Der „Lange Marsch“ hat nun ein vorläufiges glückliches Ende gefunden. Nach nicht weniger als 18 Jahren mehr oder weniger zäher Verhandlungen ist der finale Schuss in Form der Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) nun besiegelt. Allerdings nicht für Kasachstan, sondern für den großen Nachbarn Russland. Manche jubeln nun, andere geben die großen Pessimisten.

Nach der noch ausstehenden Ratifizierung durch die russische Duma, die noch einmal von heftigen Diskussionen begleitet sein dürfte, werden in Russland die internationalen Standards im Welthandel gelten. Um diese zu erfüllen, muss sich auch in der Produktion viel ändern; die Notwendigkeit die Qualität von Erzeugnissen und des Service zu erhöhen, wird zunehmen. Aus diesem Grunde sehen viele Kenner Russlands schwarz. Sie meinen, dass viele Bereiche der Wirtschaft, vor allem die, welche für den Binnenbedarf produzieren, diesen Anforderungen nicht gerecht werden können. Es wird gar der träge russische Bär zitiert, den man erst lange antreiben muss, ehe er tanzt.

Natürlich wird die Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft, der 90% der Weltwirtschaftleistung und etwa 170 Länder der Welt angehören, kein Spaziergang. Probleme für eine Reihe von Wirtschaftszweigen, die bis zum Stilllegen unwirtschaftlicher Unternehmen führen werden, sind unvermeidlich. Das befürchten auch die Pessimisten. Doch der Gerechtigkeit willen muss gesagt werden, dass die WTO keinesfalls eine diktatorische Gemeinschaft ist, die allen Mitgliedern ihren zentralistischen Willen aufzwingt. Als vollwertiges Mitglied ist man natürlich an allen Entscheidungsprozessen beteiligt und hat so die Möglichkeit, Einfluss auf die Regeln zu nehmen. Zudem hat die russische Verhandlungsdelegation eine Übergangsfrist von sieben Jahren ausgehandelt, die die Unternehmen natürlich nutzen müssen, um sich fit zu machen für den verschärften internationalen Wettbewerb. Dennoch wird es zu deutlichen Strukturveränderungen in der russischen Wirtschaft kommen: vorhandene Produktionskapazitäten werden verschwinden, weil es billiger und besser sein wird, die entsprechenden Waren zu importieren, statt in veralteten Anlagen selbst zu produzieren. Überkapazitäten, die es vor allem in Montagebereichen gibt, werden auf ein marktfähiges Normalmaß schrumpfen. Damit sind regionale Arbeitsplatzverluste verbunden, die mittelfristig sicher zu sozialen Problemen führen werden. Sicher ist es etwas zu einfach, diese Probleme mit dem Hinweis abzutun, dass Russland schon längst solche Strukturreformen mit Konsequenz hätte angehen müssen, das aber nur sehr zögerlich getan hat. In der Vergangenheit Versäumtes wird nun in sehr kurzer Zeit durch die Märkte erzwungen werden. Probleme wird es sicher geben, unnötige aber nur dann, wenn die Jahre der Übergangszeit nicht genutzt werden. Manche kommentieren den zu erwartenden Anpassungsdruck mit „Endlich“, Andere mit „Oh Gott, nein“. Manchmal ist ja so ein Druck zur Veränderung gar nicht so schlecht, und langfristig gesehen kann die russische Wirtschaft nur gewinnen. Aber ohne Schmerzen wird keine Heilung der russischen Wirtschaftskrankheiten möglich sein.

Mit dem WTO-Beitritt Russlands ist auch ein klares Signal für Kasachstan gesetzt. Kasachstan verhandelt nun ebenfalls schon etwa 15 Jahre über einen WTO-Beitritt und hatte schon mehrfach verkündet, dass die Verhandlungen vor dem Durchbruch stehen würden, was sich dann aber als nicht richtig erwiesen hat. Mit Russlands Beitritt ist Kasachstan automatisch, aber noch indirekt in der WTO, und zwar über das Türchen der Zollunion Russland, Weißrussland und Kasachstan. Für Kasachstan gilt prinzipiell das Gleiche, wie für den großen Nachbarn: die offenen Weltmärkte werden Wirtschaftsstrukturen erzwingen, die weltweit, jedoch nicht unbedingt regional optimal sind. Doch wie will man sich anders fit machen als durch und im ständigen Wettbewerb? Ein Sportler wird auch das Siegen nicht im Fitnessraum lernen, sondern nur im Wettkampf.

Bodo Lochmann

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