Kolumnistin Julia Siebert hat ihre lieben Schwierigkeiten mit Gruppenprozessen. Besonders, wenn die Gruppe dann auch noch widerspricht, wenn sie Gruppenprozesse als schwierig bezeichnet.

 

Bislang durfte ich als Evaluatorin Gruppenprozesse aus der zweiten Reihe beobachten. Spannend. Und eine äußerst luxuriöse Position, wie ich jetzt feststellen darf. Denn nun muss ich selber an die Front und ein Gremium koordinieren. Oha!
Die meisten Dinge, die einem widerfahren, darf man nicht persönlich nehmen, meist handelt es sich um Phänomene, die eben stattfinden und bestimmte Phasen und Prozesse durchlaufen. Man ist involviert, sollte aber seine Rolle und Betroffenheit nicht überbewerten. So verhält es sich mit dem Leben und der Pubertät, dem Sterben und der Trauer, der Liebe und dem Liebeskummer usw. Hilft alles nix, da muss man durch. Mit mehr Verständnis, was da abläuft, kann man es zwar nicht abkürzen aber besser aushalten. Immerhin.
So sehe ich das auch mit der Netzwerkarbeit. Mein Gremium ist ein tolles Gremium, aber dennoch ist es eine Gruppe, und Gruppendynamik war mir noch nie geheuer. Drum wappne ich mich mit kommunikationspsychologischen Grundlagen, um adäquater mit bestimmten Erscheinungen umgehen zu können, z.B.: Wenn jemand als Störenfried auftritt und chronisch rumstänkert, muss das dann abgewehrt und im Keime erstickt werden? Oder ist es zielführender, auf Durchzug zu schalten und zu signalisieren: für Motzerei gibt’s keine Aufmerksamkeit? Ist es meine Rolle als Moderatorin, Einhalt zu gebieten oder darf ich das getrost dem Gruppenprozess überlassen? Oder braucht es einen Störenfried, weil Menschen in Konstellation mit anderen Menschen quasi-automatisch Rollen übernehmen, die für den Gruppenprozess wichtig sind, etwa Leithammel, Spaßbremse, Klassenclown und Störenfried?
Sind Konflikte doof oder wichtig? Müssen sie vermieden, ausgeräumt oder ausgestanden werden? Schwelen sie weiter, wenn man sie links liegen lässt oder bauscht man sie nur unnötig auf, wenn man ihnen Raum gibt? Wie unterscheidet man notwendige gruppendynamische Prozesse von überflüssigen Profilneurosen? Diesen und noch anderen Herausforderungen stelle ich mich gern, gehe jedoch dabei von der aus meiner Sicht unstrittigen Voraussetzung aus: „Gruppenprozesse sind schwierig“. Und habe dies, um die Herausforderungen gemeinsam mit meinem Gremium zu reflektieren, an die Tafel geschrieben. Und habe damit prompt einen kleinen Konflikt verursacht. Besonders der Fakt, dass neue Gruppenmitglieder den Gruppenprozess stören, hat mein Gremium gar nicht positiv aufgenommen. Dass das nicht schlimm sei, sondern solch eine Störung nicht vermeidbar, sondern ok, erlaubt oder sogar erwünscht sei, konnte den Unmut nicht ausräumen.
Als Kompromiss einigten wir uns darauf, dass Gruppenprozesse sind. Punkt. Sie sind, wie sie sind, sie finden statt, durchlaufen dies und das, und ob man es schwierig finde, liege an einem selbst. Gut, akzeptiert. Während mir die Theorie schon einleuchtet, warte ich noch darauf, dass sie zur Realität wird, denn faktisch vergehen kein Tag und keine Tat, ohne dass irgendjemand eine Sonderbehandlung einfordert oder eine vage-pauschale Unmutsbekundung in mein Ohr oder in die Runde trötet, was jedes Mal eine Reaktion oder zumindest Reflexion verlangt. Und zwar von mir. Ich bin heilfroh, wenn wir gemäß dem Gruppenfindungsmodell endlich die schwierigen Phasen durchlaufen haben und jeder seine Rolle gefunden hat. Ich kombiniere schlussfolgernd kompromissbereit: Während Gruppenprozesse in der Theorie und allgemein und für die anderen einfach sind, sind sie in der Realität und ganz konkret für mich: schwierig!

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