Rosa Fech hat deutsche Wurzeln, doch Kasachstan ist für sie weit mehr als nur ein Wohnort – es ist ihre Heimat in einem umfassenden Sinn. Im Gespräch erzählt sie von ihrer Familie, vom Aufwachsen zwischen zwei Kulturen, vom Leben auf dem Land und von einer tiefen Leidenschaft, die sie zur traditionellen Herstellung kasachischer Körpe geführt hat.
Rosa, erzählen Sie uns von sich. Wo wurden Sie geboren, und was ist die Geschichte Ihrer Familie?
Ich bin 42 Jahre alt, Mutter von fünf Kindern und bin deutscher Nationalität. Seit meiner Geburt lebe ich in Kasachstan, und sogar mein Vater wurde hier geboren.
Meine Großeltern wurden in den 1940er Jahren während der stalinistischen Repressionen aus dem Gebiet Saratow nach Kasachstan deportiert. Damals waren sie noch sehr jung, kaum im Erwachsenenalter. Sie mussten sich in einer völlig fremden Umgebung ein neues Leben aufbauen – mit viel Mühe, aber auch mit bemerkenswerter Stärke. Alle ihre Kinder, darunter auch mein Vater, wurden später in Kasachstan geboren. Für unsere Familie ist dieses Land nicht nur ein Ort des Überlebens, sondern auch ein Ort des Neubeginns geworden.
Aus welcher Region Kasachstans stammen Sie?
Ich komme aus einem kleinen Dorf namens Sepe, früher bekannt unter dem Namen Krasny Majak, in der Region Atbassar. In der Vergangenheit lebten dort sehr viele Russlanddeutsche. Heute sind es nur noch wenige Familien – mein Vater gehört zu den Letzten, die geblieben sind.
In den 1990er Jahren, nach dem Zerfall der Sowjetunion, sind fast alle ausgewandert, vor allem nach Deutschland. Mein Vater hingegen entschied sich zu bleiben. Auch wir sind geblieben – und wir bereuen es nicht. Unsere Wurzeln sind tief mit diesem Boden verbunden, mit den Menschen, der Sprache, der Landschaft.
Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für Körpe entdeckt?
Schon als Kind war ich fasziniert von Farben, Mustern und Texturen. Besonders ein bestimmtes Motiv hat mich immer begleitet: das traditionelle kasachische Muster Koschqar muisi, was auf Deutsch „Widderhörner“ bedeutet.
Während der Quarantänezeit in der Corona-Pandemie hatte ich viel Zeit zu Hause und begann, mich intensiver mit der kasachischen Textilkunst zu beschäftigen. Ich sah mir unzählige YouTube-Videos an und stieß dabei auf eine kasachische Meisterin, deren Arbeiten mich tief beeindruckten. Ihre Geduld, ihr Können, ihre Liebe zum Detail – all das hat mich inspiriert.
Ich sagte mir: Warum nicht einfach selbst anfangen? Ich hatte bereits eine Nähmaschine, also setzte ich mich hin und begann mit einfachen Mustern. Die Technik nennt sich „Kurak“, was im Grunde auf Kasachisch „Patchwork“ bedeutet. So fing alles an – Schritt für Schritt, ganz ohne Kurs, ganz aus eigenem Antrieb.
Welche Rolle spielten deutsche Traditionen in Ihrer Kindheit?
Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen. Schon mit drei Monaten kam ich zu ihnen, weil meine Eltern als Tierärzte sehr viel unterwegs waren und kaum Zeit hatten, um sich um mich zu bemühen.
Bei meinen Großeltern wurde das Leben von festen Rhythmen und klaren Regeln bestimmt. Samstags war immer Großputz, sonntags wurde nicht gearbeitet. Das Mittagessen war festlich, alles war blitzsauber und ordentlich. Viele sagten: Das ist „typisch deutsch“. Und vielleicht war es das auch – aber für mich war es einfach mein Zuhause.
Auch die Verwandten, die heute in Deutschland leben, erzählen oft, wie sehr sie genau diese Rituale vermissen: das gemeinsame Feiern im großen Familienkreis, das festliche Zusammensitzen zu Weihnachten oder Ostern. Diese Feiertage hatten bei uns denselben Stellenwert wie bei den Kasachen das Fest Kurban Ait – ein Anlass, um die Familie zu versammeln, Dankbarkeit zu zeigen und miteinander zu teilen.
