Früher hatte der Patentschutz seinen Sinn, indem er Erfindern Zeit gab. Heute sind Patente nach Ansicht von Kolumnist Bodo Lochmann in erster Linie zu einer Fortschrittsbremse geworden und gehören abgeschafft.

Der Besitz von Patenten gilt allgemein als eine Art Lebensversicherung von Unternehmen: hat man erst einmal eine geschützte Erfindung, kann die Konkurrenz die durch das Patent geschützte Lösung nur gegen Erlaubnis des Patentbesitzers benutzen, was fast immer mit der Zahlung von nicht unerheblichen Patentgebühren verbunden ist. Patente und der Streit darum, wer nun als erster diese oder jene Idee hatte, sind in den letzten Jahrzehnten zu einer wichtigen Waffe im internationalen Konkurrenzkampf geworden. Vor allem Technologiefirmen wie Motorola, Google, Apple oder Samsung klagen sich regelmäßig gegenseitig an und beschäftigen höchstbezahlte Patentanwälte und Gerichte mit ihren Forderungen.

Die Kernidee des Patentschutzes, der ja schon ein paar Jahrhunderte alt ist, war, dem Erfinder Zeit zu geben, seine patentierte Idee auch wirtschaftlich nutzen zu können. In Zeiten nur sehr langsamen technischen Fortschritts, des Fehlens globalisierter Märkte und riesengroßer fast schon industrialisierter Forschungsbetriebe war das sicher durchaus sinnvoll. Heute scheint der Patentschutz aber zunehmend doch auch zur Verlangsamung der technischen Entwicklung beizutragen. Denn bei Weitem nicht alle Patente werden auch genutzt. Oft werden Patente angemeldet, um der Konkurrenz einen entsprechenden Entwicklungsweg zu versperren. Das dann notwendige Umgehen dieser Patente wird betriebs- und volkswirtschaftlich wesentlich teurer oder ist schlicht gar nicht möglich. Zudem stehen bei Weitem nicht hinter allen Patenten wirklich bahnbrechende Innovationen. Eine Untersuchung amerikanischer Wissenschaftler zeigt, dass es keinen ausgeprägten Zusammenhang zwischen der Anzahl von im betrieblichen Eigentum befindlichen Patenten und dem Innovationsgrad von Unternehmen gibt. Es gab keine Indizien dafür, dass das Wachstum von Unternehmen mit vielen Patenten höher sei, als von Unternehmen mit keinen eigenen Patenten. Anscheinend ließen sich Unternehmen ziemlich nutzarme Erfindungen patentieren, sei es aus Prestigegründen, sei es, um der Konkurrenz bestimmte Neuerungen zu erschweren. Außerdem haben sich Heerscharen von Anwälten und Unternehmen darauf spezialisiert, vermeintliche oder reale Patentverletzungen aufzuspüren, um dann Patentverletzungsklagen einreichen zu können, sprich daran zu verdienen.

Das existierende Patentdickicht ist in vielen Sachbereichen mittlerweile auch für Experten kaum noch durchschaubar. Jährlich werden beispielsweise in den USA rund 230.000 Patente neu angemeldet, etwa so viele in der EU. Vor allem kleinere innovative Firmen sind kaum noch in der Lage, diesen Dschungel zu durchschauen und so zu agieren, dass sie keine Patentrechtsverletzung begehen. Da das jedoch kaum möglich ist, lassen sie teure Forschungsprojekte lieber gleich sein, obwohl gerade klein- und mittelständische Unternehmen eigentlich der Motor der technischen Entwicklung sind. Festgestellt wurde, dass die Innovationsneigung in den Branchen geringer ist, in denen eine hohe Patentdichte vorhanden ist.

Das grundsätzlich noch aus dem Mittelalter stammende Patentrecht müsste also reformiert und den heutigen Gegebenheiten angepasst werden. Zweifelsohne hat der zeitlich befristete Patentschutz geholfen, eine große Anzahl von Erfindungen erst zu vermarktbaren Produkten zu machen. Doch mittlerweile haben zu viele mächtige Interessengruppen das System als ihr Spielfeld entdeckt und ausgebaut, um damit über juristische Spielereien Geld zu verdienen.
In der Wirtschaftsgeschichte hat es schon genügend Beispiele gegeben, dass Patente einen schnelleren technischen Fortschritt behindert haben. So hat James Watt, der Inhaber des ersten Patents einer Dampfmaschine, jahrzehntelang verhindert, dass schon nutzungsreife Methoden der Dampfüberhitzung eine wesentliche Steigerung des Wirkungsgrades der damals revolutionären Technik bewirken konnte. Erst als Watt starb und damit der Patentschutz verlorenging, konnten die von ihm ignorierten Ideen genutzt werden. Der Wirkungsgrad der Maschine stieg dadurch innerhalb nur weniger Jahre von nur einem Prozent unter Watt auf fast zehn Prozent unter seinen Nachfolgern. Damals war ein Einzelner, leicht Identifizierbarer, der Bremser des Fortschritts, heute sind es mächtige Lobbygruppen, die kaum zu fassen und einzuschränken sind. Wahrscheinlich sind deshalb nur radikale Lösungen möglich, die auf die generelle Abschaffung von Patenten hinauslaufen.

Bodo Lochmann

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