Ohne eine genaue Vorstellung von dem, was sie erwartet, wandert Liane Bley mit ihrer Familie 1988 von Kasachstan nach Deutschland aus. Nebst dem anfänglichen Kulturschock lernt sie, dass gelungene Integration auch immer Eigenmotivation voraussetzt.

Wenn Liane Bley (geb. Reitenbach), die Leiterin der Carlo-Schmid-Schule in Pforzheim, mit einem Besucher durch die hellen, hohen Gangfluchten geht, gerät sie regelrecht ins Schwärmen: „Es ist ein Glücksfall, in solch einem besonderen Gebäude unterrichten zu können.“ Seit über 25 Jahren lebt die Russlanddeutsche in Deutschland. Ihre Vorfahren waren 1817 aus Deizisau nach Kaukasien ausgewandert, wo sie mit anderen Pietisten aus Württemberg Katharinenfeld in Georgien gründeten, 1941 umbenannt in Bolnissi. 1941 wurden auch die Deutschen aus Georgien deportiert, die Reitenbachs kamen nach Süd-Kasachstan. Bleys Großvater musste als Strafe und Rache für den Überfall des Deutschen Reiches in der berüchtigten Trudarmee im Ural als Arbeitssklave schuften und Unglaubliches erdulden.

In Süd-Kasachstan wurde Liane, spätere Bley, geboren, eines von vier Kindern eines Technikers und einer Musikerzieherin (ein Bruder ist Informatiker, ein weiterer selbstständig, ihre Schwester Kreativdirektorin). Am 8. August 1988 kommen sie nach Pforzheim. Dazwischen liegen die heimische Erziehung in Werten und Bräuchen, aber auch der Literatur der Diaspora – und die schulische Erziehung im sowjetischen System. „Ihr werdet euch noch wundern», ruft man ihnen nach, als sie aus der Nähe von Sotschi am Schwarzen Meer, wohin die Familie aus Kasachstan gezogen ist, nach Westen ausbrechen. Dem Ausreiseantrag ist stattgegeben worden. „Was erwartet uns?“ Jeder Zuwanderer fragt sich das. Auch die Reitenbachs. Alles verbaut, ein Land mit sozialer Kälte, das keine Natur zulässt, voller Egoisten, wie man ihnen sagt. „Erst kamen wir nach Braunschweig – und alles war grün“, sagt Liane Bley. Sie erinnert sich an ihre ersten Eindrücke: sauber, tolle Autos, gute Straßen, die Behörden sind nicht korrupt, die Entscheidungen nachvollziehbar.

Aber auch: „An den Überfluss in Supermärkten kann ich mich bis beute nicht gewöhnen.“ Und vorbei ist es zunächst mit dem gewohnten Hinaustreten aus dem eigenen Haus, der Natur. Aufgeteilt auf mehrere Wohnungen in Pforzheim – Großmutter und Tante sind schon in Deutschland –, weil das Übergangswohnheim für den Vater nicht infrage kommt. Überhaupt: Er ist es, der die Richtung vorgibt – kein Selbstmitleid, offen sein für andere und alles Neue, Interesse aufbringen – „schaut, dass ihr ankommt, nutzt die Chance!»

Seine Kinder verinnerlichen diese Haltung. Liane und ihre Schwester sowie der ältere Bruder eher mehr, der kleinere Bruder eher weniger: Er ist nach Frankreich gezogen – wenn schon Ausländer, dann richtig, sagte er. „Anfangs waren wir mit Parolen konfrontiert – ich habe mich minderwertig und nicht willkommen gefühlt», sagt Bley, „aber das war von Menschen ohne Bildung oder Herzensbildung.“ Aus persönlicher

Erfahrung weiß sie: „Integration braucht eine Zeit des Ankommens und der Orientierung. Es muss darauf geachtet werden: In welches Netz fallen die Ankömmlinge? Ansonsten setzt Integration immer Eigenengagement und Zielstrebigkeit voraus.»

Liane macht am Hebel-Gymnasium das Abitur, studiert in Pforzheim an der Fachhochschule Betriebswirtschaft, wird wissenschaftliche Mitarbeiterin im Karlsruher Existenzgründerimpuls (KEIM), sattelt den Master drauf, ist seit 2009 Schulleiterin. Die dreifache Mutter sagt: „Ich freue mich, dass meine Kinder sich entscheiden können. was sie werden wollen: Bäcker, Mechaniker, Arzt, Journalist – wozu sie eben fähig sind.“ Sie weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift „Volk auf dem Weg“ erschienen. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Umfrage „Diskriminierung in Deutschland 2015”

Diskriminierung ist leider keine Seltenheit. Auch viele Spätaussiedler, müssen solche Erfahrungen in Deutschland machen. Man sollte aber wissen, dass Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Deutschland verboten ist. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes führt deshalb eine wissenschaftliche anonyme Umfrage durch, die aufklären und nachhaltige Lösungsansätze bieten soll: Alle in Deutschland lebenden Menschen ab 14 Jahren sind aufgerufen teilzunehmen.

1. September bis 30. November 2015
Sprachen: deutsch, russisch u.a.
Umfrage: www.umfrage-diskriminierung.de
weitere Informationen: www.antidiskriminierungsstelle.de/umfrage

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