Zum Aufstieg in die „Champions League der Ölbranche”, wie Nursultan Nasarbajew seine Absicht, Erdölnation von Weltrang zu werden, beschreibt, braucht Kasachstan sattelfeste Export- und Pipelinewege. 

Kasachstans Volkswirtschaft wird vom Erdöl dominiert. Der Ölsektor erbringt ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung, zieht fast alle Direktinvestitionen an, ist Motor des Bau- und Logistikbooms und sichert 60 Prozent der Exporterlöse. Im vergangenen Jahr wurden in Kasachstan etwa 60 Millionen Tonnen Öl gefördert. Die Staatseinnahmen aus dem Geschäft mit dem schwarzen Gold betrugen vier Milliarden US-Dollar. Zwischen 2015 bis 2030 werden es gemäß Kalkulationen des Internationalen Währungsfonds rund 16 Milliarden per annum sein. Allein die heute schon bekannten Ölreserven Kasachstans betragen fünf Milliarden Tonnen. Damit könnte die zentralasiatische Republik sozusagen Deutschlands Bedarf für mehr als dreißig Jahre decken. Vermutlich lagern weitere vier bis fünf Milliarden Tonnen Öl in der kasachischen Steppe und im kasachischen Teil des Kaspischen Meeres. Pro Tag exportiert Kasachstan zur Zeit über eine Million Fasseinheiten Öl. Das ist eine Verdoppelung im Vergleich zu 1999, und in fünfzehn Jahren sollen es über drei Millionen Barrel sein. Damit würde Kasachstan jährlich 150 Millionen Tonnen Öl ausführen.

Champions League der Ölbranche

Das Potenzial, zu einem der zehn größten Erdölexporteure aufzusteigen, ist vorhanden. Nursultan Nasarbajew sagte: „Kasachstan steht vor dem Aufstieg in die Champions League der Ölbranche.” Er erklärte, dass er die neue siebenjährige Amtszeit nutzen wolle, um Einkommen und Pensionen zu verdoppeln, so dass Kasachstans Pro-Kopf-Einkommen das Niveau der Länder Osteuropas erreiche. Man möchte zu den fünfzig größten Industrienationen der Erde gehören. Um dieses Ziel zu verwirklichen, braucht Kasachstan als größtes Binnenland der Erde mit Grenzen zu Russland, China, drei zentralasiatischen Republiken und dem landumschlossenen Kaspischen Meer, sichere Exportrouten und Absatzmärkte für sein schwarzes Gold. Etwa 90 Prozent des kasachischen Öls sind für den Export und die Häfen der Weltmeere bestimmt. Ohne eine adäquate und diversifizierte Transportinfrastruktur sind die immensen Lagerstätten und die für die Zukunft projektierten Exportmengen nicht auf dem Weltmarkt zu versilbern.

Pipelines am Kreml vorbei

An einem Pipelinenetz, das für die „Champions League” der Ölnationen qualifiziert, arbeitet die Regierung in Astana seit geraumer Zeit – dies mit pragmatischer geographischer und ideologischer Offenheit in alle Richtungen. Das Jahr 2005 brachte für Kasachstan zwei bedeutsame neuartige Exportwege: eine Pipeline nach China und eine in die Türkei. Zu Sowjetzeiten war das kasachische Pipelinesystem noch voll gen Russland ausgerichtet. Lange floss infolgedessen das Gros des kasachischen Öls auch nach der Unabhängigkeit nur durch Russland und via der beiden Leitungen Kenjak-Or und Usen-Atyrau–Samara in das von Samara ausgehende Druschba-Pipelinesystem und dann nach Mittel- und Osteuropa. Seit März 2001 kann kasachisches Öl durch eine 1500 Kilometer lange Rohrleitung von Atyrau zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk gepumpt werden. Russland ist zwar enger politischer und strategischer Partner Kasachstans, man ist bemüht, einen gemeinsamen Wirtschafts- und Verteidigungsraum zu sichern, aber in Erdöl- und Pipelinefragen gibt es Verstimmungen. Die Energiebranche Russlands versucht seit etwa zehn Jahren, Einfluss auf die Ölförderung und -vermarktung in Zentralasien zu nehmen und sich als alleiniger Intermediär zu positionieren. Auf Ablehnung stieß in Zentralasien der Anfang 2002 vom Kreml initiierte Versuch, in Öl- und Gasfragen eine Art zweites OPEC-Kartell mit den Mitgliedern Russland, Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan zu gründen. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass sich die Regierung in Astana jüngst durch Engagement bei multilateralen und nationalen Großprojekten hervortat, die an Russland vorbeiführende Ölpipelines zum Ziel haben. Der Kreml, der Pipeline- und Energieabhängigkeiten plus die mächtige staatliche russische Pipelinefirma Transneft gerne als Druckmittel einsetzt, soll kein Monopol mehr für den Export des kasachischen Öls haben – abgesehen davon, dass Kasachstan grundsätzlich höhere Exportkapazitäten braucht.

