Es gurgelt, kracht, plätschert und knackt, wenn ein Gletscher schmilzt. Vom 21. bis 25. Juli machten wir uns als Expeditionsteam des Goethe-Instituts auf den Weg zum Tujuksu-Gletscher, um seinem Klagelied zu lauschen und die Töne für das Projekt „Gletschermusik“ aufzunehmen.
Das hätte ich ja nicht gedacht, dass ich mich Ende Juli unweit von Almaty doch noch über eine Fellmütze und dicke Handschuhe freuen würde. Trotz strahlendem Sonnenschein ist es nach meinem Verständnis klirrend kalt hier oben, auf knapp 3.500 Metern Höhe, auf dem Tujuksu-Gletscher.
Die unzähligen kleinen Schmelzwasserbäche, die uns bei unserem Aufstieg munter entgegen plätschern, belehren mich aber sehr eindrucksvoll, dass sich die Gletscher-Wohlfühltemperatur offensichtlich nicht mit meiner deckt und es – Fellmütze hin oder her – eigentlich viel zu warm ist.
Aber genau deshalb sind wir ja auch hier. Um auf die fortschreitende Gletscherschmelze aufmerksam zu machen, sammelt das Goethe-Institut im Rahmen des Projekts „Gletschermusik“ Töne vom abschmelzenden Gletscher, um sie dann künstlerisch weiterverarbeiten zu lassen.
Die Hauptrolle spielt dabei der Tujuksu, zu dessen Gletscherspalten wir uns nun langsam vorarbeiten.
Meine Wandererfahrungen aus dem Münchner Voralpenland kann ich mir schnell an den Hut stecken, das Tienschan-Gebirge ist dann wohl doch noch mal eine Nummer höher. Besser läuft es da schon bei Christian
Frei, dem Regisseur, immerhin aus der Schweiz. Er ist auch der Einzige, der die Hand hebt, bei der Frage, wer denn schon mal auf über 4000 Metern gewesen sei. Dafür hat er allerdings auch, neben unserem Bergführer Alexej, an seiner Kameraausrüstung mit am schwersten zu schleppen.
Unverwüstlich auch Sara Monimart vom „Arte Radio“. Sie ist extra aus Frankreich angereist, um uns bei den Aufnahmen zu helfen und krabbelt dafür auch mal um fünf Uhr morgens aus dem Zelt. Wenn alle störenden Nebengeräusche ausgeblendet sind, haben ausschließlich die Gletschertöne ihren großen Auftritt.
Wir übrigen flachlandverwöhnten Expeditionsteilnehmer schnaufen uns gemächlich weiter Höhenmeter um Höhenmeter dem Gletscher entgegen. Wenn man nicht schon aufgrund des langsam einsetzenden Sauerstoffmangels das Reden eingestellt hat, so verstummt man doch bald vor der gigantischen Schönheit, die einen kurz darauf vollständig umgibt. Peak Molodjoshny, Peak Pogrebetzki, der Mametowgletscher, und der sogenannte Alpengrad versetzen uns mit ihren wilden karstigen und schneebedeckten Gipfeln in Staunen und Ehrfurcht.
Eindrucksvoll auch die unendlichen Geröllstraßen der Gletschermoränen, die sich zwischen den Bergen durchschlängeln und uns die gewaltigen Kräfte des Gletschers, aber auch seine ehemalige Größe vor Augen führen. Es geht buchstäblich über Stock und Stein weiter, an eiskalten Gletscherseen vorbei, bis sich vor uns endlich der majestätische Tujuksu auftut. Auf seiner weißen Zunge legen wir die verbleibenden Höhenmeter zurück, indem wir uns über die knirschende und knackende Eisfläche bewegen.
Die Stimmung ist sehr gut und wir genießen das abenteuerliche Gefühl. Erste Reinhold-Messner-Vergleiche werden heran gezogen. Aber das ist dann vielleicht doch ein bisschen zu euphorisch, denn hier, gute 4000 Metern unterhalb Messners Höhenrekord, platschen wir doch auch ein ums andere Mal in riesige Schmelzwasserpfützen, die einen traurig stimmen. Und so wird unter den aufgenommenen Gletschertönen auch einiges Wasserrauschen zu hören sein.
Insgesamt sind wir drei volle Tage am Fuße des Gletschers, wo wir an der glaziologischen Station unser Basislager rund um Dagmar Schreibers rührende Betreuung aufschlagen durften.
Im Team herrscht betriebsame Arbeitsatmosphäre. Für die Ton- und Filmaufnahmen erkunden wir an den folgenden Tagen auch noch die anderen umliegenden Gipfel. Die Bergwelt wird ihrem Ruf der schnellen Wetterumschwünge gerecht und ehe wir uns versehen, stehen wir in einer dicken Nebelwand, die Schnee und Hagel mit sich bringt. Da wirkt der sonnenbegleitete Aufstieg zum Tujuksu vom Vortag fast wie ein Sonntagsspaziergang.
So schnell die Wolken gekommen sind, so schnell verziehen sie sich auch wieder, und während wir atemlos auf dem Peak Molodjoshny stehen, am Horizont den großen Almatiner See erahnen, mag man es kaum fassen, dass einem ein Handy, auch auf 4000 Meter Höhe, inmitten dieser abgerückten Naturgewalt wieder in die Realität zurückholen kann.
Abfahrt! Es geht wieder ins Tal. In Almaty erwarten uns mollige 40 Grad.