In letzter Zeit hat sich die Häufigkeit der von kasachischen Politikern gebrauchten Schlagworte deutlich reduziert. Das ist erst einmal gut. Schließlich kann man durch gar zu oftmaliges Wiederholen bestimmter Begriffe genau das Gegenteil von dem Erreichen, was man eigentlich will, also zum Beispiel das Weghören der eigentlich Angesprochenen.
Dennoch ist natürlich der Inhalt einiger in der jüngeren Vergangenheit überstrapazierter Begriffe nicht weniger aktuell geworden. Wenn die Zurückhaltung beim Gebrauch solcher Begriffe wie Wettbewerbsfähigkeit, Cluster oder Innovation bedeutet, dass jetzt zielstrebig und konsequent an der Umsetzung dahinterstehender Inhalte gearbeitet wird, braucht man auch nicht so viel darüber zu reden.
Nun besteht nach wie vor das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit Kasachstans soweit zu erhöhen, dass man in die Gruppe der weltweit 50 konkurrenzfähigsten Länder gehört. Nachdem vor etwa einem Jahr bereits die Position 56 ausgewiesen war, zeigen die neuesten Zahlen Position 61 an, eine Verschlechterung also. Für Formalisten, die nur auf die Position schauen, mag das ein kleines Drama sein, aus Sicht des realen Lebens ist das aber völlig normal. Schließlich entwickeln sich die Wirtschaften der meisten Länder dynamisch und die Konkurrenz schläft nicht. Großes Ziel ist für Kasachstan, an das Entwicklungsniveau der osteuropäischen Staaten heranzukommen, die im Jahr 2004 neue Mitglieder der EU wurden. Ich nehme mal Polen als Maßstab. Die Auswahl ist willkürlich und vielleicht dadurch bedingt, dass ich mich im Moment des Schreibens dieser Zeilen in meinem Haus, etwa 400 Meter von der deutsch-polnischen Grenze, befinde.
Nach der Aufnahme in die EU haben alle neuen Mitglieder eine ordentliche Wachstumsdynamik aufzuweisen, die unter anderem durch die Vorteile des Entfallens von Handels- und Investitionshindernissen für die „Neuen“ erklärt werden kann. Polen hatte Ende 2007 ein Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 12.000 US-Dollar. Damit ist Polens BIP etwa doppelt so hoch, wie das kasachische. Also, rein quantitativ ist der Abstand Kasachstans zur Zielmarke noch beträchtlich. Zwar ist im Jahr 2007 die kasachische Wirtschaft real (ohne Inflation) mit 9,5 Prozent schneller gewachsen als die Wirtschaft Polens (6,5 Prozent), doch unter dem Strich hat Polen mehr zugelegt (780 Dollar) als Kasachstan (etwa 600 Dollar), weil die Ausgangsbasis unterschiedlich ist. Gleiche quantitative Wachstumsdynamik vorausgesetzt würde Kasachstan in dieser Kennziffer Polen erst in etwa 25 Jahren eingeholt haben.
Entscheidender als die Menge ist jedoch die wirtschaftliche Qualität des Wachstums. Die Struktur der polnischen Wirtschaft ist wesentlich ausgeglichener als die Kasachstans. Der Anteil der verarbeitenden Industrie ist fast doppelt so hoch und auch im Innovationsgrad – obwohl es auch hier noch Rückstände gibt – ist Polen weit voraus.
Mit der Mitgliedschaft in der EU hat Polen natürlich auch einen großen Vorteil gegenüber Kasachstan, das sich auch als Nichtmitglied der WTO viel stärker mit Beschränkungen (Zölle, Importquoten, Bürokratie) beschäftigen muss, als das die polnische Wirtschaft braucht. Nun geht es nicht darum, dass Kasachstan versuchen sollte, auch Mitglied der EU zu werden. Das geht wohl prinzipiell nicht, und niemand strebt danach. Doch die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung zur Steigerung der Produktivität und Effektivität der eigenen Wirtschaft zu nutzen, danach sollte man schon streben. Kasachstan tut das auch. Bekanntlich entwickelt sich der Außenhandel des Landes mit 25 Prozent Zuwachs pro Jahr außerordentlich schnell. Allerdings geschieht das zum großen Teil durch externe Faktoren, vor allem durch die hohen Weltmarktpreise für kasachische Exportprodukte.
Die regionale Kooperation, ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung Polens und der EU-Staaten insgesamt, ist hierzulande jedoch völlig unzureichend entwickelt. Klar, der Handel mit Russland und China braucht sich nicht zu verstecken, doch zwischen den zentralasiatischen Staaten herrscht weitgehend Funkstille. Man hat ganz einfach kaum Waren, die für die jeweils anderen Länder von Interesse sein könnten. Die findet man irgendwo in Europa oder Japan. Bereits ein Blick auf die groben makroökonomischen Daten macht das Kooperationsdilemma in Zentralasien deutlich. Kasachstan mit seinem BIP von etwa 6.300 Dollar pro Kopf hat danach etwa 13 mal mehr als Tadschikistan (478 Dollar) und immer noch etwa das Zehnfache Kirgisistans (688 Dollar).
Ungleiche Partner haben sich also in der Region herausgebildet, die sich eigentlich nur punktuell gegenseitig etwas geben können. Ein einheitliches Niveau haben die zentralasiatischen Länder aber wenigstens in einem Punkt: beim Korruptionsindex liegen sie gemeinsam im unteren Teil des letzten Drittels. Von 175 gemessenen Ländern nimmt Kasachstan gemeinsam mit Tadschikistan Position 150 ein, Turkmenistan folgt auf Platz 162 und Usbekistan sitzt auf Position 172. In diesem Punkt ist es natürlich noch außerordentlich weit bis zur Konkurrenzfähigkeit. Polen ist da immerhin schon auf Platz 61.
Bodo Lochmann
07/03/08