“, eigenartig verkrampft. Um ihn herum hüpfen Julia Schiguljewa und Alex Schneider vom Deutschen Theater, in weiße Shorts und Bettlaken gehüllt, bedeutungsschwanger mit schwarzem Kreuz versehen. Dann lassen sie sich auf dem Bühnenrand nieder, die Kirschenmündermundwinkel auf und ab fallend, die Beine unbändig gegen die Bühne baumelnd. Tosender Applaus hebt an, die Musiker treten an ihre Instrumente und Eva schreitet ins Zentrum des Geschehens. Divenhaft spanisch in langem schwarzen Kleid, rot bordürt. Alex ganz in Schwarz, ein klitzekleiner roter Marienkäfer – das schmale Band zu Eva. Sie eröffnen majestätisch mit „SchwarzWeiß“. Es folgen Balladen wie „Hund“ und „Schnee“. Der Gitarreneinsatz bei „Hund“ erinnert an den Soundtrack von „Brat2“. Alex ungeschützt, die Augen offen, nicht hinter schwarzem Glas, nur ein Meer aus Haaren, hebt an: „In wahnsinnigen Augen unendliche Tiefe, allein, sie fliegt allein davon, nicht ahnend wohin, einsamer Wolf ihr älterer Bruder, der Mond ihr Zwilling, sie ist glücklich allein.“. Geschrieben auf dem Weg nach Russland, Samara, zum Festival, die Mutter in der Nähe wissend, aber doch nicht bei sich, die ratternden Schienen unter sich, die vorbei fliegende Steppe und den Sternenhimmel über sich. Einsamkeit und Heimatlosigkeit, roter Faden der Lieder von „Goroda“. „Schnee“. Klaviereinsatz, Flocken. Eva zerreißt ihre Kette und Perlmutt kullert zu Boden, sie wirft ihre weißen Tränen ins Publikum. Ihr Timbre „Schnee hat die Städte in Milch getränkt, sich zu seiner Braut gebettet. Scham. Schnee, ich falle in dich, liebkose mich, wähle mich, ich bin besser als sie. Du bist wärmer, als sie. Du bist nicht aus Eis. Du bist zärtlicher. Sie bleibt stumm. Schnee unter mir, er schmilzt. Sie aber ist aus Stein, nicht Schwester, nicht Gattin. Schnee.“ Eva ruft, Alex spiegelt sie. Beide im Duett, ihre Stimmen sich umeinander windend, den anderen fordernd. Das Publikum rast. Rosensträuße wandern zu Eva und Alex.

Plötzlich springen die Kirschmünder auf, malen Zeichen auf den Boden und kreisen durch den Saal. Mädchen und Jungen werden geholt, ihre Städte auf das gelbe Warnschild zu schreiben, alles ist Improvisation, überall ist Energie, die Leute fliegen. Zum Schluss fliegen Glücksäpfel wie Brautsträuße in die Menge. „Goroda“ zeigen kein gewöhnliches Konzert, es ist ein Experiment. „Es ist eine alte Idee von uns, etwas zusammen mit „Goroda“ zu machen, Eva Becher ist ja auch Schauspielerin“, sagt Natascha Dubs, die Regisseurin der Performance. „Für uns war es wichtig, die Besucher aktiv werden zu lassen und zum Mitmachen zu motivieren“, erzählt sie. Performances sind in dieser Stadt und in diesem Club selten. So dann auch aus dem Publikum das Statement: „Das Konzert ist viel besser als das von B2“. Die Stimmen sind ungeschliffener, die Show ist ausgefeilter und die Lieder sind abwechslungsreicher – das ist unbestreitbar. Evas Show hat Potenzial zu Großem, die Bühne ist ihr Aquarium. Alex erinnert irgendwie an Zemfira oder Diana Arbenina. Er trägt den Star in sich, der keiner sein will. Jenen ist es am ehesten gegeben. (Lesen Sie auch unser Porträt auf Seite 7).

Von Sylvia Scholz

08/06/07

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