Sowohl auf der 72. Berlinale als auch auf der Kasachischen Filmwoche in Berlin gab es in diesem Jahr kasachische Filme zu sehen. Unser Autor Christian Grosse stellt in einer Nachlese drei von ihnen vor, die besonderen Eindruck hinterlassen haben.
Das Jahr 2022 steht auch filmisch ganz im Zeichen der Jubiläumsfeierlichkeiten zwischen Deutschland und Kasachstan, die auf 30 Jahre diplomatische Beziehungen zurückblicken. Unter diesem Eindruck fand besonders die Kasachische Filmwoche vom 25. April bis 1. Mai statt. Doch auch zuvor, auf der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar, wurden kasachische Filme gezeigt. Fast schon symbolträchtig: Die Eröffnungsveranstaltung der Kasachischen Filmwoche fand am gleichen Ort statt wie traditionell die Preisverleihung der Berlinale – im Berliner Zoo Palast, der bei den Hauptstadtbewohnern zu den beliebtesten Kinos zählt.
Kein Wunder also, dass der damalige kasachische Botschafter Dauren Karipov in seiner Eröffnungsrede zur Kasachischen Filmwoche, die sich hauptsächlich um die aktuelle Entwicklung des kasachischen Films drehte, auch einen Bogen zur vorangegangenen Berlinale schlug. Von den drei Filmen, die es dort zu sehen gab, wurden gleich zwei mit einer Auszeichnung prämiert. Das ist durchaus große Werbung für den kasachischen Film, wenn man bedenkt, dass die Berlinale eines der größten Publikumsfestivals der Welt ist, das jedes Jahr Zehntausende Besucher aus aller Welt anlockt.
Die dort gezeigten kasachischen Filme präsentierten kritische Beobachtungen einer Gesellschaft, die als traditionell, modern, gewaltvoll und poetisch zugleich beschrieben wird. Sie ermöglichten einen ungewöhnlichen und kritischen Einblick in die kasachische Lebensrealität, die es so in dieser Form sehr selten zu sehen gibt.
Häusliche Gewalt als Thema im Fokus
In der Kategorie Spielfilm ging der Panorama-Publikumspreis an den Spielfilm „Baqyt“, was so viel wie „Freude“ oder „Glück“ bedeutet. Es ist ein sozialkritischer Film über eine glückliche und erfolgreiche Geschäftsfrau, der es jedoch nicht gelingt, Emotionen zu ihrer Tochter aufzubauen. Ihrer Tochter gegenüber zeigt sie sich gefühlslos und unnachgiebig. Diese ablehnende Atmosphäre führt zu Hause zu Spannungen und damit verbunden zur täglichen häuslichen Gewalt durch den Ehemann. Mit seinem Film hat der kasachische Regisseur des Films, Askar Uzabaev, insgesamt auf diese Thematik aufmerksam machen wollen.
Askar Uzabaev wurde 1983 in Kasachstan geboren. Die in Almaty ansässige Produktionsfirma „567 Creative Laboratory Studio“, die von ihm gegründet wurde, hat sich längst einen Namen im Land selbst gemacht, aber auch über dessen Grenzen hinaus. Er verfasste die Drehbücher zu zehn Filmen und war an vier Filmen als Produzent beteiligt. Unter seiner Regie entstanden bislang 16 Filme, darunter viele Kinoerfolge.
Die Träume und Schattenseiten der neureichen Gesellschaft
Ein weiterer kasachischer Film, auf den auch der damalige Botschafter Dauren Karipov in seiner Ansprache zur Kasachischen Filmwoche einging, war „Skhema“, was gleichbedeutend mit dem deutschen „Schema“ ist. Dieser erhielt den Großen Preis der internationalen Jury in der Kategorie Generation 14plus.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Masha und ihre Freundinnen erhalten regelmäßig Einladungen zu Partys und betrachten dies als Spiel, welches sich als heimtückisch und gefährlich herausstellt: Sie dürfen umsonst trinken und werden am Ende sogar mit einer Prämie belohnt. Hin und wieder mischt sich ein erwachsener Mann unter die jungen Mädchen, die Masha zu ignorieren beschließt, da sie in den verführerischen Ram, den Mittelsmann, der diese Feiern organisiert, verliebt ist. Doch dann wird Masha selbst zum Opfer dieses räuberischen Arrangements.
