Ratschläge erteilen viele Menschen gerne und ungefragt. Das muss nicht immer gut sein, findet Kolumnistin Julia Siebert. Wer Ratschläge gibt, sollte sich doch wenigstens auskennen.

Zu den Dingen, die der Mensch gerne tut und nur schwer lassen kann, zählt das Erteilen von Ratschlägen. Aber das ist eine hohe Kunst, die nur wenige Menschen beherrschen. Drum gibt es Profis, die das richtig lernen und ihren satten Preis fürs Beraten verlangen. Und das hat seinen guten Grund. Ich mein, ich ziehe ja auch nicht zwischen Tür und Tor meinen Nachbarn den hohlen Zahn.

Bei mir regnet es immer wieder Schwierigkeiten. Das allein wäre schon anstrengend genug, wenn es nicht auch noch Ratschläge hageln würde. Ich muss derzeit grundsätzliche Einschätzungen und Entscheidungen zu meinem beruflichen Treiben treffen. Und alle reden mit. Ungefragt. Da es hier um sehr viel geht, muss ich fuchsschlau die Sachlage analysieren und entsprechende Perspektiven ab- und einleiten. Das kann man nicht mal eben so ungefähr mit Allgemeinplätzen, sondern die genaue Kenntnis der Bedingungen, in erster Linie mich und meinen spezifischen Arbeitsmarkt betreffend, sind die wichtigste Grundlage für Rückschlüsse. Je näher Menschen an meiner beruflichen Sphäre dran und je weiter sie emotional von mir weg sind und je aufmerksamer sie sich von mir die Sachverhalte differenziert darstellen lassen, desto treffender und somit hilfreicher der Rat – ist meine Auswertung.

Im Umkehrschluss: Bei engen Freunden oder Familienangehörigen, die sich mit meinem Arbeitsbereich gar nicht auskennen und pfeilschnell bzw. vorschnell irgendeine Aussage zum Arbeiten an sich aus der Hüfte schießen, ohne mir zuzuhören, kann die Trefferquote der Ratschläge zwangsläufig nur höchst gering ausfallen. Ist ja nicht schlimm, ist ja nur gut gemeint. So isser, der Mensch. Aber entspannender wäre es ohne. Und wenn einem andere Menschen unaufgefordert etwas wünschen, was man sich selbst gar nicht wünscht, ist das auch ein bisschen übergriffig. Zumindest, wenn man abergläubisch ist und daran glaubt, dass Wünschen und Daumendrücken und so was hilft. Drum sag ich immer klar und deutlich: „Nein, bitte wünsch mir das nicht! Wünsch mir dies und das.“ Deutlicher kann ich nicht artikulieren, was ich will und brauche. Nützt aber nix. Der Mensch wünscht trotzdem anderen lieber, was er sich für sich oder für den anderen wünscht. Und so kann ich selber nur lauter wünschen, was ich brauche. Und hoffen, dass die eigenen Wünsche beim Wunschempfänger mehr zählen als die der anderen und die falsch gerichteten Wünsche eh verpuffen oder unerfüllt in der „War ja gut gemeint“-Kiste landen.

Ich werde bei Gelegenheit mal einen „Ratgeber für Ratgeber und solche, die es werden wollen“ schreiben. Wer bis zum Erscheinen meines Knigges nicht warten will, darf es schon mal mit den folgenden Grundsätzen versuchen: 1. Man rate nur, wenn man explizit dazu aufgefordert wird oder 1.1 hole sich zumindest das Einverständnis des vermeintlich Ratsuchenden, da 1.2 eine Problemschilderung nicht automatisch einen Rat fordert. 2. Wenn man rät, lasse man sich durch viele Fragen auf die individuelle Situation des Ratsuchenden ein und 2.1 verschone den Ratsuchenden mit der Schilderung eigener Erfahrungen, Ziele, Befindlichkeiten und Eitelkeiten. Bis ich die Menschen zu guten Ratgebern umerzogen habe, werde ich in der Zwischenzeit die Ratschlagvermeidungstaktik verfolgen und außerhalb von Profi-Beratungs-Räumen nichts mehr erzählen bzw. auf alle Fragen mit einem knappen nichtssagenden einsilbigen „Gut“ antworten.

Julia Siebert

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