Schauspielerische Hermetik, angelehnt an James Joyce Roman „Ulysses“: Mit „Welten in Übergängen“ ist dem französischen Autor und Regisseur Christophe Feutrier am Deutschen Theater von Almaty ein erfolgreicher Auftakt gelungen

„Ulysses“ gilt als sperriges, schwer verständliches Werk. Der oft als „Jahrhundertbuch“ bezeichnete Roman bricht mit der linearen Erzählweise, und gibt den Lesern dabei so manches Rätsel auf. Wer etwa der geheimnisvolle Mann im Mackintosh ist, der an einer Stelle des am 16. Juni 1904 in Dublin spielenden Romans auftaucht, oder was die Postkarte bedeutet, auf der schlicht „U. P.“ steht, hat die Literaturwissenschaft noch nicht gelöst. Ginge es nach Joyce, wird sich daran so schnell auch nichts ändern. „Ich habe so viele Rätsel und Puzzles reingelegt“, sagte er einmal, „dass die Professoren Jahrhunderte beschäftigt sein werden mit dem, was ich gemeint habe“.

Der Popularität des erzählerisch an Homers Odyssee angelehnten Romans tut das keinen Abbruch: Ulysses ist allgemeines Kulturgut geworden. Kein Film, in dem nicht eine gelehrte Anspielung auf den irischen Dichter zu hören wäre, und kein 16. Juni, an dem nicht die Zeitungen von dem berühmten „Bloomsday“ in Dublin berichteten. Die Beliebtheit der nach der Hauptfigur Bloom benannten Feier steigt jährlich: es gibt wissenschaftliche Symposien zu den vertracktesten Ulyssesfragen, öffentliche Nachinszenierungen einiger Schlüsselszenen, und abends trinken rätselnde Joyce-Exegeten mit ganz normalen Dublinern auf den wenigen verbliebenen Originalschauplätzen zusammen ein Guiness. Nun hat sich auch das Deutsche Theater von Almaty des Stoffes um Bloom und dessen Verwicklungen angenommen. Leitender Regisseur des Stückes „Welten in Übergängen“, das in hartnäckiger, symbolischer Konsequenz am 16. Juni uraufgeführt wurde, ist der französische Autor Christophe Feutrier. Beteiligt sind Schauspieler und Künstler aus Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan.

Die Internationalität bei Feutrier ist Programm. Ein „permanentes Treffen von Künstlern aus verschiedenen Kulturen“ strebe seine Arbeit an, heißt es in einem Text zur Beschreibung des von Feutrier mitinitierten Projekts „Trajectoire ADM (Amour de Monde)“, in dessen Rahmen auch „Welten in Übergängen“ angesiedelt ist. „Der Polylinguismus, die kulturelle Konfrontation sind die tragenden Elemente unserer Kreationen“. Der Regisseur selbst hat längere Aufenthalte in Berlin und München hinter sich, sowie Gastspiele an so verschiedenen Orten wie Petersburg, Nischni Nowgorod, Moskau und Taschkent.

Von leicht transportabler Ortlosigkeit zeugt dann auch das Bühnenbild zu Beginn der Inszenierung. Keine Gegenstände stehen auf dem nach hinten abgeschatteten Bretterboden, nur eine Figur sitzt rechts in sich versunken, die Beine übereinandergeschlagen auf einer spartanischen Holzleiste. Dabei wendet sie dem Publikum den Rücken zu. Links vorn sitzen zwei Musiker mit orientalischen Instrumenten. Sie spielen ein bisschen, und dann wendet sich Bloom, gespielt von David Sighicelli, dem Publikum zu. Er redet, bis sein ganzer Körper zu immer lauter werdenden Trommelschlägen konvulsivisch zuckt.

„Welten in Übergängen“ ist weniger ein Sprechstück als eine Expression der Körper – reines, gestisches Ausdrucksmaterial, das mal schlangenförmig und gefährlich laut zischend über den Boden kriecht, mal sich gierig ineinander verknäult und dabei alle Einzelheit abstreift.

Bloom steht dabei immer im Zentrum des Geschehens. Was die Figur in Feutriers Inszenierung allerdings mit Joyces, Roman gemein hat, bleibt rätselhaft. Überhaupt ist es schwer, seine Identität zu bestimmen. Wie ein Barrikadenkämpfer, der sich in der Zeit verirrt hat, hält er virtuos wirre Monologe über die freie Liebe und die „Generalamnestie“. Seine Gegenspieler scheinen selbst nicht zu wissen, was sie mit ihm anfangen sollen. Einige halten ihn für einen Vertreter der „mongolischen Rasse“, andere stellen ihn wie in einer Medizin-Vorlesung des 19. Jahrhunderts als Musterbeispiel des Sexuell-Perversen dar. Wieder andere sehen in ihm einen Helden.

So viel Rätsel hat es selbst bei Joyce nicht gegeben, und Feutriers Stück entfernt sich auch immer mehr von der Romanvorlage. Einige Szenen sind bei dieser Abkehr sehr gelungen. Etwa, wenn der Dombraspieler, der gerade aussetzt, so tut, als würde er sein Handy nach Kurznachrichten checken. Das blaue Licht wirkt wie ein technoider Fremdkörper in dem ansonst traditionell zentralasiatischen Ensemble, das mal von tragenden, mal von rhythmisch impulsiven Klängen untermalt wird. Schnell wird aber klar, dass der Griff zum Handy mit zum Spiel gehört. Es sendet eine Melodie, zu der sich der Dombraspieler auf seinem Instrument selbst begleitet. Eine schöne Idee, aber auch ein bisschen rätselhaft. In diesem Punkt trifft sich die Inszenierung dann doch wieder mit dem hermetischen Joyce-Buch.

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