Der Regisseur Farkhat Sharipov, dessen Werk die Hoffnungen, Träume und Schattenseiten der neureichen kasachischen Gesellschaft erforscht, konstruiert komplexe Aufnahmen, um ein Almaty der Einkaufszentren und anonymen Wohnungen zu zeigen. Eine kalte und doch verlockende Welt voller konsumorientierter Verführungen – verbunden mit der Gefahr, sich selbst darin zu verlieren.
Sharipov hat Abschlüsse von der Kasachischen Nationalen Kunstakademie und der New Yorker Filmakademie erworben. Sein Spielfilmdebüt „The Tale of a Pink Bunny“ war ein Kassenschlager in Kasachstan. Beginnend mit „The secret of a leader“ setzt er sich in seinen Filmen mit tief verwurzelten sozialen Problemen der modernen kasachischen Gesellschaft auseinander. „Skhema“ ist nur eine logische Fortsetzung seiner kritischen Auseinandersetzungen.
Wuchtiges Historienepos mit vielen Schlachten
Episches gab es dann auf der Kasachischen Filmwoche gleich bei der Eröffnung zu sehen. Gezeigt wurde das historische Drama „Tomiris“ von Regisseur Akan Satajew. Es handelt von der Königin der Massageten und Kyros dem Großen. Im voll besetzten Filmsaal beeindruckte und begeisterte der Film das deutsche Publikum. Aber auch schon vorher lobten Filmkritiker und Journalisten das hervorragende Spiel und die schönen Kostüme der Schauspieler. Besonders hervorzuheben ist die in „Tomiris“ verwendete alttürkische Sprache, die im Film von den Massageten gesprochen wurde.
Das wuchtige Historienepos mit seinen vielen Schlachten und markanten Schauspielern trägt sich im 6. Jahrhundert v. Chr. zu, als sich das persische Reich von der Ägäis bis zum Indus erstreckte. Einzig die kriegerischen Reitervölker in der Steppe des heutigen Kasachstans stellen sich dem unbezwingbaren Heer der Perser todesmutig entgegen.
Basierend auf der Legende der Steppen-Kriegerin Tomiris, die im Film hervorragend von der kasachischen Schauspielerin Almira Tursyn verkörpert wird, und die bereits der antike griechische Schriftgelehrte Herodot überlieferte, bietet das Historiendrama große Schlachten, interessante Charaktere und mitreißende Kämpfe – ebenso wie ein eindrucksvolles Porträt einer emanzipierten Anführerin, die noch heute in Kasachstan als Nationalheldin verehrt wird.
Todesmutiger Widerstand gegen die persische Übermacht
Nachdem ihre Familie von Verrätern kaltblütig ermordet wurde, wird die junge Häuptlingstochter Tomiris von einer Horde wilder Kriegerinnen aufgenommen. Dort wächst sie zu einer mutigen und geschickten Kämpferin heran, bis sie stark genug ist, den Mord an ihren Eltern zu rächen und das Erbe ihres Vaters anzutreten. Gemeinsam mit ihrem Mann Argun vereint sie durch geschicktes Verhandeln und Taktieren als neue Königin die Stämme der Steppe. Sie und ihr Mann befrieden das Reich.
Jedoch währt die Harmonie nicht lange. Der Perserkönig Kyros der Große, gespielt von Ghassan Massoud, lockt ihren Mann und ihren Sohn in einen Hinterhalt. In diesem verlieren beide ihr Leben. Tomiris sinnt auf Rache. Es wird Zeit für die alles entscheidende Schlacht. Als geschickte Strategin entwirft sie einen ausgeklügelten und raffinierten Plan, um der gewaltigen Überlegenheit des persischen Heeres mit dem Todesmut ihrer Krieger entgegenzutreten.
Insgesamt ist das Heldenepos bei den Filmkritikern gut aufgenommen worden, doch gab es auch kritische Stimmen.
Fazit des Autors
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich der kasachische Film weltweit mehr und mehr Aufmerksamkeit verschafft. Und so vor allen Dingen vom Schmuddelimage eines Borat wegkommt. Junge engagierte Filmemacher sind dabei Kasachstan, mit anderen Augen zu sehen – und darüber hinaus auch kritisch zu hinterfragen.