Jedes Jahr begehen Menschen weltweit den „Plastikfreien Juli“. Im Rahmen der Kampagne verzichten sie einen Monat lang auf den Gebrauch von Einwegplastik. Gerade in Kasachstan ist das eine richtige Herausforderung. Trotzdem mahnen viele Aktivisten und Unternehmer, neue umweltfreundliche Gewohnheiten zu entwickeln und unverpackt einzukaufen.
Die Challenge „Plastikfreier Juli“ fand zum ersten Mal 2011 in Westaustralien statt. Rebecca Prince-Ruiz und eine kleine Gruppe von Enthusiasten beschlossen damals, den einmonatigen Einweg-Plastik-Verzicht durchzuziehen. Aus dieser Initiative ist eine weltweite Bewegung entstanden, die rund 326 Millionen Teilnehmer in 177 Ländern dazu ermunterte, ihren Lebensstil zu überdenken.
Plastikfreies Leben ist eng mit dem Zero-Waste-Lifestyle verbunden. „Zero Waste“ bedeutet wörtlich „null Abfall“, gemeint ist aber vor allem eine Minimierung von Abfällen und Umweltschäden durch die eigenen Handlungen. Ein solcher Lebensstil schließt ein, verpackte Lebensmittel zu vermeiden und mit eigenen Tüten und Leergut einzukaufen, Secondhand-Kleidung und -Technik zu kaufen, kein Essen wegzuwerfen, mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, und viele weitere Dinge.
In Deutschland entwickelt sich die Zero-Waste-Bewegung seit mehreren Jahren. Der erste verpackungsfreie Laden wurde 2014 in Kiel eröffnet. 2020 gab es mehr als 190 Unverpackt-Läden bundesweit, und 180 weitere waren in Planung.
Das Engagement der Öko-Blogger trägt Früchte
Die Tendenz zum bewussten Konsum in Kasachstan ist nur in Almaty sichtbar – in der Stadt gibt es bislang den einzigen verpackungsfreien Laden im Land. „Hello Eco“ eröffnete im März 2021 und zieht zahlreiche umweltbewusste Stadtbürger heran. Im Mai hat er den Preis „Ozgeris Ustasy“ für „Das beste Vorbild für soziales Unternehmertum im Bereich Ökologie“ gewonnen.
Die Mitgründer von „Hello Eco“ sind Öko-Aktivisten. Dina Ogai ist Chiefdirektorin des unverpackten Ladens und Öko-Bloggerin. Sie hat sich mit der Mülltrennung vor zehn Jahren während ihres Masterstudiums in Australien vertraut gemacht. Seit der Geburt ihrer Tochter vor acht Jahren führt sie ein umweltbewusstes Leben: Bei ihr zu Hause sind nur Öko-Produkte mit harmlosen Inhalten zu sehen.
Der Mitbegründer Michail Beljakow ist auch ein Öko-Blogger. Er startete seinen Weg zum grünen Lebensstil im Jahr 2017. Sein Motto lautet: „Wenn du die Welt ändern möchtest, fang bei dir selbst an“ – und er hält sich selbst daran. Zuerst sammelte er Plastikflaschen in seinem Fitnessstudio und holte Pappkartons von einem kleinen Laden ab, um sie zum Recycling zu bringen. Beljakow organisierte zahlreiche Challenges; die längste davon bestand im Verzicht auf Plastiktüten. In einem Jahr konnte seine Familie durch handgemachte Gemüsenetze und Tragetaschen auf ungefähr 1.600 solcher Tüten verzichten. Aus dieser Challenge heraus entstand der Name „Paketam Net“ (Nein den Tüten) für ein Online-Geschäft, aus dem sich wiederum „Hello Eco“ entwickelte.
Kooperation mit führendem Recycling-Unternehmen
Am 7. Juli 2020, mitten in der Pandemie, gründeten Dina und Michail das Online-Geschäft. Die ersten Kanister mit Reinigungs- und Pflegemitteln der deutschen Marke „Sonett“ lagerten sie bei Michail in der Wohnung. Inzwischen vergrößerte sich das Angebot durch Waren von lokalen Unternehmen und handgemachten Stoffbeuteln und Gemüsenetzen von Michails Ehefrau Oxana. Die Kunden bestellten die Waren online, kamen mit eigenen Behältern, und holten sie von Michails Haus ab.
Für die Eröffnung eines Offline-Geschäfts kooperierten Michail und Dina mit der Chefdirektorin von Kazakhstan Waste Recycling Dana Soltanowa sowie dessen Mitgründerin Viktoria Gorobzowa. Die Firma Kazakhstan Waste Recycling wurde 2014 gegründet und ist führend bei der Sammlung und Trennung von Sekundärrohstoffen, die von Unternehmen und privaten Haushalten stammen.
