Können Tierabfälle und Kadaver zu Kunstwerken werden, oder überschreitet Jerbosyn Meldibekow die Grenzen? Der 1964 in Schimkent geborene kasachische Künstler, startet mit seiner Ausstellung „Centauromachy“ eine Gratwanderung entlang des schmalen Weges des guten Geschmacks. Die Frage, ob der in Almaty lebende Künstler im Soros Center für Zeitgenössische Kunst (SCCA) lediglich provozieren will, oder ob seine Werke einen tieferen Sinn erschließen, wird wohl eine Kontroverse auslösen.

Für die einen ist es Kunst für andere wohl nur die geschmacklose Zurschaustellung von Kadavern und Unrat. Dessen ist sich Jerbosyn Meldibekow völlig bewußt. Seine Ausstellung „Centauromachy“ ist derzeit im Soros Center für Zeitgenössische Kunst (SCCA) zu sehen. So soll auch „Centaur“, das Foto, das als Aufhänger der Ausstellung dient, nicht schocken, sondern über ein ironisches Spiel mit dem Betrachter auf die Verbindung zwischen Mensch und Pferd verweisen, die in Kasachstan schon seit Urzeiten existiert. Auf dem Foto steckt ein nackter Mann kopfüber in einer Pferdehaut. Oberhalb seiner Hüften scheint sich der menschliche Körper in ein Pferd zu verwandeln und schafft so die Verbindung zum griechischen Fabelwesen Zentaur, an das der Titel der Ausstellung angelehnt ist. Befragt nach den Reaktionen der kasachischen Bevölkerung sagt der ausgebildete Lehrer: „Die Meinung der Ausstellungsbesucher teilt sich in zwei nahezu gleich große Teile. 50 Prozent lieben mich, und 50 Prozent verachten mich für mein Schaffen.“ Als Schocker verschrien, gilt er somit in weiten Kreisen der kasachischen Bevölkerung „als Vergifter der Jugend“. Deshalb wurde ihm seine Zulassung als Lehrer auch von staatlicher Seite entzogen. Trotzdem scheint er zufrieden, und über sein neues Umfeld Almaty sagt Meldibekow: „Ich kann hier arbeiten, weil die meisten meine Kunst sowieso nicht verstehen.“

Versteckte Botschaften

Die Ablehnung, auf die er vielerorts stößt, stört ihn aber wenig. Ihm geht es nicht darum, für seine Kunst geliebt zu werden. Sein Anliegen ist es, über das ironische Spiel mit den Menschen und ihren Einstellungen eigene Aussagen zu produzieren. „Ein Gegenstand geht in den anderen über. Durch diese Transformation ergibt sich die Bedeutung des jeweiligen Stücks“, sagt der Künstler, als er den Hintergrund des Ausstellungsstücks „Hindu Kusch“ erklärt. Die Skulptur ist auf den ersten Blick nur eine alte, auf den Kopf gestellte Aluminiumschale, deren zerknitterter Boden ein wenig an ein Gebirge erinnert. Nach ein paar Worten des Künstlers wird aber mehr daraus. „Es ist eine Schüssel, die tief in der amerikanischen Tradition verwurzelt ist. Die Amerikaner bereiten darin zu „Thanksgiving“ ihre Truthähne zu. Jetzt ist es der Hindu Kusch“, mehr sagt Meldibekow nicht dazu und lächelt. Aber das genügt schon, um die politische Dimension zu erschließen.

Die Verbindung zwischen Amerika und dem afghanischen Gebirgszug deutet in eine klare Richtung, ohne dem Betrachter den Interpretationsspielraum zu nehmen. Es geht also um mehr, als nur abzubilden oder lediglich zu schocken. Schon gar nicht will Meldibekow jemanden seine Meinung aufzwingen. Sein Werk ist subtil, und die Aussagen, die es enthält, sind versteckte mehrdeutige Botschaften.

Zentralasien und die Pferde

Der Künstler spielt mit der kollektiven Ohnmacht seiner Gesellschaft und ist trotzdem tief in ihr verwurzelt. „Pferdehäute und – füße verwende ich als Materialien für meine Kunstwerke, weil ich Kasache bin. Das Pferd ist das Symbol unserer Kultur und Tradition schlechthin, deshalb kommt es in meinen Werken sehr häufig vor“, erklärt der Künstler. Entsprechend findet die Kunstprofessorin Chalima Trusbekowa auch nichts Abstoßendes oder Schockierendes an dem Foto. Sie verweist auf die Freiheit der Kunst und sagt: „Ich finde nichts Schlimmes an einem nackten menschlichen Körper. Es ist unsere Wirklichkeit und darf nicht tabuisiert werden.“ Ihrer Meinung nach passiere das in Kasachstan ohnedies viel zu oft, deshalb müsse sich Kunst, die etwas verändern will, über diese Tabugrenzen hinwegsetzen.

Ähnliche Verbindungen wie bei „Centaur“ gibt es beim Bild „Die Landkarte von Dschingis Khan oder Das Fell des roten Pferds“. Meldibekow hat mit Pferdehaaren auf dem Inneren einer Pferdehaut die Grenzen Zentralasiens abgesteckt. Die Materialen drängten sich, nach Meinung Meldibekows, förmlich auf. Dschingis Khan sei schließlich die größte historische Figur Zentralasiens und seine Armee verdanke ihre Stärke den Pferden. Dastan Koschachmetow, der Kurator der Ausstellung, fügt noch hinzu, dass dies das interessanteste Werk sei. „Ich empfinde die Innenseite einer abgeschabten Pferdehaut als sehr schön. Sie sieht wie ein Gebirge aus, und das passt irgendwie zu Zentralasien.“ Zur Technik erklärt der Kurator, dass Meldibekow und er, nachdem sie die Karte auf der Haut abgesteckt hatten, mehr als 2.000 Fotos davon geschossen haben. Das Endergebnis sei schließlich aus den einzelnen Schnappschüssen wie ein Puzzle wieder zusammengesetzt worden. „Eigentlich ein kleines Wunder, dass uns das wieder gelungen ist“, so Koschachmetow.

Meldibekows Vorliebe für Pferdehäute findet sich noch in weiteren Ausstellungsstücken wieder. Beispielsweise ist im SCCA noch ein Foto eines Teddybären ausgestellt, der aus einer mit dem Inneren nach außen gedrehten Pferdehaut gefertigt wurde. Ein anderes Foto zeigt einen Mann, der die umgedrehte Haut eines Pferdekopfs über seinen Kopf gestülpt hat.

Der Architekturstudent Batir Argenbajew findet dies interessant und mutig zugleich. „Ich habe etwas Vergleichbares noch nie gesehen. Die Kunstwerke sind hoch politisch und haben eine tiefere Bedeutung.“ In Kasachstan gebe es solche Ausstellungen nicht oft, weil hier das Kunstverständnis ein anderes sei. Trotzdem fände er es gut, wenn sich hiesige Künstler öfters in solche Gefilde vorwagen würden.

Von Christoph Salzl

16/02/07

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