„Den Arm um die Schulter legen, Hand unter den Po und auf die Beine achten!“, weist Elena Werner ihre Kursteilnehmerinnen an. Sie sollen eine Person von ihrem Bett in einen Rollstuhl hieven. Gar nicht so einfach. Schnell stoßen die Frauen an ihre Grenzen. Dabei handelt es sich noch nicht einmal um einen echten Menschen, sondern nur um die Übungspuppe „Günther“.
Sich um einen pflegebedürftigen Menschen zu kümmern, erfordert nicht nur viel Hingabe, sondern auch Fachwissen. Während Pflegeberufe in Deutschland eine eigene Ausbildung erfordern, gibt es diese in Kasachstan nicht. Wer hier seine Mitmenschen pflegt, macht dies meist „aus dem Bauch heraus“, wie es Werner formuliert. Dabei müsse man aufpassen den Patienten und sich selbst nicht zu schaden. Die 46-Jährige Altenpflegerin aus Kaiserslautern vermittelt in einem einwöchigen Kurs die Grundlagen der Pflege. Es geht um Hygiene, Profilaxe, Dokumentation, das Erkennen von Krankheiten. Sechs Jahre lang hat Werner gelernt. 2017 hat die gebürtige Kasachstandeutsche dann ihren eigenen ambulanten Pflegedienst gegründet. Die 30 Mitarbeiter kümmern sich tagtäglich um etwa 100 Patienten.
Die Teilnehmerinnen sind aus dem ganzen Land nach Almaty gereist, um sich bei Werner fortzubilden. Ljudmila Sipij kommt aus der Nähe von Pawlodar. Seit vier Jahren arbeitet sie im Rahmen eines Projekts der Stiftung der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“ als Sozialarbeiterin und betreut fünf Frauen in dem 3500-Seelen-Dorf Uspenka. Sipij putzt, bringt das Mittagessen, kauft ein und besorgt Medikamente. Im Winter heizt sie die Öfen. Da sie ein eigenes Auto hat, kann sie ihre Schützlinge auch mal zum Arzt fahren. Zwei Stunden Zeit hat sie täglich für jede ihrer „Babuschkas“. Die jüngste ist 60, leidet an Krebs, eine andere an Parkinson. „Zum Glück sind sie noch alle klar in Kopf“, sagt Sipij. Das mache die Arbeit leichter.
Um in das Programm der „Wiedergeburt“ aufgenommen zu werden, müssen die Betroffenen zur deutschen Minderheit gehören und alleine leben. „Uns ist es wichtig, dass die Leute nicht das Gefühl haben, vergessen zu werden“, sagt Olga Aschirowa, Koordinatorin für Sozialarbeit bei der „Wiedergeburt“ in Taras. Dort werden von einer Sozialassistentin drei Deutsche betreut. Sie alle waren früher aktive Mitglieder der „Wiedergeburt“, können aber krankheits- und altersbedingt nicht mehr an den Veranstaltungen teilnehmen. Antonina Gabiger kümmert sich in Almaty um zwei 82-Jährige Männer. Für die Rentnerin sind die beiden „fast wie Familie“. „Sie rufen jeden Morgen und Abend an“, erzählt sie. Neben den häuslichen Tätigkeiten ist die moralische Komponente wichtig. Es gehe auch darum, dass die älteren Menschen einfach jemanden zum Zuhören haben.
Eine Ausbildung zur Altenpflegerin haben weder Sipij, Aschirowa noch Gabiger. Für sie ist das Seminar von Werner sehr hilfreich. „Wir wollen schließlich qualifizierte Hilfe anbieten“, meint Aschirowa, „und die Erfahrungen aus Deutschland nach Kasachstan übertragen“. Die häufigsten Probleme hierzulande seien fehlende Standards, falsche Kommunikation und das Fehlen von Pflegehilfsmitteln, wie zum Beispiel Lifter, zählt Werner auf. Neben den medizinischen seien auch psychologische Kenntnisse wichtig. „Die Situation der Patienten darf durch die Hilfe nicht schlechter werden“, sagt die Expertin.
Doch obwohl das System der Altenpflege in Deutschland professionalisiert ist, mangelt es vierlorts an Fachkräften. Oft sind es tatsächlich Deutsche aus Russland oder Kasachstan wie Werner, die in Deutschland im Pflegebusiness tätig sind. In Krankenhäusern und anderen Pflegeinrichtungen wird daher schon länger auf Migranten gesetzt – egal, ob aus Osteuropa oder China. Letztendlich gehe es darum, im Alter „die Würde des Menschen zu achten“, sagt Werner. Das wollen auch die Teilnehmerinnen ihres Kurses. Ihnen nutzen vor allem die praktischen Aufgaben hilfreich. Nach ein bisschen Übung schaffen sie es schließlich ohne größere Probleme, „Günther“ in den Rollstuhl zu helfen.