Trotz schrumpfender Muttersprachler-Zahlen erlebt die deutsche Sprache in Kasachstan eine stille Renaissance. Neue Bildungsinitiativen, kulturelles Engagement und wachsendes Interesse an deutsch-kasachstanischer Zusammenarbeit eröffnen überraschende Perspektiven – gerade für die junge Generation. Wie ein Klassenzimmer in Kokschetau zum kulturellen Leuchtturm wurde und warum Herold Belger noch heute Brücken baut – darüber sprachen wir mit Ljassat Baimanowa, der Leiterin des Lehrstuhls für Allgemeine Sprach- und Literaturwissenschaft an der staatlichen Ualichanow-Universität in Kokschetau.

Frau Baimanowa, wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der deutschen Sprache in Kasachstan? Welche Entwicklungen waren in letzter Zeit sichtbar?

Der aktuelle Zustand der deutschen Sprache in Kasachstan kann als ziemlich stabil beschrieben werden, aber mit einigen Besonderheiten, die mit den historischen, sozialen und kulturellen Prozessen des Landes verbunden sind. Aus objektiven Gründen ist die Zahl der deutschsprachigen Bevölkerung in Kasachstan in den letzten 30 bis 40 Jahren stark zurückgegangen. Viele ethnische Deutsche sind nach Deutschland, Österreich und in andere Länder ausgewandert. In dieser Hinsicht hat die Bedeutung der deutschen Sprache in Kasachstan deutlich nachgelassen.

Heute verbessert sich die Situation jedoch. An einzelnen Schulen und Universitäten wird Deutsch als erste oder zweite Fremdsprache aktiv studiert, und dank der Aktivitäten der Gesellschaftlichen Stiftung „Wiedergeburt“, des Goethe-Instituts und anderer werden zahlreiche Deutschkurse für verschiedene Altersgruppen und soziale Kategorien angeboten.

Ich glaube auch, dass das Interesse an der deutschen Sprache im Rahmen der Entwicklung bilateraler Programme und der Zusammenarbeit Kasachstans mit Deutschland wächst. Die zunehmenden Geschäftsbeziehungen zu Deutschland spielen auch eine Rolle bei der Verbreitung der deutschen Sprache, da viele kasachstanische Unternehmen mit deutschen Partnern zusammenarbeiten und Deutschkenntnisse zu einem wertvollen Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt werden.

Welche Probleme gibt es dennoch für die deutsche Sprache in Kasachstan?

Die immer geringer werdende Zahl der Muttersprachler (nur noch 226.092 ethnische Deutsche nach der letzten Volkszählung von 2021) führt leider zu einem Verlust der sprachlichen Kontinuität und zu einem geringeren Interesse an der Erhaltung der Sprache bei Jugendlichen. Für die ältere Generation, die noch in der Sowjetunion aufgewachsen ist, war die deutsche Sprache ein wichtiges Kommunikationsmittel für den Fall ihrer Übersiedelung in die historische Heimat in Deutschland, aber für die jüngere Generation hat Deutsch nicht die gleiche Bedeutung. Dies beeinflusst die Motivation, es zu lernen und zu verwenden.

Es gibt auch keine praktischen Möglichkeiten, Deutsch im täglichen Leben und in der Bildung zu verwenden, denn dort ist es der englischen Sprache unterlegen. Englisch wurde aus bekannten Gründen zur Hauptsprache der internationalen Kommunikation. Es ist auch zu beachten, dass in den Schulen nicht genügend Stunden für das Erlernen der deutschen Sprache zur Verfügung stehen und dass der Sprachunterricht oft ohne angemessene Einschätzung des erreichten Sprachniveaus durch fakultative Unterrichtsstunden ersetzt wird. All dies senkt auch die Motivation, eine Fremdsprache wie Deutsch zu erlernen.

Im letzten Jahr wurde in der Ualichanow-Universität ein Klassenzimmer zu Ehren Herold Belgers eröffnet. Wie wird das Zimmer für den Lernprozess genutzt?

Die Eröffnung des Herold-Belger-Kabinetts ist eine gemeinsame Initiative des Lehrstuhls für Allgemeine Sprachwissenschaft und Literatur der Ualichanow-Universität in Kokschetau und der Gesellschaftlichen Stiftung „Vereinigung der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“. Die Erhaltung und Popularisierung des literarischen Erbes dieses Schriftstellers ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Rolle kasachischer Wissenschaftler im kulturellen und sprachlichen Austausch.

Das Kabinett, das wir eingerichtet haben, ist kein geschlossenes Museum, das nur ab und an von Besucherinnen und Besuchern heimgesucht wird. Es handelt sich um einen funktionierenden Lehrraum, der täglich von 8.30 bis 16.40 Uhr voll am Lernprozess
der Universität beteiligt ist. Dieses Kabinett ist ein Bildungs- und Kulturzentrum, in dem unsere Studenten studieren, kulturelle und pädagogische Veranstaltungen (Weihnachten, Ostern, Ausstellungen, Wettbewerbe usw.) sowie wissenschaftliche Seminare und Olympiaden durchführen.

Dieses Kabinett zieht Lehrer aus verschiedenen Lehrstühlen unserer Uni an, die sich im Voraus anmelden, um hier ein Seminar oder eine offene Unterrichtsstunde durchzuführen. Dies ist sehr erfreulich, da Studenten verschiedener Bildungsprogramme (Physiker, Biologen, Historiker usw.) in unseren Lehrraum kommen, Informationen lesen, Fotos des Schriftstellers betrachten und etwas Neues über Herold Belger erfahren. Das bedeutet, dass wir das Ziel erreicht haben, das wir uns bei der Eröffnung des Kabinetts gesetzt haben. Das bedeutet, dass die Erinnerung an Herold Belger lebendig ist.

Welche Veranstaltungen zum 30-jährigen Jubiläum der Volksversammlung Kasachstans planen Sie gemeinsam mit Ihren Studentinnen und Studenten? Welche Veranstaltungen sind in Ihrer Region geplant?

Zum Jubiläum der Volksversammlung Kasachstans planen wir ein Kulturfestival, bei dem die Studenten die Kulturen verschiedener ethnischer Gruppen Kasachstans kennenlernen können, indem sie Lieder, Tänze und Theaterstücke aufführen. Dabei wird natürlich auch die deutsche Kultur einem breiten Publikum präsentiert werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Annabel Rosin.

Teilen mit:

Hinterlasse eine Antwort

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein