Um die wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen, wird in Kasachstan eine ganze Menge getan. Eines der Instrumente sind spezielle Wirtschaftszonen. Diese zeichnen sich durch eine Vielzahl von steuerlichen, zollrechtlichen und finanziellen Vergünstigungen aus. So sind oftmals ein paar Jahre lang überhaupt keine oder nur geringe Steuern zu zahlen. Diese Präferenzen sollen vor allem ausländische Investoren anlocken. Im Moment gibt es in Kasachstan fünf solcher Gebiete. Zu den bisher eher nicht ausreichend erfolgreichen Sonderwirtschaftzonen gehört das Industriegebiet Ontustik in der Nähe von Schimkent.

In dieser Zone soll sich – laut ursprünglichen Plänen aus dem Jahr 2005 – die Textilproduktion konzentrieren. Letztere wurde im Rahmen der vor einigen Jahren in Kasachstan aus dem Westen übernommenen Idee der Schaffung von Clustern, als eine von sieben strategisch wichtigen Entwicklungsrichtungen benannt. Die Wahl der Textilindustrie als bevorzugtes staatliches Förderobjekt scheint auf den ersten Blick richtig zu sein. Zum einen gehört die Versorgung mit Kleidung zu den Grundbedürfnissen in jedem Land, zum anderen verfügt Kasachstan über eine Rohstoffbasis in Form der Baumwollproduktion. Außerdem gab es zu Sowjetzeiten in Kasachstan eine entwickelte Textilindustrie, die allerdings nur im Rahmen der damaligen Abschottung konkurrenzfähig war. Von dieser Industrie sind einige Reste übriggeblieben, die jedoch eine extrem unzureichende Ausgangsbasis für einen Neustart darstellen.

Hinzu kommt, dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft – in den südostasiatischen Ländern – längst eine Textilindustrie mit allen dazugehörigen Attributen etabliert hat, die die Welt mit Textilien aller Art nicht nur versorgt, sondern sogar überversorgt. Unter diesen Bedingungen Nischen zu finden, die nachhaltig einen ausreichenden Absatz kasachischer Produkte sichern, wird wohl mehr als schwer werden. Schließlich ist die aktuelle interne Ausgangssituation nicht gerade rosig. Nicht einmal zehn Prozent des Inlandsverbrauchs an Textilien produziert Kasachstan selbst. Folglich haben ausländische Unternehmen und Marken längst die Herzen und Portmonees der hiesigen Verbraucher erobert.

Die Praxis in fast allen Wirtschaftsbereichen zeigt, dass es nach einer solch langen Phase der Gewöhnung sehr schwer wird, die Verbraucher auf die Erzeugnisse von no names umzustimmen. Zudem entsprechen infolge der langjährigen Vernachlässigung der Zuchtarbeit im Baumwollbereich die in Kasachstan zur Verfügung stehenden Baumwollsorten nur begrenzt den Anforderungen moderner Verarbeitungstechnologien. Diesem Problem soll sich ein speziell gegründetes Baumwollinstitut widmen. Die Veränderung der Eigenschaften eines biologischen Stoffes kann jedoch sehr lange dauern. Nicht zuletzt ist das technologische und damit qualitative Niveau der vorhandenen Produktionsanlagen weit davon entfernt, international konkurrenzfähig zu sein.

Man kann natürlich versuchen, die gegebenen Rückstände aufzuholen. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Selbst dann, wenn Waren aus Kasachstan ihren Abnehmer finden sollten, bleibt immer noch die Frage bestehen, ob der enorme Aufwand das Ergebnis rechtfertigt. Schaut man sich die Statistik an, so ist bisher keine eindeutige Tendenz der Steigerung der Erzeugung heimischer Textilien festzustellen, beziehungsweise eine nur bei Vorprodukten wie Garnen, nicht aber bei Endprodukten. Exportfähig ist von den Enderzeugnissen bisher eigentlich fast nichts. Auch für das oben genannte Sonderwirtschaftsgebiet werden die Brötchen mittlerweile kleiner gebacken.

War beim Start des Projektes im Jahr 2005 noch von 15.000 neuen Arbeitsplätzen die Rede, erwartet man nun bestenfalls 10.000. Einige potentielle Investoren haben sich nach gründlicher Analyse der Gegebenheiten zurückgezogen. Ein Scheitern des Projektes muss das zwar nicht bedeuten, wohl aber ein deutliches Zurückstecken der viel zu optimistischen Ziele. Es genügt eben nicht, immer nur von den vorhandenen Rohstoffen auszugehen. Der Absatz – das entscheidende Nadelöhr – wird bei vielen strategischen Plänen Kasachstans fast immer unterschätzt.

Bodo Lochmann

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