Unser Autor Cornelius Wiesener ist Student der Internationalen Beziehungen an der TU Dresden und arbeitete als Praktikant beim Almaty Helsinki Committee, einer OSZE-nahen NGO für Menschenrechte. Während seiner sechswöchigen Tätigkeit in Almaty beschäftigte er sich mit der Menschenrechtslage der deutschen Minderheit in Kasachstan.

Entgegen vorheriger Befürchtungen ist die Lage der deutschen Minderheit in traditionell  empfindlichen Bereichen wie dem ungehinderten Gebrauch der eigenen Sprache, der freien Religionsausübung und der Koalitionsfreiheit positiv zu bewerten. Laut der Organisation „Wiedergeburt“ und anderer Einrichtungen ist kein Fall von Einschränkung und Einmischung durch die Behörden bekannt. Der Gebrauch der deutschen Sprache ist durch die Verfassung und durch ein Abkommen mit der Bundesrepublik geschützt. Besorgniserregend ist dennoch, dass das Deutschniveau beständig fällt. Muttersprachler innerhalb der deutschen Minderheit sind kaum noch vorhanden. Ein Großteil der jährlich etwa 26.500 Teilnehmer der gebührenfreien Sprachkurse der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) wandert nach Deutschland aus. Auch die bestehende Freiheit bei der Religionsausübung ist durch den abwanderungsbedingten Mitgliederschwund in den deutschsprachigen Kirchengemeinden getrübt. Organisationen wie die „Wiedergeburt“, der Jugend- und Unternehmerverband, aber auch das Deutsche Theater verfolgen daher das Ziel einer Stärkung des kulturellen Selbstbewusstseins der deutschen Minderheit und einer Verbesserung ihrer Lage in Kasachstan. Sie erhalten sowohl von Deutschland als auch von kasachischer Seite finanzielle Unterstützungen und Vergünstigungen, müssen sich aber mittelfristig auf geringere deutsche Zahlungen einstellen.

Einfluss auf die Presse

Obwohl sich regimekritische Journalisten in Kasachstan oft Einschüchterung und Repressalien ausgesetzt sehen, erfreut sich die Deutsche Allgemeine Zeitung einer relativen Pressefreiheit. Einzig für den russischsprachigen Teil ist eine Einflussnahme staatlicher Stellen zu beanstanden: Im Gegenzug für großzügige Direktzahlungen wird bei 30% der Artikel eine regimekonforme Berichterstattung verlangt.

Fernerhin erfahren Deutschstämmige oft Benachteiligung oder latente Diskriminierung: Aufgrund der Proklamation des kasachischen Volkes als Titularnation hat auch die kasachische Sprache eine Renaissance erfahren. Bewerber für höhere Ränge in der Staatsverwaltung sind daher verpflichtet, die neue Staatssprache fließend zu beherrschen. Da nur wenige Vertreter von Minderheiten diese Voraussetzung erfüllen, führt sie zu Intransparenz und Vetternwirtschaft. Die Behörden sollten daher den Kasachisch-Unterricht an Schulen und Universitäten intensivieren oder aber diese missliebige Regelung abschaffen. Auch Korruption und Vetternwirtschaft benachteiligen primär Kasachstan-Deutsche und Mitglieder anderer Minderheiten. Korruption ist in jedem Bereich des Lebens in Kasachstan vorzufinden. Laut Peter Eigen, Chef von TI (Transparency International), berührt Korruption meist ärmere Schichten. Daher tragen vornehmlich Minderheiten, die nicht dem Nasarbajew-Clan angehören, die Kosten von Korruption und Nepotismus.

Unzureichende politische Partizipation

Darüber hinaus ist die effektive politische Partizipation der Deutschstämmigen gering. Dies ist sowohl der unzureichenden Demokratisierung und Dezentralisierung als auch unfairen Wahlen und einem ungünstigen Wahlverfahren geschuldet: In jüngster Zeit wurden dem Präsidenten wichtige Rechte übertragen, während sich der Dezentralisierungsprozess verzögerte. Die OSZE wies oftmals darauf hin, dass die von Wahlbetrug, Einschüchterung und Stimmenkauf gekennzeichneten Parlamentswahlen nicht internationalen Standards entsprächen. Des Weiteren macht das derzeitige Mehrheitswahlrecht es für Vertreter von nationalen Minderheiten unmöglich, Sitze im Parlament zu erlangen. Es sollte daher durch das Verhältniswahlrecht ersetzt werden.

Die erklärten Umstände benachteiligen alle Mitglieder nationaler Minderheiten gleichermaßen. Dennoch ist die Auswirkung auf die deutsche Minderheit beunruhigender; ist sie doch die einzige Minderheit in Kasachstan, der eine nahezu ungehinderte Abwanderung in den Westen in der letzten Dekade möglich war. Innerhalb der 1990er und frühen 2000er Jahre haben mehr als 700.000 Kasachstan-Deutsche das Land verlassen. Mehr als 70% der hiesigen Minderheit. Gründe für die Abwanderung waren neben der wirtschaftlichen auch die politische und rechtliche Lage in Kasachstan. Die Bundesrepublik hat jedoch in den letzten Jahren die Regelungen für die Übersiedlung von Deutschstämmigen verschärft. Deutschland vollzieht somit einen Wandel hin zu einem postmodernen Nationsbegriff, der sich weniger auf Kultur, als vielmehr auf den Staat bezieht.

Eine echte Chance für Kasachstan

Kasachstan könnte von dieser Entwicklung profitieren. Es sollte das Ziel verfolgen, das kasachstanische Staatsbürgergefühl bei Deutschstämmigen zu stärken. Ohne ernste Reformen hin zu mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz wird das Nasarbajew-Regime jedoch daran scheitern, die noch mehr als 100.000 Ausreiswilligen unter den Kasachstan-Deutschen im Land zu halten. Kasachstan sollte dabei den Ratschlägen von NGOs folgen, eine offene und pluralistische Demokratie mit einer funktionierenden Marktwirtschaft zu etablieren. Es wird notwendig sein, sich vom unglücklichen Begriff der Titularnation zu verabschieden. Vielmehr sollte sich die Legitimität des jungen Staates auf das gemeinsam erlittene Schicksal eines Großteils seiner Bevölkerung stützen: Unterdrückung, Deportation und Zwangsarbeit. Das wäre man den Millionen Opfern – auch denen der Trudarmija – schuldig.

Der Report „Exodus or Immigration – A review of the human rights situation and the prospects of Ethnic Germans in the Republic of Kazakhstan”, wird in Kürze unter www.humanrights.kz erhältlich sein.

14/10/05

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