Die Familie Ihres Vaters war sehr musikalisch. Hat sich das auf Ihre Kindheit ausgewirkt?
Absolut. Mein Großvater spielte Balalaika, meine Großmutter Mandoline, und alle Kinder sangen – das war ganz selbstverständlich. Auch wir Enkelkinder haben das weitergeführt. Musik war ein Teil des Alltags, sie begleitete uns durch gute und schwere Zeiten, sie verband die Generationen miteinander.
Hat Ihre Mutter, die Kasachin war, diese Traditionen ebenfalls gepflegt?
Ja, sie hat all das mitgetragen. Sie hat sich nie dagegen gestellt, im Gegenteil – sie hat die deutschen Bräuche meiner Großeltern mit viel Respekt aufgenommen. Heute bin ich selbst mit einem Kasachen verheiratet, und in unserem Alltag orientiere ich mich stark an kasachischen Traditionen.
Manche sagen heute, ich sehe gar nicht mehr aus wie eine Deutsche – vielleicht ist da sogar etwas Wahres dran. Als Kind hatte ich noch leuchtend rote Haare, sehr auffällig und ganz typisch deutsch. Jetzt bin ich äußerlich und innerlich irgendwo dazwischen. Und das ist auch gut so.
Welche Bedeutung hat Körpe in Ihrem Leben?
Für mich ist Körpe mehr als ein Handwerk – es ist Ausdruck von Identität, Hingabe und Verbindung zur eigenen Geschichte. Ich habe mir alles selbst beigebracht, ohne einen einzigen Kurs. Vielleicht war es in mir angelegt, wie ein Erbe, das darauf gewartet hat, geweckt zu werden.
In der kasachischen Tradition heißt es, dass eine Mutter ihrer Tochter zur Hochzeit mindestens eine Körpe nähen sollte. Ich nehme das sehr ernst. Als meine Tochter im vergangenen Jahr geheiratet hat, habe ich ihr natürlich eine genäht – und dabei das Gefühl gehabt, eine wichtige Aufgabe meines Lebens erfüllt zu haben.
Fühlen Sie sich heute eher als Deutsche oder als Kasachin?
Ganz ehrlich – ich fühle mich mehr als Kasachin. Natürlich bin ich Deutsche, mein Vater ist Deutscher, meine Herkunft steht außer Frage. Aber meine Seele, meine Werte, mein Alltag – all das ist tief mit der kasachischen Kultur verbunden. Ich sage deshalb oft: Ja, ich bin Deutsche, aber im Herzen bin ich Kasachin. Diese Identität hat sich über viele Jahre in mir geformt – durch das Leben hier, durch die Menschen, durch die Sprache, die Bräuche und nicht zuletzt durch meine Familie.
Werden Ihre Produkte auch außerhalb Kasachstans gekauft?
Ja, tatsächlich. Viele meiner Arbeiten finden ihren Weg nach Deutschland – oft als Geschenke, manchmal auch als besondere Erinnerung an die alte Heimat. Es macht mich glücklich, wenn meine Werke anderen Menschen Freude bereiten. Wenn jemand ein Stück meiner Arbeit ansieht und sagt: „Das erinnert mich an Zuhause“, dann weiß ich, dass meine Arbeit einen Sinn hat.
Waren Sie selbst schon einmal in Deutschland?
Nein, bisher noch nicht. Obwohl fast meine gesamte Verwandtschaft dort lebt, hat es aus verschiedenen Gründen nie geklappt. Vielleicht lag es an der Familie, vielleicht war es einfach nicht der richtige Moment. Ich war in anderen Ländern unterwegs, aber wenn ich nach Kasachstan zurückkehre, spüre ich jedes Mal: Hier gehöre ich hin. Nur hier kann ich wirklich frei atmen. Kasachstan ist unser Land, unser Zuhause. Mein Vater sagt oft: „Hier bin ich geboren, hier werde ich sterben.“ Und ich glaube, für ihn – und für mich – gibt es keinen passenderen Ort auf der Welt.