Immer mehr Backpacker kommen nach Kasachstan. Doch das Unbekannte und die Herausforderungen, die sie anziehen, schrecken andere Touristen noch immer ab. Die Regierung will daher in die Branche investieren.
Carlos war seit fünf Jahren nicht in seiner Heimat. Im November 2009 verließ er sein Zuhause im Norden Spaniens, seine Familie und seine Freunde. Der 35-Jährige verkaufte sein Auto und kehrte dem Finanzsektor, in dem er sein Geld verdiente, den Rücken. Er buchte ein Flugticket nach Uruguay, tourte anschließend durch Südamerika und die USA. Gerade sitzt er allein in einem Zimmer, das er nur für ein paar Tage gemietet hat und sich mit einem Kanadier, einem Chinesen und drei jungen Männern aus Australien teilt.
Das Zimmer ist spärlich eingerichtet. Drei Doppelstockbetten aus Metall sind an die beigen Wände geschoben. Vor ihnen liegt ein großer Teppich mit typischen zentralasiatischen Ornamenten, der den Boden zum Großteil verdeckt. Ein Tisch und ein kleiner Nachttisch bieten nur wenig Abstellfläche, die Kleidung aller Gäste dieses Zimmers wird in einem Kleiderschrank aus hellem Holz verstaut. Koffer und Rucksäcke müssen hingegen im Nebenzimmer gelagert werden, um nicht noch mehr Fläche von dem sowieso kleinen Zimmern zu rauben.
Carlos ist zu Gast im Central Hostel in Almaty, der früheren Hauptstadt Kasachstans. Auf seiner Weltreise, die noch zwei weitere Jahre dauern soll, macht er gerade Station in Zentralasien. Nach einem Stopp in Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan will er jetzt das neuntgrößte Land der Erde für sich entdecken.
Tatsächlich hat sich Kasachstan in den vergangenen Jahren als ein Reiseziel in Zentralasien etabliert. Laut dem neusten Bericht der Welttourismusorganisation (UNWTO) kamen 2013 knapp fünf Millionen internationale Touristen in das Land. 2010 waren es nur 3,4 Millionen Reisende. „Die meisten Touristen kommen aus Europa, besonders viele aus Deutschland, dann aus Österreich, Frankreich und England. Es gibt viele Touristen aus den USA, zur Zeit auch aus Korea, China, Japan, Indien und Australien“, erklärt Aigul Isagulowa, Koordinatorin für Inlands– und Auslandstourismus der kasachischen Tourist Association.
102 Länder auf fünf Kontinenten hat Carlos bereits auf seiner To-see-Liste abgehakt. Seit einer Woche gehört auch Kasachstan dazu. „Hier werden die Kultur und die Traditionen noch erhalten. Die einheimische Küche kann man an jeder Straßenecke genießen“, meint der Spanier, der während seiner Reisen auf Luxus verzichten und mit wenig Geld auskommen möchte. Er habe ein anderes Verständnis von dem Leben, das viele Europäer führen würden. „Geld und Reichtum dominiert das Leben in Europa. Das ist kein Leben für mich, ich will nicht von Geld getrieben werden. Ich brauche neue Erfahrungen, neue Leute“.
Backpacking boomt
Mit einem kleinen Budget und einem Rucksack auf dem Rücken reisen mittlerweile einige Touristen in Kasachstan, zwischen Almaty und Astana. Backpacking in Kasachstan boomt. „Diese Touristen bekommen eine Art Kick von den Schwierigkeiten, denen sie in Kasachstan gegenüberstehen. Sie stellen sich den Herausforderungen und möchte sie gerne überwinden. Genau das finden sie hier: Den Kick, den das Unbekannte bietet“, erklärt Aigul Isagulova.
Diese Ansicht teilt auch Carlos. „Es gibt nur wenige Touristen hier. Die Wege sind noch nicht so ausgetrampelt. Es ist ganz anders als in Europa, wo das eine dem anderen gleicht und es überall dieselben Angebote, dasselbe Essen gibt“, sagt der 35-Jährige.
Die Erfahrung, das Unbekannte und Exotische, das Kasachstan für westliche Touristen bietet, gibt es jedoch nicht umsonst. „Der Flug ist relativ teuer, wenn man sich nicht rechtzeitig um die Tickets kümmert. Wenn man sich nicht von vorneherein eine preiswerte Unterkunft sucht, dann sind kurzfristig organisierte Touren teuer“, sagt die Tourismusexpertin Aigul Isagulova.
Neben den Preisen könnte auch das für Kasachstan benötigte Visum ein Hindernis sein. Zwar wurden die Regeln für einige Europäer im Juli dieses Jahres gelockert, für Reisen über 15 Tage hinaus besteht jedoch weiterhin Visumspflicht. „In andere Länder, wie zum Beispiel Kirgisistan, können Touristen ohne Visum einreisen. Sie haben gegenüber Kasachstan einen deutlichen Vorteil“, so Isagulowa. Die Tourismusexpertin Dagmar Schreiber, die viele Jahre in Kasachstan gelebt hat, sieht das genauso: „Nur wenn es endlich gelingt, die Visaregeln zu vereinfachen und die lästige Meldepflicht künftig entfällt, wird Kasachstan vermehrt westliche Touristen anziehen können“.
Kommunikation schwierig
Carlos hat sich weder von den Preisen noch vom Visum abschrecken lassen. Schwieriger findet er hingegen die Kommunikation. „Hier ist es manchmal schwierig, sich auf Englisch zu unterhalten. Aber man findet immer jemanden, der es kann. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, meint der spanische Weltenbummler. Dagmar Schreiber wiederum sieht gerade in den kaum vorhandenen Informationen auf Englisch eine große Hürde im kasachischen Tourismus. „Wenn man kein Russisch und Kasachisch kann, wird ein Urlaub schnell zum teuren Unterfangen“, sagt sie.
Damit in Zukunft noch mehr Touristen den Weg nach Kasachstan finden, erarbeitet die kasachische Regierung derzeit ein Konzept zur Verbesserung und Weiterentwicklung der Branche. In den kommenden Jahren will das Land bis zu zehn Milliarden Dollar investieren, um eine moderne Infrastruktur und moderne Metropolen aufzubauen. So sollen in Zukunft nicht nur abenteuerlustige Individualtouristen angelockt, sondern auch der Massentourismus angekurbelt werden. Darüber informiert der Premierminister Karim Masinov auf seiner Homepage. Die bisherigen Investitionen haben Kasachstan im vergangenen Jahr auf dem Tourism Competitiveness Index um fünf Plätze nach oben klettern lassen, auf nunmehr Rang 88 von insgesamt 140 Plätzen.
Auch Aigul Isagulova glaubt an eine gute Zukunft für den Tourismus: „Wenn unsere Leute merken, dass man damit auch Geld verdienen kann, dann werden bald viele in dem Touristenzweig tätig sein. Sie werden Geld damit verdienen wollen und verbesserte Touren anbieten“.
Dieser Text ist im Rahmen der VIII. Zentralasiatischen Medienwerkstatt (ZAM) entstanden. Die ZAM ist ein Kooperationsprojekt der Deutschen Allgemeinen Zeitung, des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), der Goethe-Institute Almaty und Taschkent, des deutsch-russischen Jugendportals To4ka-Treff sowie der Friedrich Ebert Stiftung.