Mitte Dezember 2005 erfolgte die viel beachtete Pipelineeröffnung von der kasachischen Steppenstadt Atasu bei Karaganda in die chinesische Grenzstadt Alaschankou in der Xinjiang-Provinz. Das Projekt ist ein kasachisch-chinesisches Joint Venture von KazMunaiGaz und der China National Petroleum Corporation (CNPC). Erst einmal sollen durch die 960 Kilometer lange Pipeline pro Jahr zehn Millionen Tonnen kasachisches Öl in das energiehungrige Reich der Mitte fließen. In drei Jahren soll durch die Westkasachstan-Westchina-Pipeline die doppelte Menge gepumpt werden. Bis 2011wird China durch den Ausbau der Atasu-Alaschankou-Pipeline auf 3000 Kilometer Länge bis ans Kaspische Meer mit den immensen kasachischen Ölvorräten verbunden sein. Sergej Bogdantschikow, Chef der russischen Rosneft, hat schon Interesse an der Nutzung der neuen Pipeline bekundet.

Öffnung in alle Richtungen

Dieselbe Ausrichtung wie bei der Pipeline Kasachstan – China, wenn auch in eine andere Himmelsrichtung, liegt dem vitalen Interesse Kasachstans an dem internationalen Großprojekt Baku – Tbilissi – Ceyhan (BTC) zu Grunde. Treibende Kraft des Projektes waren die USA. Deswegen meidet die 1770 Kilometer lange BTC-Pipeline auch iranisches und russisches Territorium und schlängelt sich umständlich vom aserbaidschanischen Baku über Georgien bis in die Türkei zum Mittelmeerhafen Ceyhan. Aber ohne Kasachstan wäre die Rohrleitung wohl gar nicht Wirklichkeit geworden. Ohne die Zusage, dass auch Kasachstan etwa 30 Millionen Tonnen durch die BTC-Pipeline pumpen wird, wäre sie auch kaum rentabel gewesen. Die Ölvorräte Aserbaidschans hätten nicht ausgereicht, sie zu füllen. Insofern sprach der kasachische Präsident bei der Pipelineeröffnung in Baku scherzhaft von der Pipeline Aktau-Baku-Tbilisi-Ceyhan. Denn ihre Auffüllung ist eben vom kasachischen Ölhafen Aktau abhängig. Über eine Verlängerung der Mitte 2005 eröffneten Pipeline durch das Kaspische Meer bis nach Aktau sind schon Spekulationen im Gange. Genauso wie die Nähe zum BTC-Projekt sucht Nasarbajew in Energiefragen die Nähe zu Staaten, die er sonst kritisiert. Im Wahlkampf um das Präsidentenamt stigmatisierte er die „farbigen Revolutionen”. Das hindert ihn nicht, in Fragen des Pipelinebaus und Energieexports eng mit den „farbigen Revolutionären” zu kooperieren. Gerne wird kasachisches Öl und Gas nach Georgien geliefert. Bei seinem Besuch in der Ukraine bekundete Nasarbajew offen Interesse, Erdöl durch ukrainische Pipelines weiter nach Polen und ins Baltikum zu pumpen. Zum Ölexport öffnet sich Kasachstan in alle Richtungen. 2005 war für Kasachstan das Jahr zweier wichtiger Pipelines abseits des Kremls. Die Pipelinepolitik ist Spiegelbild der „multivektoriellen internationalen Politik” Kasachstans, wie sie Kairat Sarybai, Botschafter Kasachstans in Deutschland, nannte. Astana schwingt sich so zum attraktiven Kooperationspartner in Europa und Asien auf. Der Westen honoriert die kasachische Pipelinepolitik, die über die BTC-Pipeline eine vom Nahen Osten und Russland unabhängige Energieversorgung mit Öl aus dem Kaspischen Meer sichert. China will ebenso eine einseitige Abhängigkeit von Ölimporten aus der Golfregion und Russland vermeiden. Hierzu ist Peking, der zentralasiatische Nachbar Kasachstans, willkommen, und Russland zeigt Interesse an den neuen kasachischen Pipelines gen China.

Gunter Deuber

13/01/06

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