Das Geschäft bietet unverpackte „Haushalts-Nicht-Chemie“, Make-Up, feste Shampoos, Seifen, flüssige Gels, Zahnpasten und Zahnpulver. An Lebensmitteln werden Getreide, Nussbutter, Pflanzenöle, Schokolade und Superfoods grammweise verkauft. Falls nötig, kann man hier auch Gläser, Obst- und Gemüsenetze kaufen. Im Geschäft können Kunden ihr Altpapier, Plastik und Glas, sowie alte Batterien abgeben, Bücher austauschen, ihre eigenen Flaschen kostenlos mit Wasser füllen, und Kaffee in eigenen Mehrwegbechern kaufen.
Im Geschäft stehen zwei plastikfreie Regale, die Mehrweg-Alternativen zu Einweg-Plastikprodukten anbieten. Mehrweg- und Thermo-Kaffeebecher gehören ebenso dazu wie Bambus-Zahnbürsten, Stoffmasken, Mehrweg-Überschuhe, Luffaschwämme und Waschlappen aus Jute, Wachstücher und vieles mehr. Zum „Plastikfreien Juli“ teilen die Mitarbeiter auf dem Instagram-Profil des Ladens Tipps für den umweltfreundlichen und nachhaltigen Lebensstil. Neben dem Handel bieten die Mitgründer anderen Unternehmen Beratung zur Ökologisierung an.
Nur wenig Festmüll wird recycelt
Große Bedeutung messen die Gründer den Inhalten der Produkte bei. 40 Prozent des Angebots machen Waren von lokalen Unternehmen aus, 40 Prozent kommen aus Russland, und der Rest aus Europa.
„Wir überprüfen alle Bestandteile von Reinigungs- und Pflegemitteln, damit sie sicher für die Gesundheit des Menschen und die Natur sind. Die Öko-Waren sind teurer, denn bei der Herstellung werden natürliche Stoffe und umweltfreundliche Technologien angewendet. Wir produzieren keinen Müll, wir übernehmen die Verantwortung für die Abfallentsorgung. Lokale Unternehmen stoppen die Herstellung vor der Verpackungsphase und bringen uns die Waren in Kartons oder großen Containern; die Produkte aus Russland und Europa werden in großen Kanistern geliefert. Die leeren Kanister geben wir denen, die sie im Haushalt gebrauchen können. So geben wir der Verpackung ein zweites Leben”, erklärte Michail im Video für die Aktivisten-Gruppe ecovid.kz.
Einen Monat nach der Eröffnung haben die Kunden von „Hello Eco“ mehr als 1.000 Flaschen Reinigungsmittel, 200 Zahnpasta-Tuben und 1.500 Plastiktüten verhindert, sagte er im Promo-Video zum „Ozgeris Ustasy“-Preis.
Keine Infrastruktur für Sammlung, Transport und Entsorgung
Laut der Association der ökologischen Unternehmen Kasachstans entstehen im Land 4 bis 5 Millionen Tonnen Festmüll jährlich. Nur 14 bis 18 Prozent davon werden recycelt, der Rest wird deponiert. Falsche Deponierung kann dazu führen, dass Gegenstände sich selbst entzünden. So war im Mai 2019 der Rauch eines Brands auf einer Deponie in den Vororten Almatys deutlich auch in der Metropole selbst zu spüren. Mit Recycling, Entsorgung und Deponierung beschäftigen sich 225 meist private Unternehmen. Von 3,8 Millionen Tonnen Kommunalabfällen, die ihnen geliefert wurden, wurden 2020 weniger als ein Drittel getrennt und nur 13.000 Tonnen recycelt.
Seit 2019 ist es verboten, Plastik, Altpapier und Altglas zu deponieren. Stattdessen müssen diese Abfälle getrennt und möglichst recycelt werden. Laut dem neuen Ökologischen Kodex werden seit dem 2. Januar 2021 Abfälle in zwei Arten, nämlich „trockene“ und „feuchte“ getrennt. So unterschiedliche Stoffe wie Kunststoff, Glas und Papier gehören zu den „trockenen“ Abfällen, was natürlich die Trennung erschwert.
In einem früheren Interview mit den kasachischen Medien inform.kz und kursiv.kz berichtete Julia Duschkina, Projektmanagerin des Zentrums „Förderung der nachhaltigen Entwicklung“, über die Lage der Müllentsorgung: „In Kasachstan gibt es aufgrund der großen Fläche des Landes keine Infrastruktur für die Sammlung, den Transport und die Entsorgung von Abfällen. All dies wird durch die geringe Zusammenarbeit zwischen Behörden und Unternehmen sowie durch die geringe Beteiligung der Bevölkerung erschwert. Soweit es keine klaren gesetzlichen Normen, Anforderungen und Strafen für den unsachgemäßen Umgang mit Kunststoffabfällen gibt, ist es noch zu früh, über Fortschritte zu sprechen“, so Duschkina.